Materialien 1988
Die bayerische Staatsregierung zensiert, beschlagnahmt, verbietet
Warum fürchten sie so sehr das offene Wort?
Bert Brecht
Eine Veranstaltung des Anti-Strauß-Komitee
Für Meinungsfreiheit und das Recht auf Widerstand
Es reden die, vor denen sie sich fürchten: von Zensur und Verbot Betroffene.
Schüler, ein Redakteur, eine Buchhändlerin, WAA-Gegner, Antifaschisten, Kriegsgegner, Homosexuelle, Volkszählungsgegner
Fr. 8. Juli 88 — 19.30 Uhr
Schwabinger Bräu (Münchner Freiheit)
Anschließend Demonstration zum bayer. Innenministerium
Herausgeber: ANTISTRAUSSKOMITEE
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V.i.S.d.P.: Christian Lehsten, Kapuzinerstr. 52, 3000 München 5. E.i.S.
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Warum fürchten sie so sehr das offene Wort?
Die CSU hat doch in Bayern mit 55,8% die absolute Mehrheit. Von wegen!
Tatsache ist, dass nur 3,2 Millionen der 8,3 Millionen wahlberechtigten Bayern CSU gewählt ha-
ben, das sind 38,5 %. 5,1 Millionen = 61,5 % haben nicht CSU gewählt. (Dieses Ergebnis liegt zum Teil daran, dass viele sich dem Wahlspektakel verweigert haben, wenn auch nicht alle, die nicht gewählt haben, erklärte Straußgegner sind.) So gesehen steht ihre Macht auf recht tönernen Füßen. Wenn man in dieser Zeit in der Oberpfalz, die außer der Wiederaufbereitungsanlage auch noch die Schließung der Maxhütte zu verkraften hat, in ein Wirtshaus geht und die Menschen dort reden hört, dann versteht man, warum Strauß im Oktober 86 zu einer Wahlkundgebung in Schwandorf per Polizei-Hubschrauber einschwebte und sich von 3.000 Polizisten vor „seinen“ Bayern schützen ließ. 2 Millionen hat damals der Polizeieinsatz gekostet!
So sehr fürchten sie uns!
„Ihr hemmt uns …
Ein Rockkonzert für den seit 25 Jahren gefangenen Nelson Mandela, der Symbolfigur des schwar-
zen Widerstands in Südafrika. Die Fernsehanstalten in 60 Ländern der Welt übertragen das Kon-
zert so, wie es aus London ausgestrahlt wird. Nur nicht die Rassisten in Südafrika und – die Bay-
ern! Der strammrechte Fernsehkommentator Lojewski klärte die bayrischen Zuschauer über den wahren, nämlich „terroristischen“ Charakter des Freiheitskämpfers Mandela auf. Er muss es wis-
sen, denn er durfte Strauß im Januar nach Südafrika begleiten. Es ist bekannt, dass die CSU das Monopol für die Meinungsbildung der bayrischen Bevölkerung in Rundfunk und Fernsehen be-
sitzt. Alle wichtigen und fast alle weniger wichtigen Posten in diesen Medien sind von untertänigen CSUlern besetzt.
Aber das reicht ihnen nicht! Um noch mehr Einfluss auch auf die Presse zu gewinnen, erklärte Strauß im Januar zur „Richtlinie der Politik“, dass alle Angriffe gegen die Staatsregierung, einzelne Ressorts oder ihnen nachgeordnete Behörden in der Presse unverzüglich zurückzuweisen sind. Sollten in den Zeitungen negative Bemerkungen auftauchen, sei dagegen sofort Stellung zu bezie-
hen.
Aber auch das reicht noch nicht! Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht irgendeine Veröffentli-
chung von Gegnern der CSU-Politik beschlagnahmt, verboten, zensiert wird. Sie scheuen selbst die absurdesten Mittel nicht, um die Verbreitung oppositioneller Meinung zu behindern.
In diesen Tagen wird einem Verkäufer des Demokratischen Informationsdienst, der Zeitung des Anti-Strauß-Komitee, der Prozess gemacht, weil er ohne Gewerbeschein auf einer öffentlichen Straße unser Blatt verkauft hat.
… doch Ihr zwingt uns nicht.“ (Freiligrath, 1848)
Gegen den erklärten Willen der Mehrheit der Bevölkerung bauen sie die Wiederaufbereitungsan-
lage in Wackersdorf. So sehr fürchten sie die WAA-Gegner, dass ihnen verboten wurde, am 2. Jahrestag von Tschernobyl einen Kranz am Bauzaun niederzulegen.
Es ist aber nicht nur der Widerstand in Wackersdorf.
Es ist der Kampf aller Antimilitaristen und Kriegsgegner gegen diese Bundeswehr, deren Panzer, Bomber, Bomben hauptsächlich in Bayern gebaut werden.
So sehr fürchten sie zwei Kriegsgegner, die an Rekruten Flugblätter gegen die Bundeswehr verteil-
ten, dass sie die jungen Männer in München wegen „Untergrabung der Verteidigungsbereitschaft“ zu Gefängnisstrafen (auf Bewährung) verurteilen ließen.
Sie müssen jede noch so kleine Regung gegen den Abbau der demokratischen Rechte im Keim er-
sticken, denn wir wehren uns gegen ihren Versuch, das Volk in Ausländer, „Drückeberger und Ar-
beitsscheue“, „Scheinasylanten“, HIV-Positive, „Terroristen“ und anständige Deutsche zu spalten.
Sie können nicht dulden, dass wir uns zusammen mit den Kranken und Infizierten gegen die Aids-Zwangsmaßnahmen zur Wehr setzen. Deshalb erkannten sie einer Frau die Bürgerrechte ab: Sie durfte die „Infizierten-Demonstration“ am Pfingstsonntag in München nicht verantwortlich leiten – weil sie HIV-positiv ist.
So sehr fürchten sie unseren Widerstand z.B. gegen die Volkszählung, dass sie deren Gegner in der Apis-Kartei (Arbeitskartei Innere Sicherheit) speichern, die doch angeblich nur für bombenlegende Terroristen gedacht ist. Für Strauß und seine CSU sind wir der ‚Pöbel’ der nicht die Straße regieren darf, und die ,roten Ratten’, die in ihre Löcher gejagt werden müssen.
Gemeinsam gegen Rechts!
Mi, 13.7.88 wird um 19.50 Uhr in der Gaststätte Schlachthof, Zenettistaße, eine Veranstaltung des Anti-Atom-Plenums stattfinden mit dem Titel „Münchner Freiheit“. (Nach den Auflagen des Münchner Kreisverwaltungsreferats darf dies keine Ersatzveranstaltung für die im März verbotene und mit Polizeigewalt aufgelöste Veranstaltung „Tour de Terror“ sein.)
Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Abeiterbewegung