Flusslandschaft 2002

Kapitalismus

„IRRTUM DER KRITIKER // Häufig wird heute / behauptet / der Kapitalismus / habe versagt / Als Beleg werden / die hohen / Arbeitslosenzahlen / die Verarmung der Massen / angeführt / Aber versagt hätte der / Kapitalismus nur / wenn / Vollbeschäftigung / und allgemeiner / Wohlstand / sein Ziel / gewesen / wären“ Knut Becker1

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Institutionalisierte Verbände sind bei Jugendlichen nicht wirklich attraktiv. Ganz anders attac mit seiner basisdemokratischen Netzstruktur. ver.di München gründet gemeinsam mit attac und dem Bund Naturschutz eine „WasserAllianz München“. Das Bündnis will die Privatisierung der Wasser- und Abwasserwirtschaft verhindern und landesweit ähnliche Projekte anstoßen. Von der Bundes-
regierung fordert es eine finanzielle Entlastung der Kommunen: Häufig seien Haushaltslöcher der Städte der Grund für den Verkauf kommunaler Wasserversorger.

Am 12. Juni erscheint das Diskussionspapier »GATS – Die Neoliberale Globalisierung der öffent-
lichen Dienstleistungen«.3

Die rot-grüne Koalition im Bund hilft den großen Kapitalgesellschaften, in dem sie die Veräuße-
rungsgewinne steuerfrei stellt. Und damit die daraus resultierenden Steuermindereinnahmen den Bund nicht gar so schmerzlich treffen, beschließt man noch eine Änderung der Gewerbesteuerum-
lage zu Ungunsten der Kommunen. Zudem nutzen die großen internationalen Konzerne auch die schier unerschöpflichen Möglichkeiten des Steuersystems. Mittels der Zauberwaffe der steuerli-
chen Organschaft werden die Gewinne und Verluste zwischen den in- und ausländischen Betriebs-
stätten hin- und hergeschoben, bis von der Steuerschuld nichts mehr übrig blieb. Die HypoVer-
einsbank
zum Beispiel meldet, dass sie für 2001/2002 keinerlei Gewerbesteuer mehr zu zahlen habe. Dies bedeutet einen Ausfall von 120 Millionen Euro, mehr als zehn Prozent der erwarteten Gewerbesteuereinnahmen. Damit ist der Haushalt der Landeshauptstadt München für 2002 nicht mehr aufrecht zu erhalten. Im Juli meint Oberbürgermeister Ude: „München ist pleite“. Das Miss-
verhältnis zwischen von zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben ist so gewachsen, dass eine Haushaltssperre beschlossen wird. Damit werden alle Ausgaben (Investitionen, Zuschüsse, etc.), für die die Stadt noch keine Verpflichtung eingegangen ist, zunächst gestoppt. Gleichzeitig wird in den Verwaltungshaushalten der Referate weiter gekürzt: zwei Prozent bei den Lohnkosten, fünf oder zehn Prozent bei Sachkosten, fünf Prozent bei den Zuschüssen an soziale Einrichtungen. In der Vollversammlung am 6. November werden die Resultate der Haushaltssperre vorgelegt: 61 Millionen Euro werden laut Nachtragshaushalt insgesamt eingespart, fast die Hälfte davon im Schul- und Sozialreferat. Woher jetzt neues Geld nehmen? Schon 1999 wurden U-Bahnen und Straßenbahnen verleast, die Stadtwerke München erhielten damals 38 Millionen DM. Inzwischen macht ein neues Wort die Runde, das Zauberkräfte zu haben scheint: „Cross-Border-Leasing“. Es ist schon verrückt, man will tatsächlich das Rathaus an US-amerikanische Investoren verleasen (headlease) und dann zurückleasen (sublease). Beide Vertragspartner haben davon einen Nutzen. Der Investor kann nach US-Recht das Leasingobjekt in seiner Bilanz aktivieren, die Abschreibung steuerlich geltend machen und die Kommune am Gewinn beteiligen (vier bis fünf Prozent des Transaktionsvolumens). Und nach 24 Jahren schreiben bei Vertragsende „beide Eigentümer“, der Investor und die Kommune, das Objekt ab, so dass sowohl in den USA wie in der BRD die Steuer-
last sinkt. Oder noch besser: Man verkauft das Rathaus an eine „Objektgesellschaft“ (GmbH & Co.KG), über deren Gesellschafteranteile die Stadt als Kommanditist zu hundert Prozent verfügt, und mietet das „Objekt“ zurück, was einen Verlust für den Länderhaushalt zur Folge hat. Dieses Nachdenken über Formen der „Sonderfinanzierung“ zur Entlastung des städtischen Haushalts lösen weitverbreitetes Kopfschütteln und auch Proteste aus. — Auf die Münchner Stadtwerke haben es die Konzerne RWE, E.ON, EnBW und ausländische Energieriesen abgesehen.

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Susanne Lettow spricht am 16. Dezember zum Thema »Gerechtigkeit und Herrschaft. Soziale Ungleichheit und die „Neue Mitte“« im Club Voltaire.5

Siehe auch „Medien“.

(zuletzt geändert am 16.9.2024)


1 Knut Becker, Dienstagstexte, Rothenbuch 2002, 63.

2 Grafik: Bernd Bücking. In: Franz Garnreiter/Sonja Schmid, Ware Wasser. Die Wasserwirtschaft zwischen Daseinsvorsorge und Profitmaximierung, isw-Report Nr. 53, Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München e.V., Dezember 2002, 25.

3 Siehe http://www.gegenentwurf-muenchen.de/gats.htm und http://www.gegenentwurf-muenchen.de/gats_eu.htm.

4 Grafik: Bernd Bücking. In: Bernd Bücking/Fred Schmid, Steuern. Lust der Konzerne und Reichen, Last der Arbeitnehmer und Verbraucher, Leid der Städte und Gemeinden, Grafikdienst Nr. 9, Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München, August 2003, 18.

5 Siehe http://www.gegenentwurf-muenchen.de/gerlett.htm.

Überraschung

Jahr: 2002
Bereich: Kapitalismus