Materialien 1966
Wollt ihr die totale Idiotie ?
Wollt ihr die totale Idiotie ?
Bereits eine halbe Stunde vor Beginn rauft man sich um die letzten Karten für die große Show. Selbst Studenten, die jede Mark in der Mensa zweimal umdrehen, drängeln sich danach, die Kampfstätte zu erreichen. An Ordnern und betont freundlichen DN-Verkäufern vorbei stolpert man über unzählige Fernsehkabel und Kamerafüße zu einem Platz – wenn man Glück hat.
Beim Anblick der Unmenge von Pressevertretern, Rundfunk- und Fernsehteams hat man den Eindruck, die Welt blickt auf Schwabing. Die Stimmung ist bereits durch die Menschenmenge, genügend Bier und eine schneidige Blechkapelle angeheizt – dunstiges Oktoberfestzelt gegen 21 Uhr am Maurermontag. In diesem Mief müssen große Ideen gedeihen.
Einzug der Gladiatoren; wie gehabt. Nach den üblichen Präliminarien ist die Stimmung bereits prächtig, es kann beginnen. Doch man wurde enttäuscht.
In langatmigen Tiraden versucht der Bundesvorsitzende T h i e l e n politische Zusammenhänge zu einem Gordischen Knoten zu knüpfen und sich selbst den Anstrich eines seriösen Politikers zu geben. Allerdings scheint ihn dies mehr anzustrengen als seine Tätigkeit als Betonfabrikant. Von der Stirne trieft der Schweiß und das Wasserglas fährt verdächtig oft zum Mund, um die Worte besser herauszuspülen.
Das Publikum verlustiert sich inzwischen an mehr oder weniger witzigen Zwischenrufen; der Her-
stellung von Papierflugzeugen, lang anhaltendem Klatschen, Buhen und Lachen. Dem politischen Kolleg hört niemand zu. Man kam her, um seinen Spaß zu haben. Thielen bietet ihn nicht, also macht man ihn selbst.
Die Szene ändert sich blitzartig, als der Einpeitscher K o t z i o s mit Goebbelscher Phraseologie am Mikrofon erscheint. Das Publikum beantwortet den Apell an die „totale Idiotie“ mit lautstarker Ab-
lehnung.
Dies wiederum gefällt den Ordnern nicht, einer Mischung aus alten Kämpen, aalglatten, schleimi-
gen Grüßgottsager-Typen und einigen jugendlichen Neandertalern, die sich durch die Blasmusik und einige Maß Bier in eine „Mogst-raffa“-Stimmung hineintragen lassen.
Und wirklich, mit einer ungeahnten Behendigkeit wird bereits der erste Delinquent durch den Gang gezerrt, geschleift, gestoßen, wobei er wie ein Schnellpaket in einer Stafette zur Tür befördert wird. Scheinwerfer leuchten auf, der Augenblick des Fernsehens ist gekommen, die Tür ist nun die Bühne. Der Saal brodelt, über allem die schrille, fast sich überschlagende Stimme des Amtsge-
richtsrats. Beim zweiten Hinauswurf versuche ich mich für die Mentalität und die Argumente der Ordner zu interessieren, die sichtlich verbissen ihren Aggressionstrieb bei dieser willkommenen Gelegenheit abreagieren; fast auch an mir. Doch die Polizei mit Münchner Charme reagiert. Die Veranstaltung wird im Treppenhaus fortgesetzt, während der Amtsgerichtsrat immer noch keift. Das Fernsehen beleuchtet die Bühne, um durch Bildberichte genügend Schaulustige für die näch-
ste Veranstaltung anzulocken.
Alles in allem: Für 2.– DM sieht man im Türkendolch bessere Western und kann mit der Gewiss-
heit noch Hause gehen, dass alles nur gespielt war, während die NPD ein Fortsetzungsthriller ohne happy-end zu werden scheint. Die jungen Mitglieder glauben anscheinend immer noch, die Demo-
kratie mit diesem Hackebeilchen „kurieren“ zu müssen unter dem DNSZ-Motto: „Schlagt die Ro-
ten, wo ihr sie trefft!“ Wir werden uns nicht wie beim Western mit dem Zuschauen begnügen dür-
fen.
PS: Im Türkendolch sind die Stuhllehnen nicht aus Plüsch!
Hans Kolo
Direkt. Zeitschrift der Münchner Jungsozialisten Januar/Februar 1967, 46 f.