Materialien 2011

Rede von Wolfgang Blaschka für das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus am 26. November 2011

So tief der Verfassungsschutz im rechten Sumpf watet, so entschieden gehen die staatlichen Behörden und Geheimdienste gegen Linke vor. Das bayerische Innenministerium hat kürzlich eine Offensive gegen „Linksextremisten“ gestartet: Im Internet werden Eltern und Jugendliche in einer Art Ratgeber („Wie erkenne ich Linksextremisten“) vor solchen wie uns gewarnt. Ein deutliches Erkennungszeichen seien u.a. Anti-Nazi-Buttons. Die seien zwar an sich nicht verfassungswidrig und nicht verboten, aber doch ein Hinweis auf unsere Gesinnung des Antifaschismus, der wiederum ein typisches Erkennungsmerkmal von Linksextremisten sei, zumal wenn eine Nazi-Gegnerschaft nicht in demokratischer Absicht bestehe, sondern mit dem Hintergedanken, den Nazis ihre Aufmärsche zu verunmöglichen, durch Blockaden zu behindern oder zu verhindern. Denn für Innenminister Hermann ist klar, dass Nazis ungehindert marschieren dürfen müssen, um ihre braune Propaganda organisiert in die Öffentlichkeit zu tragen.

Dazu lässt er seine Polizei mit großem Aufwand ganze Straßenzüge abgittern und gewaltsam freiräumen. Dazu organisiert seine Polizei einen regelrechten Hol- und Bringedienst per S-Bahn für die braune Brut. Ihre Schützlinge brächten ohne diese staatliche Fürsorge keinen Fuß auf den Boden, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Dabei ist klar: NS-Propaganda darf es seit der bedingungslosen Kapitulation der faschistischen Wehrmacht nach dem Gesetz nicht mehr geben in Deutschland. Der Staat indes garantiert ihr Fortbestehen und begründet das mit seiner wiedererlangten Souveränität und mit demokratischem Recht auf freie Meinungsäußerung, obschon diese für Nazipropaganda explizit ausgeschlossen ist. Ein mehr als seltsames Demokratie- und Staatsverständnis.

Jetzt ist das Erstaunen groß: 10 Hinrichtungen über ein Jahrzehnt im gesamten Bundesgebiet, und niemand wollte den rassistischen Hintergrund dieser Taten erkannt haben. Dass es von NS-Kundgebungen der Menschenverachtung zur Umsetzung ihrer rassistischen Politik in die mörderische Tat nicht weit ist, wissen wir nicht erst seit dem aktuellen Verfassungsschutz-Skandal. Dass aber ein hessischer V-Mann bei der brutalen Hinrichtung eines Internetcafé-Inhabers direkt im Nebenraum sitzt, um zu sehen, wie das Mordvorhaben praktisch umgesetzt wird, ist in dieser Schärfe neu. Seine Legende, er habe dort nur Pornoseiten und Schmuddelvideos geguckt und nicht gewollt, dass seine schwangere Frau davon erfährt, weswegen er nach den zwei Schüssen unbemerkt verschwunden sei, ohne sich um den Toten zu kümmern, klingt wie Hohn.

Nein, das waren keine „Döner-Morde“, es waren deutsche Morde mit deutschen Tätern und staatsbesoldeten Zeugen aus dem Dunstkreis geheimer Ämter, die in der Nachfolge der faschistischen „Organisation Gehlen“ entstanden waren. Deren verbrecherischem Geist scheint auch dieser „Klein-Adolf“ noch immer verpflichtet zu sein. Er ist bis heute im Staatsdienst. „Extremistischer“ geht’s kaum, das Grundgesetz von Amts wegen zu torpedieren. Da verwundert es nicht, dass Dienste, die solche Leute beschäftigen, ihr strenges Augenmerk auf die erklärten Gegner solcher Machenschaften richten, etwa gegen die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten oder auch das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus.

Erst Anfang diesen Jahres haben wir das schmerzlich erkennen müssen, als postum ein Spitzel in unseren Reihen aufflog. Nach dem Tod eines jahrzehntelangen Mitstreiters fanden wir in seinem Nachlass Tondokumente, die das eindeutig belegen: Günter Ketterl hat über Jahre akribisch aufgezeichnet und zur Niederschrift diktiert, was wir auf unseren Sitzungen besprachen, bis hin zu konkreten Angaben zu teils namentlich genannten Personen und ihren Äußerungen. Er bezeichnete sich in diesen Protokollen über Sitzungsverläufe selbst als Quelle. So kam es, dass das Kreisverwaltungsreferat vor einigen Jahren in seinem Auflagenbescheid zur Großdemonstration gegen die so genannte Sicherheitskonferenz (zum ersten und einzigen Mal) den seltsam klingenden Textbaustein einfügte: „Es ist verboten venezianische Masken zu tragen“. Das nahm ganz offensichtlich Bezug auf Überlegungen, die wir angestellt hatten, um uns gegen die totale Videografiererei sämtlicher Demonstrations-Teilnehmer zu verwahren – mit kleinen Pappschildern gegen die Kameras derPolizei. Es gibt keinen Zweifel: Auch wir wurden zum Ziel operativer Spionage.

Im Bayerischen Verfassungsschutzbericht kommen wir ohnehin vor. Selbst die Bundesjustizministerin Leutheuser-Schnarrenberger und diverse Landtags- und Bundestagsabgeordnete, sogar zwei bayerische Verfassungsrichter, kamen so vermutlich in die Akten des VS, weil sie auf Veranstaltungen oder Kundgebungen von Organisationen aufgetreten sind, die rechtswidrig ausspioniert wurden, sei es eine Initiative von ver.di gegen rechts oder ein Demo-Vorbereitungskreis gegen ein bayerisches Versammlungsgesetz, seien es Bündnisse gegen Nazi-Aufmärsche oder gegen öffentliche Gelöbnisse der Bundeswehr. Überall saß der Informant mit drin, und verwaltete obendrein noch unsere Gelder. Das heißt nicht nur, dass jeder Spendeneingang samt Herkunft wahrscheinlich exakt registriert wurde. Das heißt auch, dass Angst und Misstrauen entstehen können, dass die Gefahr der Paranoia droht, dass wir uns einander nicht mehr sicher sein können.

Lassen wir uns davon nicht lähmen in unseren Aktivitäten gegen NS-Bestrebungen unter der observierenden Begleitung des VS! Lassen wir nicht nach in unseren Anstrengungen, den braunen Sumpf endlich ein für allemal trockenzulegen – über 66 Jahre nach dem offiziellen Ende des Nationalsozialismus!

Inzwischen gibt es einen perfiden Plan, wie Initiativen und Einrichtungen, die sich gegen nazistische Umtriebe engagieren und dazu staatliche Gelder erhalten, selbst zu Spitzeldiensten gezwungen werden können. Sie sollen nach einem Erlass bei jeder Veranstaltung, die sie durchführen, einen Gesinnungs-Check bei ihren Rednern und Referenten durchführen, ob diese demokratisch-antifaschistisch, antifaschistisch oder extrem antifaschistisch sind. Mit dem Etikett „Extremistisch“ versuchen die so genannten Verfassungsschützer, Nazis und ihre Gegner in einen Sack zu packen und sich selbst als lupenreine Demokraten darzustellen.

Ihre V-Leute sind aber keine als Nazis getarnten Verteidiger der so genannten Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung, sondern ausgewiesene Feinde jeglicher Demokratie. Ein Siebtel des NPD-Führungskaders steht auf den Gehaltslisten der Geheimdienste. Mit den staatlichen Geldern finanzieren sie ihre faschistischen Strukturen, die sie angeblich aufdecken und unschädlich machen sollen. Aufgrund dieses Agentenheeres wurde nicht nur das NPD-Verbot verunmöglicht, so wird überhaupt der äußerste rechte Rand gepäppelt und konserviert und wie unter Denkmalschutz gestellt – für welche künftigen Gelegenheiten auch immer.

Mit reaktionären Hilfstruppen soll man nicht zimperlich sein, so das Credo des großen Integrators am rechten Rand der CSU, Strauß seinerzeit. Anfangs der 90-er Jahre, während der nationalistischen Pogrome, als fast jede Woche eine Asylunterkunft oder ein von Migranten bewohntes Haus in Flammen aufging, als Menschen zu Tode gehetzt wurden und in allen etablierten Parteien von Überfremdung die Rede war, da wurde den Nazis – statt sie als Brandstifter und Mörder entschieden zu verfolgen – ihr sehnlichster Wunsch erfüllt und das Asylrecht faktisch aus den Angeln gehoben. Der entsprechende Grundgesetz-Artikel wurde soweit deformiert, ausgehöhlt und eingegrenzt, dass es seiner De-facto-Abschaffung gleichkam. Heute kommen politische Flüchtlinge kaum noch legal nach Deutschland, da sie umgehend in angeblich sichere Drittstaaten abgeschoben werden können. Der „Asylkompromiss“ war eine Kapitulation vor Ultra-Rechten und Nazis. Dazu hatten sie ihre Mission tatsächlich erfüllt.

Damals hat die Justiz 10 Jahre gebraucht, um ein Urteil zu sprechen gegen die Täter von Rostock-Lichtenhagen. In Lübeck wurde das Brandstifter-Quartett, das nach der Tat mit Rußspuren an den Fingern in der Nähe des Tatorts aufgegriffen worden war, wieder auf freien Fuß gesetzt, und der Anschlag den Opfern selbst anzulasten versucht. Es wird noch zu überprüfen sein, wessen schützende Hand da im Hintergrund zugunsten des braunen Mobs tätig wurde, wer da im Geheimen die Regie führte. Wehren wir uns also gegen die infame Verkehrung von Opfern und Tätern – und gegen die absichtsvolle Gleichsetzung von Links und Rechts. Sie dient nur der Tarnung und zur Vertuschung jener Umtriebe, die von jungen NS-Nachfolgern unter den Augen und teilweise mit Beihilfe von bundesrepublikanischen Geheimdiensten Angst und Schrecken, Mord und Terror verbreiten sollen, um irgendwann den Ruf nach einem „Starken Mann“ wiederzubeleben.

So, wie es schon Franz Josef Strauß nach dem Oktoberfest-Attentat vergeblich versucht hat. Seine Rechnung ist nicht aufgegangen, seine Kandidatur als Bundeskanzler, der die Republik vor dem Terror, nicht zuletzt auch vor dem solcher Wehrsportgruppen retten will, die er so nachhaltig verharmlost und in Bayern extra nicht verboten hat (bis das Bundesinnenminister Maihofer seinerseits getan hat), ist verdient gescheitert. So wie alle Versuche scheitern werden, faschistische Anschläge den Linken unterzuschieben, die gegen die Urheber und geistigen Brandstifter solchen Terrors seit Jahren und Jahrzehnten kämpfen.

Ein Verfassungsschutz, der Staatsschutz für Nazis garantiert, ist das größte Sicherheitsrisiko für dieses Land. Darum gehört er schleunigst aufgelöst. Mit ihm ist kein Rechtsstaat zu machen, sondern allenfalls ein extremer Rechts-Staat, ein Staat, der ganz weit rechts steht, eine Art Sicherheitsdiktatur nach dem Geschmack der Nazis eben. Darauf aber sei – mit Verlaub – geschissen!

Die jetzt vieldiskutierte Forderung, Geheimdienste und Polizei noch enger zu vernetzen, geht genau in die falsche Richtung. Das hieße den Sumpf noch zu bewässern, und wäre ein weiterer Schlag gegen das Grundgesetz und sein historisch begründetes Verbot einer Verzahnung von Polizei und Geheimpolizei. Ein autoritärer Überwachungsstaat, der auf Vorratsdatenspeicherung drängt und die Computer seiner Bürger mit Trojanern verseucht, schafft nicht das Klima, das nötig ist, um Zivilcourage zu fördern gegen jene Nazis, die genau solche Ordnungsvorstellungen (noch weitergetrieben und perfektioniert im antidemokratischen Führerstaat) zum Programm erheben.

Unter dem Deckmantel des „Kampfs gegen Terror“ ist ohnehin schon zuviel in diese Richtung gedacht und getan worden. Nun gilt es das Ruder herumzureißen: Eine offene Zivilgesellschaft benötigt keine verdeckt operierenden Schlapphüte, die mit Kleinen Adolfs durchsetzt sind, sondern aktive Demokraten, überzeugte Antifaschisten und Menschen, die sich nicht ins Bockshorn jagen lassen von den angeblich alternativlosenSachzwängen eines maroden und marodierenden Wirtschaftssystems, das im Grundgesetz übrigens auch gar nicht eindeutig festgeschrieben ist.

Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte. Eine Gesellschaftsordnung, die nur noch Krisen, Kriege und Katastrophen produziert, muss verändert und überwunden werden – gegen den Widerstand und das Beharrungsvermögen der Ewig-Gestrigen und ihrer Helfershelfer.

Mit rassistischem Morden und Attentaten, um ausländerfeindliche Pogromstimmung zu generieren, muss Schluss sein – und mit ihrer Duldung oder gar Begünstigung durch staatliche Stellen erst recht! Ob fahrlässig oder vorsätzlich, das macht die Sache nicht harmloser. Sollten die ihr Personal nicht genügend kennen oder nicht ausreichend sicherheitsüberprüft haben, – umso fataler. Auch dann sind sie wegen grober Unfähigkeit im Amt angesichts von Gefahr im Verzug sofort stillzulegen und aufzulösen. Denn Geheimdienste, die aus dem Ruder laufen, sind ungefähr so hilfreich wie Pyromanen bei der Feuerwehr. Doch besteht der noch schlimmere Verdacht, dass nicht Inkompetenz oder Föderalismuswirrwarr die Serienmorde des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ ermöglicht haben, sondern vorsätzliche und gezielte Verharmlosung der Gefahr von rechts. Die Verfassungsschutzberichte vergangener Jahre waren diesbezüglich allesamt irreführende Fälschungen.

Es wird immer deutlicher: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.

– Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda. Schon seit 1945 nicht mehr. Die NPD und alle Naziorganisationen verbieten! Den Verfassungsschutz auflösen!

– Schluss mit den Repressalien, den Strafverfahren und Einschüchterungsversuchen gegenüber den AntifaschistInnen, die sich den Nazis konsequent in den Weg stellen! Denn wer täte es denn, wenn nicht wir.


per Email zugeschickt am 27. November 2011.

Überraschung

Jahr: 2011
Bereich: Rechtsextremismus