Flusslandschaft 1970

Graffiti

„Admiror, paries, te non cecidisse ruinis / qui tot scriptorum taedia sustineas.“ (Wand, es wundert mich nur, dass nicht längst schon in Trümmern du hinsankst / Die du zu tragen verdammt so vie-
ler Hände Geschmier!) Inschrift in Pompeii CIL IV 1904, 2461, 2487.

Überall in der Stadt ist der Name „Haiduk“ an die Wand gekritzelt. Wer sich um Ordnung sorgt, ist beunruhigt.1

„Narrenhände beschmieren Tisch und Wände“, so der angebliche Volksmund, dem es häufig um Sauberkeit und Ordnung in der bürgerlichen Welt geht. Der Konflikt ist so alt wie die Menschheit.2 An Bauzäunen, an Hausmauern, an Umspannstationen, an Briefkästen, an Denkmälern, in Tele-
fonzellen, in Toiletten finden sich obszöne, beleidigende, poetische, politische, entweihende, aber auch nachdenkliche Worte, oft bei Nacht und Nebel angebracht, die erst bei Tageslicht entdeckt werden. Es ist der Streit um die Hegemonie im öffentlichen Raum. Nicht wenige dieser Äußerun-
gen bleiben unverständlich, sind absurd, sind oft nur Ausdruck des sich Ausdrückenwollens eines, der bis jetzt unentdeckt auch einmal wahrgenommen werden will. Freilich trifft dies vor allem auf Kinder und Jugendliche zu, zu deren Spiel es gehört, sich zu erfinden. Das Politische dabei: Jedes Graffito sagt, ich bin hier. Ich beanspruche den öffentlichen Raum für mich. Egal, ob es euch gefällt oder nicht. Das gefällt naturgemäß denen nicht, die Besitzansprüche anmelden. Besonders dann, wenn sie mit ihrer eigenen Haltung konfrontiert werden. Besonders dann, wenn Systemkritik Pas-
santinnen und Passanten inspiriert.

(zuletzt geändert am 1.1.2024)


1 Siehe „Als die Münchner ratlos waren“.

2 Siehe zum Beispiel http://ancientgraffiti.org/Graffiti/.

Überraschung

Jahr: 1970
Bereich: Graffiti

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