Flusslandschaft 1970
Kinder
Der AStA der Akademie der Bildenden Künste an der Akademiestraße 2 – 4 lädt für den Abend des 29. Januar Buben und Mädchen der drei Münchner antiautoritären Kinderläden zu einem Konzert der Musikgruppe Embryo in die Aula der Akademie ein. Die progressive Musik soll dabei „die Kinder zur Entfaltung eigener Aktivität anregen“.1
Vom 10. bis 13. Juni verteilt die Gruppe „Kunst Erziehung Kybernetik Soziologie“ (KEKS) Flugblätter vor Schulen im Hasenbergl und in Fürstenried sowie auf Kinderspielplätzen und im Englischen Garten. Darin heißt es: „Kinder aller Länder vereinigt euch! … Spielplatz ist überall … Wir lassen uns nirgendwo mehr das Spielen verbieten.“ Es kommt zu unterschiedlichen Reaktionen. „FOLGEN DER AKTION: Die Initiatoren wurden am 7. Juli 1970 zu einer Bezirksversammlung am Hasenbergl eingeladen, die die Freigabe von Rasenflächen für Kinder als Tagesordnungspunkt aufgenommen hatte. Auf der Versammlung wurde die Initiative durchaus begrüßt, die Methode des Vorgehens allerdings kritisiert, weil nämlich Kinder zum ‚Ungehorsam’ aufgefordert und als Informationsträger für ihre Eltern ‚benutzt’ worden waren.“2
Vierzig Kinder stürmen am 15. Juli mit ihren Eltern das Münchner Rathaus, um gegen dreißigtausend fehlende Kindergartenplätze zu protestieren. Die Stadträtinnen und -räte lehnen es ab, die Eltern (Sprecherin Ingeborg Weber) vor der Vollversammlung reden zu lassen, eine Delegation mit Bürgermeister Dr. Hans Steinkohl und Stadtschulrat Anton Fingerle hört sich jedoch die Klagen und Forderungen der Eltern im kleinen Sitzungssaal an. Neben der Forderung für Kindergartenplätze für alle Kinder werden noch genannt: Abbau autoritärer Strukturen in den Kindergärten und die Förderung der antiautoritären Modellkindergärten, eine bessere Bezahlung der Erzieher und eine Erhöhung der Zuschüsse. Am Abend findet auf Initiative des Bayerischen Elternverbandes und des Arbeitskreises der Kindergärtnerinnen im Löwenbräukeller am Stiglmaierplatz eine Protestversammlung gegen den Kindergartenmangel statt.3
„HU-Arbeitskreise Kindergarten und Vorschulerziehung — Seit September trifft sich in München regelmäßig der Arbeitskreis Kindergarten und Vorschulerziehung. Er setzt sich mit theoretischen und praktischen Problemen der repressionsfreien Erziehung in unserer Gesellschaft auseinander und versucht zum Beispiel Empfehlungen für Selbsthilfegruppen und Öffentlichkeitsarbeit zu entwickeln. — Diskussionsgrundlage bilden die Erfahrungen des Kindergarten Pasing (vgl. Vorgänge Nr. 5). Das Kindergartenseminar der HU in Wiesbaden bestimmte die Arbeit im Kindergarten wesentlich. — Besonderer Wert wird auf ein nicht leistungsorientiertes, emotionales Selbstverständnis, auf die Befähigung zu einem kritischen sozialen Verhalten und auf die Entfaltung von Kreativität und Spontaneität gelegt. Den parallel geförderten seelisch oder geistig gestörten Kindern werden keine isolierten Fertigkeiten beigebracht, sondern es wird eine Förderung der Gesamtpersönlichkeit versucht. Sie erfahren ihre eigenen Bedürfnisse und lernen, sich ihrer Stärken bewusst zu werden und ihre Schwächen selbständig zu beherrschen. Die Elternarbeit wird durch eine analytische Müttergruppe seit September intensiviert. — Die Teilnehmer des Arbeitskreises bitten die Mitglieder der HU um Unterstützung des vielversprechenden Modells. Der Kindergarten Pasing ist ein gemeinnütziger Verein und kann Spendenquittungen ausstellen. Spenden werden auf das Konto 197076 der Hypo München-Pasing erbeten.“4
Das neu entstandene gesellschaftliche Verhältnis zu Kindern, deren Interessen ernst genommen werde, löst auch einen Boom für Kinder- und Jugendtheater aus. Allerdings sind die bis jetzt gezeigten Stücke meistens fragwürdig.5
Die Deutsche Friedensgesellschaft/Internationale der Kriegsdienstgegner (DFG/IdK) führt am 19. Dezember eine Weihnachtsaktion „Abrüstung im Kleinen für die Kleinen“ gegen den Kauf von Kriegsspielzeug durch. Eltern und Kinder können mit Holzhämmern altes oder neu gekauftes Kriegsspielzeug selbst vernichten und erhalten dafür sinnvolles Spielzeug geschenkt.
1 Siehe dazu „Spieltherapie statt Kinderläden“.
2 Aktionsraum 1 oder 57 Blindenhunde, München 1971, 142; siehe „Hasenbergl …“.
3 Fotos von Dimitri Soulas, Fotomuseum.
4 Mitteilungen der Humanistische Union 45 vom Oktober/November 1970, 1 f.
5 Siehe „Nach allen Regeln der Polizeikunst“ von Melchior Schedler.