Materialien 1986
Der Weißwurst-Rambo
Diesem Typus von Politiker gehört die Zukunft: er ist jung, noch unter 40 Jahren, akademisch (in Jurisprudenz) ausgebildet, doch jede Theorie ist ihm ein Graus; im Kopf und im äußeren Erschei-
nungsbild wird das Konservative gepflegt, mit ausreichend Sympathien für die ökologischen Seiten des Lebens; sein Denken strotzt vor Geschichtslosigkeit, aber trotzdem (?) ist er populär. Als Schüler war er Gründungsmitglied der scharf rechts angesiedelten „Schüler-Union“, als Student war er RCDS-Vorsitzender und fühlte sich verpflichtet, den Schutt der linken Studenten-
bewegung wegzuräumen. Heute ist er einer, der ohne Fisematenten zupackt, notfalls mit eigenen Händen („Politik ist eine schmutziges Sache“). Er legt sich mit der „Unterwelt“ genauso an wie mit der Oberwelt. Er katzbuckelt nicht in seiner eigenen Partei – solange es der Karriere nicht schadet, versteht sich. Solche Männer braucht das Land.
Die Rede ist von Peter Gauweiler, promovierter Jurist („Konfliktsituationen des Gemeinderats-
mitglieds“), Kreisverwaltungsreferent der Stadt München seit 1982. Wenn „Härte und Entschlos-
senheit unumgänglich nötig ist, um so ein wüstes Land wie Bayern umzuschaffen“, wie vor mehr als 200 Jahren ein reisender Franzose schrieb, dann ist Gauweiler der richtige Mann am richtigen Platz. Wer München umschafft, der schafft auch Bayern, der schafft auch …
Bundesweit bekannt wurde er 1984 durch seine heroische Alkoholikerverteidigung gegen die Zapfmoral auf der bundesdeutschen Bierwallfahrtsstätte, dem Oktoberfest. Da zogen Gauweiler und seine beamteten „glorreichen Sieben“ von Bierzelt zu Bierzelt, ließen sich a Mass einschenken und maßen penibel mit dem Lineal die Differenz zwischen Gerstensaft und Schaum. Was die Oktoberfestbesucher schon lange wussten und die Gazetten von Flensburg abwärts schon seit Jahren kolportierten, wurde jetzt amtlich mit dem Siegel der bayerischen Landeshauptstadt bestätigt: Preis und Gegenleistung stimmten beim Ausschank des Hopfengoldes auf der Wiesn allzu oft nicht überein. Ein Vergehen, das im Weserbergland oder auf der Schwäbischen Alp noch am Stammtisch bewitzelt werden kann, in München jedoch als Politikum noch weit vor der Ver-
abschiedung des städtischen Haushaltes rangiert. Und da die Gauweiler-Truppe schon mal auf der Theresienwiese war, wurde gleich hinter den Thresen mitaufgeräumt. Sie ließen sich die Arbeits-
verträge der Kellnerinnen und Schweinswürstelbrater zeigen und entdeckten just bei dem ange-
sehensten Wiesn-Baron, dem Süßmeier Richard, einen florierenden schwarzen Arbeitsmarkt. Gegen den kämpferischen Widerstand der Süßmeier-Belegschaft, die, gewerkschaftlich gut ge-
schult, ihre Arbeitsplätze gefährdet sah, entzog das Kreisverwaltungsreferat dem Festwirt vom „Armbrustschützenzelt“ die Schankerlaubnis. Die Wirte hatten Schaum vor dem Mund, aber das Oktoberfestvolk applaudierte stehend Beifall. Gauweiler, privat eher als Freund von Bananenmilch denn von Gerstensaft bekannt, hatte sein Gesellenstück abgelegt. Ein Jahr später gab es auf der Wiesn wieder Recht, Ordnung und volle Maßkrüge.
Zwischen den Oktoberfesten fahndete er schon mal persönlich nach „menschlichem Unrat“
(O-Ton aus der Süddeutschen Zeitung vom 4.3.86, dem Blatt der besseren Kreise in München),
in der ohnehin schon pieksauberen Münchener U-Bahn-Unterwelt. Eine Stadt der Zukunft, wie München sich selber in der Außenwerbung preist, muss sauber sein. Armut und das Strandgut von Modernisierung und Easy-Going dürfen im Stadtbild nicht erscheinen. Sah Gauweiler, der Exeku-
tor dieses Stadtimages, Dreck herumliegen, wurden Passanten, in denen er „Penner“ oder im SZ-
Jargon „menschlichen Unrat“ zu erkennen glaubte, angehalten, für Sauberkeit zu sorgen. Einer grantelte den Kreisverwaltungsreferenten als „Gauleiter“ an – Gauweiler, zutiefst getroffen, erstattete sofort Anzeige.
Musikanten in der Fußgängerzone bekommen es mit Gauweiler zu spüren, wenn sie zu laut oder zu viel spielen. Für sie hat er einen eigenen, ordentlichen deutschen Verhaltenskodex für den Aufent-
halt auf den Straßen vor den Konsumkathedralen erlassen und wehe, eine Querflöte spielt einen Ton zu hoch und ein Phon zu laut.
Selbst die Grünen, ansonsten zwischen libertärem Anarchismus und pathetischem Republikanis-
mus schwankend, finden an einigen Teilen der rigorosen Aufräumphilosophie von Peter Gauweiler Gefallen. Die „Ökos“ sind voll des Lobes über die „Parkkralle“, dem Lieblingsspielzeug Gauweilers. Das von Parteifreunden geführte und den Bayerischen Motorenwerken durchaus nicht ungeneigte Innenministerium jedoch versucht, mit rechtlichen Argumenten den Einsatz von mehr Landespoli-
zei gegen Parkplatzsünder in München einzuschränken.
Feministinnen loben Gauweilers Anti-Porno-Kampagne, mit der das Bahnhofsviertel wieder seine so urgemütliche altbayrische Gemütlichkeit zurückerhalten soll. „Wir müssen dankbar sein, dass hier so hart eingeschritten werden soll“ (eine Stadtabgeordnete der Grünen). Gauweiler selbst protzt derweil unter Unionsfreunden: „Der Frankfurter Oberbürgermeister, der soviel Probleme mit seinem Bahnhofsviertel hat, wird München beneiden.“ Mit der liberalen Phase der Münchener CSU, die Ende der siebziger Jahre die Neppzone in Bahnhofsnähe großzügig (oder auf Druck der halbseidenen Klientele) zugelassen hat. Muss jetzt Schluss sein.
Wo auch immer Dreck, Unordnung und Unsittlichkeit in der Isar-Metropole anzutreffen sind – ein Anruf genügt und der Gauweiler-Notdienst ist schon da.
Ein Rambo des Rechtsstaates. Konflikte sind dazu da, gelöst zu werden, statt über sie zu schwät-
zen. „Ich kenne keine Parteien mehr, nur noch Freunde und Gegner sauberer Verhältnisse.“ Klare Fronten sind angesagt. Wenn das keine Erfolgstypen sind, um der „neuen Unübersichtlichkeit“ Herr zu werden …?
Eine Gesellschaft, deren Mitglieder zunehmend Gefallen finden an den Stößen von Ellenbögen und dem Naturrecht der Fäuste, bedarf auch entsprechender politischer Repräsentanten. An den Feier-
tagen lässt man schon mal liberale Bürger ihre Bekümmernisse über die verwahrlosten Zustand der Societät formulieren, wenn nur im Alltag ohne Glacéhandschuhe die Normalität, die deutsche Normalität, gesichert werden kann. Diese Aufgabe erledigen die neuen Politiker, die jüngeren Brüder der „Enkelgeneration“ vom Schlage eines Gauweilers, mit einer Perfektion, die sie zu größeren Aufgaben berufen erscheinen lassen.
Carl-Wilhelm Macke
links. Sozialistische Zeitung 193 vom April 1986, 17.