Flusslandschaft 1967

Ressentiments

Wer sich alternativ kleidet oder gar als Gammler auftritt, muss sich oft hasserfüllte Bemerkungen anhören.1

Margarete und Alexander Mitscherlich konstatieren die Errungenschaft „demokratischer Gedan-
kenfreiheit“ in der Bundesrepublik und fragen, „wieviel Leidenschaft für die Demokratie sich zei-
gen würde, wenn die bundesrepublikanischen Geschäfte einmal entschieden schlechter gehen soll-
ten. Gibt es neben unserem Streben nach Reichtum auch ein neuerdings erwachtes nach Freiheit? Mehrt oder mindert sich die Toleranz, abweichende Meinungen – auch solche, die uns ärgern – zu ertra­gen und zu achten? Ist Gedankenfreiheit für die Bürger unseres Landes zur unabdingbaren Forderung an ihre Gesellschaft gewor­den? Mit anderen Worten: Wird diese Freiheit lebendig emp-
fun­den, oder ist sie ein günstiger Zufall, der wie in der Weimarer Republik rasch wieder verloren-
gehen könnte? Das sind Fragen nach der Stabilität des Bewußtseins der Vielen, welche unsere Öf-
fentlichkeit ausmachen. Manches spricht für eine Demokratisierung des Landes, man­ches zeigt, wie leichthin das Wort gebraucht wird und wie hart­näckig vordemokratische Anschauungen sich am Leben halten … Wo aber Gedankenfreiheit nicht fortwährend kritisch heraus­gefordert wird, ist sie in Gefahr, wieder zu verlöschen. Denn sie ist an den schwächsten Teil unserer seelischen Orga-
nisation, an unser kritisches Denkvermögen, geknüpft.“2


1 Siehe „Endlösung gesucht“ von August Kühn.

2 Alexander Mitscherlich/Margarete Mitscherlich, Die Unfähigkeit zu trauern: Grundlagen kollektiven Verhaltens, München/Berlin 1967, 7 f.

Überraschung

Jahr: 1967
Bereich: Ressentiments