Flusslandschaft 1969

SPD

Am 21. Oktober wird Willy Brandt Bundeskanzler. Am 28. Oktober verkündet er in seiner Regie-
rungserklärung ein weitreichendes Programm „innerer Reformen“ und eine neue Ostpolitik. Es kommt zu einer Fülle rechtskonservativer Proteste.

In München endet am 7. Dezember der Bundeskongress der Jungsozialisten, bei dem die Fetzen fliegen. Die Delegierten jagen ihren seit 1967 amtierenden Bundesvorsitzenden Peter Corterier MdB mit Schimpf und Schande davon. Und die Parteiführung traut sich nicht, auf diesem Kon-
gress mit den den aufmüpfigern Parteigenossinnen und –genossen zu diskutieren. „‚Wir müssen ein Zentrum außerparlamentarischer Kräfte werden’, erklärte ein Delegierter, und der Münchner Jungsozialist Hans Kolo höhnte, es sei doch wirklich unsinnig, einem engagierten Jugendlichen zu sagen, erst müsse er seinen Beitrag zahlen, bevor er entscheiden dürfe, was Sozialismus sei und was nicht … ‚Was wir wollen’, so erklärte der neue Bundesvorsitzende Karsten Voigt, ‚ist nicht Spiel-, sondern Handlungsraum zu gewinnen für eine sozialistische Praxis.’“1 In den Resolutionen heißt es: „Die Sozialdemokratische Partei auf Bundesebene hat sich immer mehr den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen … angepasst … Sie hat ihren Charakter als Klassenpartei aufgege-
ben, um sich auch bürgerlichen Gruppen zu öffnen …“2 Die Jusos beschließen die Wende von einer als brav und angepasst geltenden Parteijugend hin zu einem linken politischen Verband. Sie ver-
stehen sich seitdem als „sozialistischer Richtungsverband“ innerhalb der SPD, der auf die inhaltli-
che Ausrichtung der Partei aktiv Einfluss nimmt.


1 Süddeutsche Zeitung 293 vom 8. Dezember 1969, 3.

2 Resolutionen des Bundeskongresses München, in: Handbuch für die Juso-Arbeit, Bonn 1971, III/1.

Überraschung

Jahr: 1969
Bereich: SPD