Materialien 1990

„Perlacher Marxzentrum ausradieren!“

Polit-Proleten aller vereinigt euch
Reps und Gauweiler weiterhin im Schulterschluss

Jedem, selbst dem Staatssekretär Peter Gauweiler und Harald Neubauer, dem Landesvorsitzenden der Reps, sei ein kräftiger Faschings-Kater gegönnt. Nur: Wenn beide gleichzeitig in den tollen Tagen mit demselben tollen Plan herausrücken, dann sollte man sich das, in der wiedergekehrten Ruhe des Nachwahlkampfs, zu Herzen nehmen.

Es gibt zum gemeinsamen Plan der beiden eine Vorgeschichte. Am 14. Januar 1969 tagte der Hauptausschuss, eine Art Münchner Rumpfparlament. Anwesend waren zehn Mitglieder der SPD, dazu der OB Vogel, ein Mitglied der sogenannten „Ausschussgemeinschaft“ (Dr. Ludwig Schmidt vom „Münchner Block“) sowie der nicht stimmberechtigte Bürgermeister Steinkohl. Und vier Stadträte der CSU. Ihre Namen in alphabetischer Reihenfolge: die Herren Fuhrmann, Haas, Schreiber und Stützle.

Auf der Tagesordnung stand der Antrag, einen Abschnitt der neuen Perlacher Ringstraße, jetzt kommt’s, „Karl-Marx-Ring“ zu nennen. Die CSU signalisierte der SPD: Gebt uns den „Adenauer-Ring“, dann kriegt ihr den „Marx“. Der denkwürdige Tausch kam zustande.

Ergebnis der Abstimmung also: 15 Stimmen für den Antrag, eine einzige Gegenstimme. Sie kam von Dr. Schmidt. Die CSU-Stadträte in gewohnter Geschlossenheit befürworteten den Neu-Perlacher „Karl-Marx-Ring“.

Rasanter Geschichtsschub

Seitdem muss sich die Historie irgendwie ganz ungeheuerlich beschleunigt haben. Denn plötzlich wird die damals so einmütig getaufte Straße allem, was rechts ist, zum Ärgernis. Der gesamte Landesvorstand, lässt sich Rep-Neubauers persönlicher Referent Richter ein, „steht dahinter“: Dieser „Anachronismus“ muss weg. Es gehe nicht an, eine Münchner Straße nach „einem kommunistischen Machthaber und Ideologen“ zu benennen. Nun mag man darüber streiten, ob Karl Marx wirklich schon „Kommunist“ in irgendeinem Sinne war. Aber „Machthaber“? Der Vorhalt bringt den Pressesprecher nicht aus dem Konzept: „Belastet ist er auf jeden Fall!“ Er sagt tatsächlich „belastet“. Und ich hätte geschworen, dass das Wort nur in Diktaturen vorkommt, wo es genügt, jemanden ohne Umschweife und weitere Erklärung „belastet“ zu nennen, um ihn abzuholen. Ich lerne: Das ist nicht bloß totalitärer, es ist auch der Wortschatz des Rep-Pressesprechers.

Dann versucht er doch noch eine Begründung: Wenn man schon Karl-Marx-Stadt wieder ins historisch gewachsene „Chemnitz“ umbenenne, dann wohl erst recht den Karl-Marx-Ring. Aber, in was? Er hatte doch vorher keinen anderen Namen. Nein, Verbesserungsvorschläge habe Neubauer nicht anzubieten, da wolle man lieber „das Ohr am Volk haben“. Das ist aber deutlich nur spontan-verlegene Basisdemokratie als Ausflucht.

Großzügig sind sie, die Reps: Die Lenin-Gedenktafel am Haus Kaiserstraße 46 „ist natürlich etwas anderes“. Die darf bleiben (dass er damit den Landesvorsitzenden dementiert, der sie eben noch „verschwinden“ lassen wollte, soll dem Referenten nachgesehen sein). Aber dann, um jeden Verdacht mangelnder Festigkeit zu zerstreuen: „Mit Sicherheit wird als nächstes auch am ,Friedrich-Engels-Ring’ (auch in Neu-Perlach!) gerüttelt werden.“ Der heißt zwar korrekt Friedrich-Engels-Bogen, aber was tuts, Hauptsache, es wird entschlossen gerüttelt.

Da gibt der Herr Staatssekretär schon eine feinere Figur ab. Er greift, liest man kaum noch überrascht, die „Forderung der Republikaner auf“. Er will auch nicht nur besinnungslos rütteln, sondern vornehm „einiges dafür tun, dass der nächste Stadtrat sich damit beschäftigt.“ Er hat schon einen Ersatznamen parat: „Ludwig-Erhard-Straße“. Wie feinsinnig doch hier der Münchner Sozialismus mit dem Vater der D-Mark ausgetrieben wird. Geschichtsbewusstsein auf der Höhe der siegreichen Stunde.

Damit ist, lässt er ausrichten, auch schon alles Nötige gesagt. Einen Kommentar dazu will er nicht auch noch geben. Ohne diese Straßennamen-Allianz der beiden Parteien hätten wir, sträflich, gar nicht gemerkt, wie sozialistisch es in Münchens Stadtvierteln zugeht.

In dem roten Perlacher Nest um Marx und Engels gibt es ja außerdem noch eine Ladengruppe, die sich glatt „Marxzentrum „ nennt, und die Kurt-Eisner-Straße, an der doch wohl auch zu rütteln wäre. Und in Unterhaching eine Ferdinand-Lasalle-Straße, in Neu-Harlaching die Friedrich-Ebert- und die August-Bebel-Straße (zwar ganz klein, aber immerhin!). Alles Sozialisten, wenn nicht Schlimmeres! Und da wir gerade beim Saubermachen sind: Soll etwa die Bert-Brecht-Allee stehenbleiben, die Fritz-Erler-Straße (aufgepasst, beide liegen nahe dem Karl-Marx-Ring!) , die Ernst-Bloch-Straße, der Kurt-Weill-Weg, die Heinrich-Mann-Allee? Rote allesamt! Und, damit auch eine Frau darunter ist, was geschieht mit dem nach dieser Radikal-Pazifistin benannten Bertha-von-Suttner-Weg?

Und sollte der Staatssekretär seine Aufmerksamkeit nicht auch einmal jener missverständlichen „Dar-es-Salaam-Straße“ widmen? Wenn sich dieser Straßenname in der Asylantenflut herumspricht, nicht auszudenken!

Der neue Stadtrat wird also mächtig zu tun haben. Seien wir getrost: Die schwarz-braune Straßen-Koalition wird nach dem Rechten sehen.

Ein für allemal hat sich damit auch das Wutgeheul der CSU erledigt, mit dem sie bisher den Vergleich mit den Reps beantwortete. Es ist der gleiche Kampf, den sie kämpfen, die Schultern fest geschlossen. Da mag es denn herzlich gleichgültig sein, wer hier Original ist und wer wen kopiert. Da mag der eine rütteln und verschwinden lassen, der andere ruhig aufgreifen und einiges dafür tun. Solange sie sich nur einig sind, die strammen Aufräumer am Rand des demokratischen Spektrums.


Münchner Freisinn. Kostenlose Monatszeitung für Politik und Kultur 4 vom April 1990, 13.

Überraschung

Jahr: 1990
Bereich: CSU