Materialien 1988
Semantische Raubzüge
Das Beispiel der Republikaner
„Der Zentralrat der Juden ist die fünfte Besatzungsmacht in Deutschland. Wir sind stolz, Deut-
sche zu sein. Wir haben als Deutsche nichts mehr zu verschenken. Wir müssen dem deutschen Volk seine Seele wiedergeben … Wir wollen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit in der Tradition der Französischen Revolution und des Hambacher Festes.“ Weder handelt es sich bei dieser Satzmontage um eine Satire noch haben sich hier vielleicht Druckfehler eingeschlichen. Wir haben hier vielmehr die Quintessenz einer Rede vorangestellt, mit der Franz Schönhuber in Wahlkampf-
veranstaltungen der Republikaner Stimmungen im rechtsnationalen Lager artikuliert und gleich-
zeitig immer wieder neu entfacht. Schönhuber und die Republikaner seien hier nur stellvertretend für andere Neokonservative genannt, für die der Kampf an der „semantischen Front“ einen ent-
scheidenden Stellenwert in der Auseinandersetzung mit linken und liberalen Ideen besitzt.
Bei den Landtagswahlen in Bayern haben die Republikaner bekanntlich vor zwei Jahren erstaun-
liche Stimmengewinne verbuchen können, die sie aber bei den folgenden Wahlen in anderen Bundesländern trotz vollmundiger Prophezeiungen nicht wiederholen konnten. Als eine typische „Mittlerpartei“ stehen die Republikaner für die erklärten Neo-Nazis noch zu sehr im Umfeld der etablierten bürgerlichen Rechten, und das „seriöse“ Bürgerklientel der CDU scheut den offenen Übergang zu einer außerparlamentarischen neo-rechten Splitterpartei. Auch einige bajuwarische Accessoires der Republikaner mögen dazu beitragen, dass sie jenseits der Grenzen des Freistaates kaum auf Interesse stoßen. Die Botschaft der Republikaner aber liegt voll im Trend: „Deutschland darf nicht auf Auschwitz reduziert werden. Wir sind nicht die Hunnen der Neuzeit“ (aus einem Flugblatt der Republikaner).
Mögen auch die Wahlerfolge der Republikaner bescheiden sein, so hat ihr Auftreten in der Öffentlichkeit aber den Blick auf jenes, von der vorherrschenden Modernisierungspolitik brachgelassene Feld eines fundamentalen und nationalen Konservatismus gelenkt.
Das erklärte Ziel der CDU-Modernisierungsfraktion, den Kontakt zu den neuen, innovations-
bereiten Mittelschichten nicht zu verlieren, ist offensichtlich nur zu erreichen durch Aufgabe der Integration von ultrarechten Klientelkreisen, die zu einem Teil auch zu sozialen Opfern der gesell-
schaftlichen Modernisierung gehören. Aus wohlverstandenem Eigeninteresse meldet gegen diese Strategie der „rechten Abgrenzung“ vornehmlich die CSU erhebliche Bedenken an. „Man soll den großen Verdienst der CSU anerkennen, dass sie rechts, dass sie die Mitte und rechte Mitte so besetzt hat, dass es eine legitimierte Rechtspartei bei uns nicht gegeben hat und nach meiner Überzeugung und nach meinem Bemühen nicht geben soll“ (Franz-Josef Strauß, in SZ, 16.1.1987) Wenn überhaupt, dann ist die Hegemonie der CSU in Bayern, und das heißt gleichzeitig auch ihre bundespolitische Bedeutung, nur durch den Verlust von Loyalitäten im rechten Stammklientel zu destabilisieren. Für Strauß sind die Republikaner, deren politische Positionen ihm ja keineswegs so ferne stehen, jedenfalls eine willkommene Manövriermasse bei seinen machtpolitischen Rochaden im konservativ-bürgerlichen Parteienspektrum.
Andererseits dient der Hinweis auf tatsächliche oder nur relative Stimmengewinne nationalisti-
scher Kleinparteien vielen linken Kommentatoren zu einer Dramatisierung rechter Politisierung in der Bundesrepublik, die aber tatsächlich erst in Verbindung mit der nicht parteigebundenen Neo-
Nazi-Szene einen Realitätsgehalt gewinnt. Sicherlich lässt jeder zusätzliche elektorale Zugewinn offen chauvinistischer Parteien aufhorchen. Trotzdem verführt eine ausschließlich auf Wahlergeb-
nisse fixierte Optik zu einseitigen und verkürzten Interpretationen, die zu entscheidenden Dimen-
sionen der patriotischen Renaissance in der Bundesrepublik nicht vorstößt. Diese Renaissance lässt sich nämlich nur bedingt an Wahlergebnissen ablesen, weil sie bis hinein in Klientele von
SPD und Grünen spürbar ist. Die Fixierung auf die rechten Splittergruppen würde daher von einer Beachtung und Bewertung dieser parteiübergreifenden Grundstimmung in der BRD nur ablenken.
„Der Begriff ,Rechtsextremismus’ erweist sich dabei als unscharf, weil er den Anschein erweckt, es handele sich am ,Außenseiter der Gesellschaft’, die da ideologisch tätig werden; tatsächlich geht es aber eher um Rechtsentwicklungen in der politischen Stammkultur der Bundesrepublik" (Arno Klönne). Vor allem aber gerät durch diese Konzentration auf Wahlergebnisse aus dem Blickwinkel, dass das eigentlich Bemerkenswerte des ultrarechten Landgewinns nicht in der Eroberung von Wahlprozenten liegt, sondern in der schleichenden Eroberung von Begriffen und Symbolen, die traditionell zum linken Besitzstand gezählt werden. Schon in ihrer Namensgebung zerren ja die Republikaner die Linke unmittelbar auf das Feld der semantischen Abgrenzung.
In der Weimarer Zeit bezeichneten sich als Republikaner jene radikalen bürgerlichen Demokraten und Pazifisten, die Partei ergriffen gegen die deutschnationale und nationalsozialistische Rechte. Gegen den nach wie vor wilhelminisch geprägten Obrigkeitsstaat verteidigten die „alten“ Repu-
blikaner die Ideen der demokratischen Republik. „Unsere Republik ist noch kein Gegenstand des Massenbewusstseins, sondern eine Verfassungsurkunde und ein Amtsbetrieb“ (Carl von Ossietz-
ky). Die Studentenbewegung von 1968 hatte ihre vielleicht wichtigsten intellektuellen Inspiratoren außerhalb der Universitäten in den Republikanischen Clubs. Die Traditionen dieser Clubs gingen zurück auf die Ideen der Französischen Aufklärung und Revolution, auf die deutsche 1848er Revolution, auf Voltaire, Heine und Marx. Und noch heute versteht sich der Republikanische Anwaltsverein als Verteidiger demokratischer Grundrechte gegen einen allgegenwärtigen auto-
ritären Staat. Ein Republikaner sein, so lässt sich jedenfalls bis heute diese kurze Begriffsge-
schichte resümieren, heißt, sich als Verfechter liberaler, aufklärerischer und radikaldemokratischer Ideen zu verstehen, um damit auch grundsätzlich die Legitimität sozialistischer Optionen offen-
zuhalten.
In Bayern und vielleicht auch in einigen Landstrichen Baden-Württembergs haben es hingegen
die sich um den Alt-Nazi Franz Schönhuber sammelnden Rechten jetzt geschafft, den Begriff des Republikaners gänzlich anders und neu zu besetzen. Hier ist ein Republikaner, wer die offene Ausgrenzung von Ausländern aus dem gesellschaftlichen Leben propagiert, wer den Abbau von Grundrechten vorantreibt und einen Polizeistaat fordert und wer sich vor allem zum „wahren und guten Deutschsein“ bekennt. In gleichem Atemzuge, und dies verschlägt dem linken Zuhörer dann endgültig den Atem, bekennen sich diese „neuen“ Republikaner ebenfalls zu den Traditionen der Französischen Revolution und des auf dem Hambacher Fest von 1832 gegen feudalstaatliche Repression aufbegehrenden liberalen und demokratischen Bürgertums. In diesem Sinne lässt Schönhuber etwa seine patriotischen Law-and-Order-Reden stets enden mit pathetischen Be-
schwörungen von Liberté, Egalité und Fraternité.
Sich diesen semantischen Raubzügen der Konservativen (keineswegs nur der extremen Rechten!) entgegenzustellen, hieße nun aber auch, über eigene emanzipatorische Definitionen der von rechts enteigneten Begriffe zu verfügen. Und hier zeigt sich immer schmerzlicher ein großes theoretisches Vakuum auf Seiten der Linken. Oskar Negt ist da (leider) nur zuzustimmen: „Die Konservativen haben immer ein sicheres Gespür dafür gehabt, welche bedeutende Funktion die Verfügung über das Symbolspektrum der öffentlichen Sprache für die Stabilisierung des Herrschaftssystems hat. Die Linke hat nicht in gleicher Weise ein Bewusstsein davon entwickelt, dass die ,sprachliche Waffenlosigkeit’ ein wesentliches Element der ,politischen Machtlosigkeit’ ist“ (in „links“, Mai 1986).
Carl-Wilhelm Macke
links. Sozialistische Zeitung 222 vom Oktober 1988, 16 f.