Materialien 1966
Abgeblitzt
Magnus: … Wenn ein Ehrenmann einsieht, dass er unfähig ist, die Pflichten eines öffentlichen Amtes auszufüllen, tritt er zurück.
Proteus (erschrocken): Worauf wollen Sie hinaus?
Bernard Shaw, Der Kaiser von Amerika
Nicht jeder Ehrenmann ist so einsichtig, seine Unfähigkeit zu öffentlichem Amte zu begreifen. Nicht alle cleveren Amtsinhaber sind Ehrenmänner und lassen Fähigere an ihre Stelle. Arg wirds aber, wenn Uneinsichtigkeit, Unfähigkeit und verschrobener Ehrbegriff geradezu zur Devise auf dem Marsch ins öffentliche Amt zusammen gesteckselt werden.
Am Vorabend der Bayernwahl lud die NPD im Landkreis Starnberg zu ihrem Wahlkampf-Finale in Herrsching ein. Mit Diskussion. Schon einiges vor 8 Uhr war ein Saal im Andechser Hof gerammelt voll.
Eine erkleckliche Schar junger Leute, Schüler wie Praktikanten, harrt an den Tischen, auf denen das Wahlkampfblatt der Nationalen die Überfremdung der deutschen Kultur, die Überfremdung der deutschen Wirtschaft, die undeutsche EKD, undeutsche Emigranten und undeutsche Gammler dem gfl. gesunden Scharfrichterempfinden überantwortet und Südtirol-Feuerwerkern guten Mut zuspricht. Weils die Nation brauche.
Die Augen meines Nachbarn leuchten und schauen fest und zuversichtlich drein. „Viel Jugend da, Kamerad!“ Ich erinnere mich an die nationale Substanz meines Landkreises, die sich nicht nur durch die Zungen Wilhelm Pleyers, Söcking, und Heinrich Zillich, Starnberg, grell zu äußern ver-
mag. Erst kürzlich hatte der Nationaldichter Bernt v. Heiseler vor dem Starnberger Kunstkreis Bu-
zentaur unter der rhetorisch gemeinten Frage „Vaterland – noch modern?“ die weihevolle Pflicht-
erfüllung auf dem Altare des Reichs im Wotankriege besungen. Elly Ney, Tutzing, zelebriert wie eh vor dem Führer immer noch ihre Art von Beethoven.
Der NPD-Redner aus Bremen gratuliert sich und seiner Partei zur Jugend im Saal, trägt energisch Erklärungen der SPD zur Unionskrise als die eigenen vor und wird dann national. Zugegeben, in der Zeit von 1933 bis 1945 hätte der Nationalsozialismus „zu einigen Übertreibungen“ geführt, doch habe der deutsche Soldat nur seine Pflicht getan und könne auf seine Orden nur stolz sein und jetzt endlich wieder wählen. Doch da protestiert die viele Jugend im Saal kräftig. Richtig ent-
artet wird eine Oberschülerin, die nach dem Inhalt jener „Pflicht“ im Hitlerkrieg und der Herkunft der Kriegsorden fragt. Ein anderer will sich mit der Verniedlichung des NS-Regimes als „einige Übertreibungen“ nicht zufrieden geben und soll nach ein paar weiteren Bemerkungen auf Geheiß des Versammlungsleiters hinausgeworfen werden. Er beruft sich aber aufs Versammlungsgesetz und bleibt. „Aufräumen“ müsse man endlich mit den Journalisten von „monitor“, und „panorama“ und „Hallo Nachbarn“, kommt der NPD-Redner in Fahrt. „Wie?“ fragen die jungen Leute zurück. Der NPD-Redner deutet mit dem Finger auf die vor ihm sitzenden Schüler: „Da sitzen sie, die Pro-
dukte der Umerziehung!“ – „Pfuiii, das soll unsere junge Nation sein!“ schimpft ein Herr und be-
ginnt, sich die Jacke auszuziehen, wird aber von den Kameraden zurückgehalten. Ja, wenn weniger von diesen Umerzogenen im Saal wären … „Wieso sind Sie eigentlich überhaupt hier!“ ruft der Gast aus Bremen, „Sie haben doch, wenn ich mir Sie so angucke, noch gar keinen Wahlschein!“
Dann hat er keine Lust mehr weiterzumachen. Aber wenn jemand den Mumm habe, nach vorn zu kommen, sich vorzustellen und zu sagen, was ihm denn nicht passe. Drei Mitglieder der SPD und ein Vertreter der FDP erhalten von der Jugend im Saal, ja von fünf Sechsteln der Zuhörer gar kräf-
tigen Applaus. Der Versammlungsleiter beendet die Veranstaltung. Eine Hausfrau tritt zu den jun-
gen Leuten und bedankt sich spontan. Ein älterer Mann schiebt sich zu einem der jungen Disku-
tanten vor und gibt ihm zu erkennen, dass er auf Grund „einiger Übertreibungen“ ins KZ gesperrt worden sei. Die jungen Leute hätten ihn sehr gefreut. Besonders die junge Dame.
Es war viel Jugend da, von der die NPD abgeblitzt wurde. Eine Partei, die es nicht fertig bringt, sich von der abscheulichsten Partei zu distanzieren, die es je gab.
Götz Eggers
Direkt. Zeitschrift der Münchner Jungsozialisten Januar/Februar 1967, 44 f.