Flusslandschaft 1957

Religion

Satiriker überschreiten schnell Grenzen. Besonders, wenn der Verdacht entsteht, sie wollten „religiöse Gefühle“ verletzen. Proteste werden laut, Rechtsanwälte werden aktiv. Am 14. Mai teilt der Justitiar des Ordinariats des Erzbistums München und Freising der Redaktion des Simplicissimus mit, man gedenke Strafanzeige wegen Gotteslästerung und Religionsbeschimpfung zu erstatten. Erst wenn eine Gegendarstellung in einem der folgenden Hefte erscheine, denke man an eine außergerichtliche Beilegung. Da ist es oft besser, klein beizugeben.1 — Auf dem Titel des Heftes 23 vom 8. Juni, das die Gegendarstellung enthält, findet sich aber eine neue Provokation:


„Komm, Heil‘ger Geist! – „Unbekanntes Flugobjekt, Planquadrat 9 Strich 6 Strich 57 – Feuer frei!“

Der Volkszorn wütet. Der Münchner Fritz Winkler meint „im Namen vieler Gläubiger“, man solle den Schmutzfinken vom Simplicissimus die Hände abschlagen. „Und Pater Leo Ort, der seiner Predigt vom 16. Juni 1957 über den Bayerischen Rundfunk ein entsprechendes Zitat aus der Heiligen Schrift (3. Mose 24, 10 – 14) vorausschickte, stellt, nachdem er uns der Gotteslästerung überführt zu haben glaubte, wehmütig fest, dass man Menschen wie uns, die wir seiner Ansicht nach zum schauerlichsten Teil der Menschheit gehören, früher einmal gesteinigt habe! … Wir wehren uns hier nicht nur dagegen, mit der Elle eines beschränkten Auffassungsvermögens gemessen zu werden, nicht nur dagegen, dass die Kanzel, von der herab der Priester kraft seiner Berufung die Wahrheit der Lehre und die Tröstungen der Kirche über die Unzulänglichkeit alles Irdischen verkünden soll, in zunehmendem Maße für sehr profane und diesseitige Dinge mißbraucht wird. Wir wehren uns vor allem dagegen, dass sich die Kirche im Rahmen der von ihr forcierten Klerikalisierung des öffentlichen Lebens nunmehr auch einer Anstalt des öffentlichen Rechts, wie es der bayerische Rundfunk ist, bedient, um uns vergessen zu machen, dass der Schwarmgeist Girolamo Savonarola bereits 1498 das Zeitliche segnete. – Warum übrigens, Herr Pater Ort, erwähnten Sie in Ihrer Predigt, nachdem sie die Bezeichnung ‚Trinity‘ für die Atomisierung Hiroshimas als Gotteslästerung empfinden, mit keinem Wort die Tatsache, dass sich an jenem 6. August 1945 ausgerechnet ein Geistlicher christlicher Konfession fand, der für die Bomberbesatzung ein Gebet sprach? Ein Gebet für jene Handvoll Soldaten, die kurz darauf das Leben 70.000 unschuldiger Menschen auslöschten. Ein Gebet, in dem es heißt: ‚… Mögen sie (die Flugzeugbesatzung) mit Deiner (Gottes) Hilfe diesen Krieg zu einem schnellen Ende bringen.‘“2

Ein neues Ärgernis, die Nummer 25 vom 22. Juni:


„Die deutsche Prozession … Und sie trugen ein goldenes Kalb unter dem Himmel und stellten noch mancherlei Götzen zur Schau und streuten Aktien unter die Menge. Und das Volk lief zuhauf, warf sich nieder und schrie: Diese lasset uns wählen.“

Und wieder protestieren Katholiken aus ganz Deutschland, die Katholische Aktion der Diözese Augsburg stellt Strafantrag. Die Münchner Justizpressestelle gibt am 19. Juli bekannt: „Die Zeitschrift SIMPLICISSIMUS hat in der Nummer 25 der Ausgabe vom 22. Juni 1957 auf der Titelseite unter der Überschrift ‚Die deutsche Prozession‘ eine satirische darstellung veröffentlicht, die zum Ausdruck bringt, dass im Zeichen des Wirtschaftswunders das Goldene Kalb angebetet werde, und die die Ausgabe von Volksaktioen als Wahlschlager darstellt. Die Staatsanwaltschaft München I hat von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgesehen, weil sie den Tatbestand einer religiösen Beschimpfung nicht als erfüllt ansieht.“3

Am 28. Juni behandelt der Haushaltsausschuss des Bayerischen Landtags die Betriebe, an denen der bayrische Staat beteiligt ist. Alois Hundhammer meint, „der Simplicissimus sei voller Zoten und stehe mit 500.000 Mark Druckschulden beim Münchner Buchgewerbehaus in der Kreide, an dessen Stammkapital der Staat mit 40 Prozent beteiligt ist.“4 Der Finanzminister solle sich der Sache annehmen. Herausgeber Olaf Iversen bemüht sich daraufhin beim Landgericht und beim Oberlandesgericht vergeblich per Einstweiliger Verfügung, Hundhammer zu untersagen, weiterhin diese Behauptungen aufzustellen. Schließlich verfasst er gegen den Rat des Chefredakteurs Herbert H. Hofner einen Angriff auf den CSU-Abgeordneten5, woraufhin dieser ihn wegen Beleidigung anzeigt. Der Titel der Nummer 29 vom 20. Juli zeigt den geifernden Abgeordneten:


„’Ceterum censeo Simplicissimum esse delendum’ (Deutsche Übersetzung: Kultusminister ist er nicht mehr, Landtagspräsident ist er nicht mehr, aus dem Parteivorstand haben sie ihn hinausgewählt — wenn er nächstes Jahr noch das Parteibuch hat, muss er froh sein.)“

Chefredakteur Hofner antwortet mit einem eigenen Artikel.6 Am 19. Januar 1959 werden Iversen in der causa Hundhammer gegen Simplicissimus zu 1.500 Mark, Hofner zu 800 und Zeichner Josef Sauer zu 200 Mark verurteilt.

Und weiter gehts mit der Nummer 32 vom 10. August:


„Liebe Parteifreunde … als nächstes spricht jetzt unser Parteimitglied Jesus Christus.“

Prompt erstattet der Münchner Weihbischof Dr. Neuhäusler Anzeige und die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I meint auch, „dass die Verwendung des Namens Jesus Christus in dem gewählten Zusammenhang einen schweren Mißbrauch und eine grobe Entgleisung darstelle und geeignet sei, das religiöse Empfinden weiter Kreise zutiefst zu verletzen. Die vom Reichsgericht entwickelte Rechtssprechung zwinge jedoch bei einer satirischen Darstellung, zu ermitteln, was dargestellt werden sollte, weil nur DAS strafrechtlich gewürdigt werden könne. Aus diesem Gesichtspunkt sei die Erklärung des beschuldigten Redakteurs NICHT zu widerlegen, dass die Veröffentlichung lediglich Auswüchse im Bundestagswahlkampf kritisieren sollte. Aus diesem Grunde habe das Ermittlungsverfahren ‚trotz des Ärgernisses , das die Veröffentlichung erregen mußte und erregt hat‘, eingestellt werden müssen …“7

Inzwischen hat Iversen eine Kampagne los getreten. Er fordert zur Unterstützung des Simplicissimus auf, fordert neue Abonnements und tatsächlich: Hunderte von zustimmenden Briefen treffen bei der Redaktion ein, das Blatt zählt jetzt mehrere Tausend neue Abonnenten. Iversen sieht eine neue Zeit anbrechen.8


1 Siehe „Die drei Weisen aus dem Abendland“ von Paul Hilbert sowie die Distanzierung der Redaktion des Simplicissimus.

2 Simplicissimus 27 vom 6. Juli 1957, 419.

3 Zit. in a.a.O.

4 Süddeutsche Zeitung vom 20. Januar 1959

5 Siehe „Ihr düftet übel, Alois“ von Olaf Iversen.

6 Siehe „Weihwasser allein genügt nicht!“ von Herbert H. Hofner.

7 Main-Post, Würzburg vom 17. August 1957.

8 Siehe „An unsere neuen Leser!“ von Olaf Iversen.

Überraschung

Jahr: 1957
Bereich: Religion