Materialien 2008
Die Landeshauptstadt wehrt sich
Jahrestage, aktuelle Ereignisse und Tendenzen
Mit einem »Aufruf zur Wahl am 2. März 2008« hatte sich im Februar das vom Münchner Oberbürgermeister Christian Ude, von den christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften, von DGB, Kreisjugendring und anderen gesellschaftlichen Kräften der bayerischen Landeshauptstadt getragene „Münchner Bündnis für Toleranz“ an die Öffentlichkeit gewandt. Es ging um etwas ganz Konkretes: Um die Kandidatur von zwei von der NPD beeinflussten Listen zur Kommunalwahl.
In dem Aufruf des Bündnisses für Toleranz heißt es: »Bei der Stadtratswahl am 2. März 2008 nehmen auch zwei Organisationen teil, die sich als Initiative besorgter Bürger ausgeben, aber in Wirklichkeit rechtsextreme Tarnorganisationen sind … Der Wahlerfolg dieser Listen würde unserer Stadt schweren Schaden zufügen und undemokratischen Kräften die Chance eröffnen, das Rathaus als Bühne für ihre nationalsozialistische und ausländerfeindliche Ideologie zu nutzen. Mit ihrer Hetze würden sie das vernünftige Zusammenleben und den sozialen Frieden in der Großstadt gefährden. Deshalb rufen wir dazu auf, den beiden rechtsextremen Listen eine Absage zu erteilen.«
Dieser Aufruf wurde auch vom VVN-BdA-Vertreter Martin Löwenberg bei einer von ihm angemeldeten Kundgebung gegen eine von der NPD bundesweit beworbene Veranstaltung der »Bürgerinitiative Ausländerstopp« im Münchner Norden vorgetragen.
Klare Aussagen – in diesem Aufruf steht etwas, dass manche der Unterzeichnenden sich früher nie getraut hätten zu unterzeichnen. Eine deutliche Absage, bestimmte Wahl-Kandidaturen betreffend. Ob dieser Appell bei den Adressaten, den Wählerinnen und Wählern in München, »angekommen« ist, ob die beiden gemeinten Nazi-Tarnlisten – die erwähnte »Bürgerinitiative« und ein Verein, der sich »pro München« nannte – tatsächlich bei der Kommunalwahl außen vor blieben, stand bei Redaktionsschluss dieser antifa noch nicht fest. Andernorts, in Fürth etwa, war es durch antifaschistische Aufklärungsarbeit sogar gelungen, zu verhindern, dass die NPD die für eine Kandidatur benötigten Unterschriften zusammenbekam.
München im März 1933
So etwas hätte natürlich, in diesem 75. Jahr nach der Machtübernahme der NSDAP, auch der ehemaligen »NS-Hauptstadt der Bewegung« gut zu Gesicht gestanden. Hatte doch von hier aus vieles seinen Anfang genommen, das schließlich Europa und die ganze Welt mit Tod und Verderben überzog.
Darüber wird – hoffentlich bald – in einem NS-Dokumentationszentrum in der bayerischen Landeshauptstadt viel zu lernen sein. Über die ersten rassistischen und antisemitischen Übergriffe etwa: Gegen Menschen, die jüdischer Herkunft waren. Erste Opfer waren hier jene, die sich außerdem politisch, juristisch oder künstlerisch gegen die bereits vom braunen Ungeist angesteckten »Eliten« in Stadt und Land engagiert hatten. Oder über den Überfall der SA auf das Münchner Gewerkschaftshaus, der schon Anfang März 1933 stattfand.
Am 22. März 1933 wurde dann vor den Toren Münchens das KZ Dachau »offiziell« eröffnet; die »Schule der Gewalt« für alle künftigen NS-Konzentrationslager. Für »die gesamten kommunistischen und soweit dies notwendig ist, Reichsbanner- und sozialdemokratischen Funktionäre« sei dieses Lager eingerichtet, so der spätere SS-Reichsführer Heinrich Himmler, damals Münchner Polizeipräsident, bei einer Pressekonferenz. Diese Meldung war dann nicht nur im »Völkischen Beobachter«, sondern in der gesamten, angeblich noch freien Presse im von Himmler verkündeten Wortlaut zu lesen. Am 2. Mai 1933 nahm schließlich mit der Besetzung und Enteignung aller Gewerkschaftshäuser in Deutschland die Zerschlagung der organisierten Arbeiterbewegung und die Ermordung der aktivsten Nazigegner ihren Lauf.
Rechte Kampagnen
Auch dieser historischen Bezüge wegen wäre es erfreulich gewesen, wären Nazikandidaturen bei der Kommunalwahl 2008 in München schon im Vorfeld an eine überwindbare Mauer gestoßen. Doch die Verhältnisse waren nicht so.
Hatte doch ein gewalttätiger Überfall von Jugendlichen auf einen Rentner zufällig in einer Münchner U-Bahn stattgefunden. Weshalb daraufhin nicht nur der hessische CDU-Wahlkämpfer Koch versucht hatte, aus der nicht richtig »deutsch stämmigen« Herkunft der Täter politischen Honig zu saugen, sondern auch die CSU-Opposition in München und deren Spitzenkandidat. Mit mehr als eindeutigen Plakaten.
Zumindest eines kann schon jetzt gesagt werden: Genützt hat diese Kampagne bestimmt den braunen Tarnlisten in München beim Unterschriftensammeln. Aber bekannt ist auch: Bei Koch hat es mit dem Appell an dumpfe Instinkte der Wählerinnen und Wähler nicht funktioniert – und auch die hessischen Nazis hatten letztlich kaum etwas davon. Wie es in München ausgehen wird, ist zum Zeitpunkt der Drucklegung dieser antifa noch offen. Wie auch immer: Antifaschistischer Handlungsbedarf wird weiter bestehen.
Antisemitische Hetzblätter
Das erste braune Hetzblatt landete Ende Januar im Briefkasten des Landesbüros der VVN-BdA in München. Es steckte in einem Briefumschlag, ordentlich frankiert, die Anschrift mit Computer geschrieben und aufs Kuvert aufgeklebt. Keine Absenderangabe. Auf dem inliegenden Blatt ein Hitlerbild, die Überschrift »30. Januar 1933/30. Januar 2008« und eine wilde Textmischung aus antisemitischen Ausfällen, Nazipropaganda und Drohungen.
Etwa zwei Wochen später folgte das zweite Pamphlet. »Eine Zusammenrottung von Verbrechern« stand in der Überschrift, darunter ein Foto der neuen Münchner Synagoge und unter anderem dieser Text: »Seit März 2007 gibt es nun den als Gotteshaus getarnten 57 Millionen teuren jüdischen Tempel am Münchner St.-Jakobs-Platz. Was sich hinter den Mauem dieser Synagogenanlage abspielt, meist samstags, spottet jeder Beschreibung. Denn dann treffen sich mehrere hundert jüdische Parasiten, um ihre ekelhaften, zerstörerischen Umsturzpläne auszuhecken.« Auf der Rückseite ein steckbriefartiges Foto der Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch (»die Hauptaktivistin dieser Verbrecherbanden«), eine Attacke auf Münchens OB Christian Ude (»ein bezahlter Büttel des internationalen Finanzjudentums«) sowie weiteres Gegeifer und den fett gedruckten Schlusssätzen: »Deutsche, macht euch frei von der Judentyrannei! Juden raus!«
Die VVN-BdA Bayern hat Mitte Februar Strafanzeige gegen Unbekannt gemäß § 130 StGB wegen Herstellung und Verbreitung dieser Flugblätter gestellt und Charlotte Knobloch und Christian Ude davon in Kenntnis gesetzt. Wie inzwischen zu erfahren war, haben auch andere Adressaten – Organisationen und Einzelpersonen – solche Briefsendungen erhalten.
Ernst Antoni
antifa. Magazin der VVN-BdA für antifaschistische Politik und Kultur vom März/April 2008, Beilage 6 f.