Materialien 2011

Offener Brief an den Oberbürgermeister und den Stadtrat der Landeshauptstadt München

Als Einrichtungen und Initiativen Münchens, die für ihre soziale und kulturelle Arbeit städtische Fördermittel erhalten, fordern wir Sie dazu auf, den Antrag der CSU vom 25.3.2011 auf Einführung einer Extremismusklausel für München abzulehnen.

In dem Antrag wird gefordert, dass alle EmpfängerInnen städtischer Fördermittel folgende Erklärung unterschreiben:

1. Teil der Extremismusklausel

„Hiermit bestätigen wir, dass wir uns zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennen und eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit gewährleisten.“

Eine kritische Haltung – auch gegenüber dem Staat und seinen Organen – inzunehmen, gehört zum Wesen einer lebendigen Demokratie und fällt in den Schutzbereich des Grundgesetzes. Diese Position vertritt auch Harald Georgi, vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages in seinem Gutachten vom 13.01.2011: Dort führt er zum verlangten „Bekenntnis“ aus: „Eine bestimmte Meinung nicht zu haben bzw. nicht äußern zu wollen, fällt in den Schutzbereich des Artikels 5 Abs.1 GG. Die Meinungsfreiheit, die ihrerseits konstituierend für die Demokratie ist, lässt selbst eine kritische Auseinandersetzung mit Verfassungsgrundsätzen und -werten zu. Und gleich das VG Köln im Fall Gössner. (siehe auch unten). Darin heißt es: „Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen ist ebenso erlaubt, wie die Forderung tragende Bestandteile der Verfassung zu ändern.

Dementsprechend reicht die bloße Kritik an Verfassungswerten als Anlass nicht aus, um eine verfassungsfeindliche Bestrebung zu bejahen.“

Des Weiteren fordert die CSU folgende Erklärung zu unterschreiben:

2. Teil der Extremismusklausel:

„Als Träger der geforderten Maßnahme haben wir zudem im Rahmen unserer Möglichkeiten (Literatur, Kontakte zu anderen Trägern, Referenzen, die jährlichen Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder etc.) und auf eigene Verantwortung dafür Sorge zu tragen, dass die als Vertragspartner ausgewählten Organisationen, Referenten etc. sich ebenfalls zu den Zielen des Grundgesetzes verpflichten.“

In der Praxis bedeutet das, dass die ZuschussempfängerInnen der Stadt München zur Zensur- und Kontrollinstanz gemacht werden sollen. Diese Rolle wollen wir nicht einnehmen.

Als Grundlage bei der Auswahl von z.B. ReferentInnen sollen unter anderem die „Erkenntnisse“ des Verfassungsschutzes dienen. Wie leicht man dabei ins Visier des Verfassungsschutzes gerät, zeigen nicht zuletzt die exemplarischen Fälle von a.i.d.a. und Dr. Rolf Gössner. Im a.i.d.a.-Fall entschied der BayVGH am 23.09.2010, dass die Einordnung als „linksextremistisch“ nicht gerechtfertigt ist. Dabei wurden die Verfasser des Verfassungsschutzberichts klar in ihre Schranken verwiesen. So sagt das Gericht in seiner Urteilsbegründung eindeutig, dass „der Bericht über a.i.d.a. ein auch nicht ansatzweise durch tatsächliche Anhaltspunkte nachvollziehbares Negativurteil enthält. Im Fall Dr. Gössner urteilte das VG Köln am 03.02.2011, dass die geheimdienstliche Dauerbeobachtung über 38 Jahre des Rechtsanwaltes, Publizisten und Vizepräsidenten der internationalen Liga für Menschenrechte rechtswidrig war.

3. Teil der Extremismusklausel

„Uns ist bewusst, dass keinesfalls der Anschein erweckt werden darf, dass eine Unterstützung extremistischer Strukturen durch die Gewährung materieller und immaterieller Leistungen Vorschub geleistet wird.“

Der dritte Teil der Klausel erscheint als irrationaler Höhepunkt des CSU Antrags. Was soll es denn bedeuten, dass man den Anschein vermeiden soll, keinen extremistischen Strukturen Vorschub leisten zu wollen? Es gibt keine gesetzliche Definition was „Extremismus“ ist. Was also ist verdächtig, was ist demokratisch oder undemokratisch, was ist Demokratie, wer darf bei der „Zivilgesellschaft“ mitspielen, wer ist „extremistisch“ und muss „leider draußen bleiben“? Eine Extremismusdefinition à la Verfassungsschutz bedeutet die inakzeptable Gleichsetzung von Gesellschaftskritik mit rechtsradikaler menschenverachtender Gewalt.

Bezüglich des „Anscheins“ lässt sich nur sagen, dass dabei nicht einmal gefragt wird, ob die Unterstützung überhaupt wirklich statt findet. Nach dem Motto: Anschein erweckt, obwohl Unterstützung nicht erfolgt, trotzdem Fördermittel gestrichen.

Sollten wir diese Erklärung nicht unterschreiben, würden uns die Leistungen gestrichen. In diesem Falle müssten viele Einrichtungen ihre Arbeit einstellen. Die Stadt München würde ihre Vielfalt im sozialen und kulturellen Bereich einbüßen. Vor allem dem ehrenamtlichen Engagement würde der Boden entzogen.

Wir wenden uns hiermit in aller Deutlichkeit gegen die Vorlage einer „Demokratieerklärung“. Wir betrachten sie als Entmündigung aktiver Mitglieder der Gesellschaft, als Bevormundung von Menschen und Initiativen, die selbstbewusstes und unabhängiges Denken und Handeln fördern. Dieser Versuch der staatlichen Kontrolle von gesellschaftskritischen Meinungen ist zutiefst undemokratisch.

Wir verweisen auf: Wissenschaftliche Dienste des Bundestages (Harald Georgii) v. 13.01.2011, Gutachten des Verfassungsrechtlers Prof. Dr. Dr. Battis v. 29.11.2010 und Vorwort von Friedrich C. Burschel in „Gegnerbestimmung“ von Markus Mohr/ Hartmut Rübener, Unrast Verlag Münster, 2010.


Rundmail vom 18. September 2011.

Überraschung

Jahr: 2011
Bereich: CSU