Materialien 2013

Rede am Jahrestag des Münchner Abkommens

am 29. September 2013
vor der Hochschule für Musik und Theater zum Start der
internationalen Antikriegs-Aktion „Klassenkampf statt Weltkrieg“ nach Prag

Gemeinsam erinnern wir hier an ein Abkommen (gemeint ist das Münchner Abkommen), das nicht nur den Weg zum zweiten Weltkrieg geebnet hat, sondern auch schon vorher die schreckliche Reichskristallnacht, wie sie manchmal heißt, die Reichspogromnacht, die, ohne dass es internatio-
nale Proteste gegeben hätte – man dachte ja, man ist so in einem friedlichen Bereich mit diesem Nazi von Hitler.

Leider ist es nicht gelungen, hier an diesem Ort, im ehemaligen Führerbau, wo Chamberlain, Daladier, Mussolini und Hitler das Abkommen ausheckten, Musik von Erwin Schulhoff auf-
zuführen. Schulhoff war Jude, er wurde von den Nazis im KZ ermordet.

Die Aufführung wäre ein symbolischer Auftakt zum Jahrestag dieses Abkommens gewesen, es ist aber in wochenlangen Diskussionen mit der Leitung der Hochschule und zwei Staatsministern, nicht gelungen, Schulhoff in den Saal der MHS zu bringen, man gestattete es nicht einmal renom-
mierten Musikgruppen hier auf der Treppe vor der Musikhochschule zu spielen, nein, diese Hochschule sollte von Politik bewahrt werden. Was hat sie – die Musikhochschule – stattdessen heute Abend gemacht? Sie hat eine Veranstaltung durchgezogen, die wirklich nicht unpolitisch war, sondern sich auch mit dem befasste, was damals geschehen war vor 75 Jahren.

Was ich vor allen Dingen empörend fand, es ist da ein Tag – der 26. September – gewählt worden, der in München, in ganz Deutschland, unter anderen Kennzeichen steht. An diesem Tag hat sich 1980 das fürchterlichste Attentat der Neonazis in Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg er-
eignet. Gundolf Köhler, der bis zum heutigen Tag als Einzeltäter bezeichnet wird, aber in engster Verbindung zu der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann stand – hat mit seiner Bombe 12 Menschen, Gäste des Oktoberfests, die da fröhlich um 22 Uhr 14 sich auf den Heimweg machten, ermordet. Bei dem Anschlag wurden über 200 Menschen zum Teil fürchterlich schwer verletzt.

Ich habe das damals mitgekriegt, weil ich für den Rettungsdienst zuständig war für die Stadt. Da lagen die Leichenteile, da lagen die abgerissenen Arme und Beine auf der Straße. Da war das Blut und die fröhlich gestimmten Leute kamen aus dem Oktoberfest. Zurückblickend auf dieses schreckliche Ereignis hoffe ich für die Zukunft, dass sich bayerische Staatsregierungen, verant-
wortliche Leute von Hochschulen, staatlichen Hochschulen in ihrem Handeln daran erinnern, dass wir eine bayerische Verfassung als Grundlage unseres Zusammenlebens haben. In dieser Verfas-
sung heißt es in der Präambel – die zeigt ja die Zielrichtung an, in der eine Verfassung das Zu-
sammenleben regulieren soll – wörtlich: „Angesichts des Trümmerfelds, zu dem eine Gesell-
schaftsordnung ohne Gott, ohne Gewissen und ohne Achtung vor der Würde des Menschen die Überlebenden des zweiten Weltkriegs geführt hat, in dem festen Entschluss, den kommenden deutschen Geschlechtern die Segnungen des Friedens, der Menschlichkeit und des Rechts dauernd zu sichern, gibt sich das bayrische Volk nachstehende demokratische Verfassung.“

Dies sollte ein Leitfaden sein und ich glaube, es ist auch für Euch ein Leitfaden für zukünftiges Verhalten. Da genügt nicht eine Alibiveranstaltung der Staatsregierung wie die von vor drei Tagen in diesem Haus, die ausgerechnet am Tag des Oktoberfestanschlags stattfand, an der Übrigens kein Mitglied der Staatsregierung, geschweige denn ein Kranz der Staatsregierung am Haupteingang der Theresienwiese zu sehen war. Die aus meiner Sicht abseitige Ablehnung der Aufführung mit der Musik von Erwin Schulhoff hier im ehemaligen Führerbau , mit der Begründung, da dürfe heutige Politik nicht stattfinden, verkennt natürlich auch das Wesen von Musik und Theater. Die sind nicht unpolitisch! Der Leitung der Hochschule für Musik und Theater, die diesem Irrglauben noch aufsitzt, würde ich empfehlen, mal in die Kammerspiele zu gehen. Da ist vor drei Tagen Büchners Stück „Dantons Tod“ aufgeführt worden. Da zeigt sich, was Theater und Musik mit Politik zu tun hat. Für die Zukunft hoffe ich, dass dies anders wird.

Wie aktuell das Thema des Konvois nach Prag ist, zeigen auch die Äußerungen der Bayrischen Vereinigten Wirtschaft vom 27. September vor zwei Tagen, da heißt es (Zitat eines Vertreters der Bayrischen vereinigten Industrie): „Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen (gelte es) zu er-
halten und auch die Arbeitskosten von durchschnittlich 37 €€ pro Arbeitnehmer in der Stunde der Westdeutschen Industrie … deshalb hoffe ich, dass die nicht mehr weiter steigen.“ (Zitat Ende)

Dann wird erwähnt, in allen Industrieländern seien diese Kosten niedriger, in Tschechien, dem Nachbarstaat, lägen sie bei 10 €€ pro Arbeitsstunde. Das heißt, was man dort ausnutzt und was man versucht, weiter auszunutzen, das fehlt bei uns noch.

Außerdem heißt es dann, wir bräuchten weiter einen flexiblen Arbeitsmarkt, keine zusätzliche Regulierung von Werkverträgen, Zeitarbeit oder Befristungen von Arbeitsverhältnissen und keine Einführung von flächendeckenden gesetzlichen Mindestlöhnen. Das ist eine offizielle Äußerung, gegenüber der wohl nur Klassenkampf hilft, denn – tun wir nichts dagegen – werden uns solche Zielsetzungen lange, lange zementieren in jetzigen Verhältnissen einer Spaltung der Gesellschaft, und nicht nur der Spaltung der Gesellschaft in Deutschland, sondern auch der Spaltung der Ge-
sellschaft in ganz Europa.

Was dieser Gedenkkonvoi bedeutet, ist im Urteil eines Münchner Gerichts ganz richtig gesagt worden – das bitte ich auch die beiden Polizisten (wo sind sie denn?) sich zu merken, dieses Ge-
richt stellte fest: „Was hier stattfindet, ist eine Friedensveranstaltung, eine Antikriegsveranstal-
tung.“ Das müsse akzeptiert werden, und zwar in der Form, wie sie hier gezeigt ist. Es ist eine Mischung zwischen Politik und Kunst. Über diesen Spruch bin ich sehr froh.

In diesem Sinne wünsche ich dem Konvoi nach Prag viel Erfolg und Resonanz, auch bei anderen offiziellen Stellen in Bayern. In Prag, in Tschechien, wird es wohl von vornherein möglich sein.

Herzlichen Dank und alles Gute!

Klaus Hahnzog


zugeschickt am 17. Oktober 2013

Überraschung

Jahr: 2013
Bereich: CSU