Materialien 1980
Wahl
“Ouuh – it must be an election thing” (ouuh – es muss ein Wahlding sein) … sagte eine amerikanische Touristin beim Anblick des anachronistischen Zuges.
Der „Anachronistische Zug“ war da – und der Pfarrer von München fehlte. Nachdem sein Kollege, der Sonthofner Hirte, im Verein mit der Jungen Union und OberSA Kreuzer aus Augsburg den Zug mit der Drohung, sich mit Mann und Maus vor ihn hinzuwerfen, zum Stoppen gebracht hatte und ein Pritschenwagen mit Hitler und Strauß darin zunächst verboten worden war, konnte der Zug die „Stadt der Grabsteinlegung“ (Brecht über München) in der für sie schon gewohnten Ruhe passieren.
Kalt ist’s mir den Buckel runterglaufn, wie die ersten Wehrmachtsfahrzeuge und die silbergrau dezenten Luxuslimousinen schön der Reihe nach, wie’s im Buch steht, über den Sendlinger-Tor-Platz gerauscht sind. Kalt, weil’s bis auf den deutschen Westerwald, der aus einem Lautsprecherwagen mit einer Simulanzkapelle drauf schallte, so aalglatt ablief. Nach über vierstündiger Wartezeit hätte man eigentlich mit freudiger Begrüßung rechnen können, aber die blieb im Hals stecken – der Zug war kein beschaulicher Kunstgegenstand mehr, sondern bedrohlich und – in diesem Moment – Realität.
„Für den Sieg im III. Weltkrieg“, „Für Deutschland in den Grenzen von 1937“ und „Mit uns für Freiheit statt Politik“, „Freiheit statt Befreiung“, in bekannter weiß-grün-blauer CSU-Manier waren die wortgewaltigen Fetzen, die uns in wenig abgewandelter Form seit Wochen um die Ohren gehauen werden. Am Schluss des Zuges dann ein Möbelwagen mit einem riesigen Konterfei von Brecht himself an beiden Seiten und – dahinter der Demonstrationszug der Wartenden, der Zug derer, die seit Wochen und Monaten nur noch eins im Sinn haben: dass der ehemalige Atomminister nicht Bundeskanzler wird. Und um das zu verhindern, wird vom Berufsverbot bis zur Wohnungsbaupolitik alles ins Spiel gebracht, was als reaktionär beschrieen werden kann.
Recht so, aber nicht Brecht so. Was im Schatten der immer monströseren Panikposter bleibt, ist immerhin ein ganz gehöriger Batzen 10-jähriger SPD/FDP-Politik, und eben diese Politik soll heute dafür herhalten, gegen Strauß und seine Polit-Generäle schwarz an die Wand gemalt zu werden. Schließlich waren es Schmidt, Genscher und Maihofer, die mit der Verschärfung des Polizeirechts, Überwachung und Datenschutz einerseits und der Schaffung eines Sozialstaates mit all seinen sozialen Ecken und Bunkern auf der anderen Seite das Land befriedet haben, so dass „Tunix“ zum bitteren BRD-Alltag wurde. Und jetzt, wo mit Strauß endlich ein durchsichtiger Exponent bürgerlicher Reaktion und als solcher auch wunderbar angreifbar den Marsch auf Bonn antritt, wird jene Koalition, die man nie so richtig in den Griff gebracht hat, als kleineres Übel buchstäblich links liegen gelassen – und Tunix zu Tuwas: mit einer Ausschließlichkeit, die es mir schwer macht, im Anti-Strauß-Chor mitzusingen.
So wurde denn auch der Eindruck, den der Zug als solcher machte, im Anschluss an die Rezitation auf dem Königsplatz zunichte gemacht. Warum? Der starr auf dem Beifahrersitz eines Bundeswehrjeeps stehende und für den II. Weltkrieg werbende Offizier mit dem stählernen Kinn, das zu Stein gewordene Gesicht Adenauers, die Neuzeit-Sturmtruppen der Plakat-, Objekt- und Personenschutzorganisationen im trauten Verein mit Kirche und Justiz, die den Haken am Kreuz halt überklebt haben, hatten Aussagekraft genug und hätten als solche ruhig im Raum stehen bleiben können. Aber nein! Hinterher musste noch ein Katalog von Forderungen a la „Freiheit für die einen und Unfreiheit für die anderen“ folgen, analog zu den kleinkrämerischen Papptäfelchen im Demonstrationszug, die da lauthals die Entlassung des Lehrers Meier von der NPD reklamierten. Aber anscheinend können halt das Hiob Hannerl, die KPD-Aufbautante Kammrad und ihre eifrigen Mitstreiter nichts im Raum stehen lassen und müssen halt überall ihren überflüssigen und in seiner Bedeutung auch sehr fragwürdigen Senf von sich geben.
Der Zug rollt weiter? Vorerst schon, wenn auch grundsätzlich mit Verspätung. Als handele es sich tatsächlich um eine staatsgefährdende Aktion, ist die grüne Minna im Auftrag ihrer bekanntermaßen staatlichen Brötchengeber tagtäglich aufs Neue drum bemüht, dem Zug ein verkehrstechnisches Schnippchen zu schlagen – stundenlange Wartezeiten am Straßenrand sind die Folge davon; schließlich ist die Gefahr, dass der Verkehr zum Erliegen kommt, zu groß, und außerdem braucht man sich dann nicht den Vorwurf machen zu lassen, man wollte die Freiheit der Kunst einschränken. Doch ned bloß as ‚A-bopa’* macht Scherereien, auch des Volkes Seele kocht: Während es in München ‚nur’ zu vereinzelten Missfallenskundgebungen wie „dreckiges Kommunistenpack“ und einem ominösen Pflasterstein kam, wird dem „Anachronistischen Zug“ auf dem Land schon wesentlich mehr in den Weg gestellt. Vom besagten Pfarrer bis zum Mistwagen am Dorfeingang sind der u.a. von der CSU geschürten ländlichen Phantasie keine Grenzen gesetzt – Beispiel auch dafür, wie der Zug im großstadtpolitischen Vakuum untergeht, zu nächtlicher Stunde und fünf Tage vor dem Wiesenumzug, vier Tage vor der Schmidtrede am Marienplatz und eine Woche vor §traußens Auftritt am selben Ort.
Werner
:::
*das A-bopa: „… alles, was einem das Leben verbittern kann … Mit einem Wort, die ganzen Widerwärtigkeiten vom Staat, von den Ämtern, vom Gericht und der Polizei.“ (Oskar Maria Graf)
Blatt. Stadtzeitung für München 181 vom 29. September 1980, 13 f.