Flusslandschaft 1974

Alternative Medien

Gegen das Blatt werden verschiedene Verfahren wegen Beleidigung eingeleitet, die später einge-
stellt werden.1

„GRAZIA – Das 21.(Not-)BLATT muss ja einen ganz bemitleidenswerten Eindruck gemacht haben. Schicken uns doch einige Leser Spenden ins Haus! Einer sogar 70,—DM! Wo Ostern doch schon vorbei war! Die Redaktion hat sich entschlossen, diese Geldgeschenke als nicht der Journalisten-
ehre abträglich auf zu fassen, sondern den Spendern herzlich zu danken. Fanden wir wirklich nett!“2

Am 9. August verkaufen vier junge Leute die Rote Fahne vor der Firma Siemens in der St.-Martin-Straße. Aufmerksame Polizeibeamte werden aktiv.3

„trotz inzwischen immer wieder mal ins haus flatternder zurechtweisungsversuche staatlicher her-
kunft, doch gefälligst das politische maul zu halten (die anderen zeitungen schaffen’s ja auch!), trotz vor kurzem erfolgter beschlagnahmung vom 25. BLATT durch die herren der gerichtsbarkeit, trotz gerichtlicher verfahren zu BLATT-artikeln, durch die sich die empfindsame seele der anson-
sten nicht gerade zimperlichen polizei gekränkt sehen will, trotz einstweiliger verfügungen rechts-
radikaler organisationen gegen BLATT, trotz unwahrer behauptungen in franz joseph straußens hauspostille ‚bayernkurier‘, die das rechtsradikale hetzblatt seinen geneigten lesern am 13. april 74 offerierte, trotz einer schleichenden zensur durch eine politische polizei, die sich im pressewesen weniger um recht, dafür umsomehr um politisch astreine grammatik und wortfindung kümmert, trotz zeitweise abenteuerlicher finanzielller situationen, die wir ab und zu mit blau geschwollenem auge, aber immerhin allemal siegreich bestanden, hat BLATT sich bis in den hohen sommer 74 hinein durch den dschungel des schier undurchdringlichen münchner gruppen- und gesellschafts-
lebens gerobbt. die leserzahlen stiegen, die auflageziffern ebenso. – trotzdem: was dem nichts-
ahnenden leser als übermäßige sommerpause, unfreiwillig und ruinös erscheinen musste, war für die BLATT-macher alles andere als ruhe und erholung: bei blatt hats gerappelt. wir haben uns zum kollektiv gemausert. – 1 jahr redaktionsarbeit, aus dem nichts eine zeitung entstehen zu lassen, haben gezeigt, dass auch hier die einzig sinnreiche form von gesellschaftsarbeit nur über kollektive zusammenarbeit aller zu erreichen ist. – von uns aus kanns wieder losgehen. wir rechnen damit, dass ihr von BLATT, seinen möglichkeiten zur kommunikation, zum austausch von erfahrungen, zur zusammenarbeit und zum miteinander leben, wieder regen gebrauch macht, dass ihr BLATT als euer eigenes austauschinstrument von nachricht und erfahrung nicht nur konsumiert, sondern auch mitgestaltet – blatt-kollektiv adu, anatol, jutta, wolfgang“4

Siehe auch „Militanz“.

(zuletzt geändert am 22.8.2021)


1 Siehe www.ur.dadaweb.de/dada-p/P0000901.shtml.

2 Blatt. Stadtzeitung für München 24 vom 31.5.1974, 3.

3 Siehe „Die strafrechtliche Verfolgung politischer Meinungsäußerungen in der Bundesrepublik Deutschland“ von Hartmut Wächtler (1976).

4 Blatt. Stadtzeitung für München 29 vom 20. September 1974, 3.

Überraschung

Jahr: 1974
Bereich: Alternative Medien