Flusslandschaft 2018
Rechtsextremismus
Begleitend zur Sonderausstellung „Nie wieder. Schon wieder. Immer noch“ im NS-Dokumenta-
tionszentrum erscheint ein gleichnamiger Katalog. Er liefert einen gelungenen Überblick über den Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945: Winfried Nerdinger (Hg.), Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945, Berlin 2017, ISBN: 978-3-86331-369-2. Im Buch präsentiert Robert Andreasch, Mitarbeiter des aida-Archivs, eine Chronik des Rechtster-
rorismus in Bayern seit 1945, die in dieser Form ihresgleichen sucht.
In der Mitgliederzeitschrift der Gewerkschaft ver.di Nr. 8/2017 schreibt Josef Mannefeld, er habe die AfD gewählt. Er bekommt einige Antworten, u.a. diese: „Was mich ärgert, ist, dass Kollege Mannefeld als Hindernis für die Beseitigung der offenkundigen Skandale wie Kinder- und Alters-
armut in einem der reichsten Länder der Welt die plötzliche Flüchtlingswelle 2016 ausmacht. Natürlich weiß er, dass schon vorher jahrelang eine systematische Bevorzugung der Multis (11 Prozent Unternehmenssteuer gestrichen!) und eine Verarmung der kommunalen Vorsorge statt-
gefunden hat und die Schere zwischen Reich und Arm sich gewaltig geöffnet hat – auch ohne den Zustrom armer Menschen. An der Armut bzw. Perspektivlosigkeit dieser Millionen ist ja die Glo-
balausbeutung auch unserer Konzerne nicht unbeteiligt! Schon 2009/2010 hat unser angeblich zahlungsunfähiger Staat die kriminellen Banken mit weit über 500 Milliarden Euro vor der Pleite bewahrt und deren Schulden zu öffentlichen Schulden gemacht, wo wirklich ein Aufstand fällig gewesen wäre. Auch die letzten fünf Jahre mit unerwartetem Steuermilliardenplus haben nicht die Situation der Schulen und Krankenhäuser verbessert, sondern weiter die Reichen noch reicher ge-
macht. Wie also kommt der Kollege Mannefeld da zu der Annahme, dass die Gelder, die wir even-
tuell durch den Rausschmiss bedürftiger Menschen aus Arabien, Afghanistan und Afrika einspa-
ren, für die Bedürfnisse unserer Normalbevölkerung verwandt werden und nicht wieder auf zig Umwegen bei unseren Steuerhinterziehern landen? Nein, eine Umkehrung dieser völlig richtig als Katastrophe eingeschätzten Politik erreichen wir nicht durch unsolidarische Frontstellung gegen die noch Ärmeren, sondern nur durch gemeinsamen Kampf gegen die dünne Schicht der Profitma-
cher und ihrer Polithelfer. – Bernd Bücking, München“1
Islamhetzer, Ausländerfeinde und Neonazis wollen sich nach längerer Abwesenheit wieder völ-
kisch-nationalistisch bemerkbar zu machen. Unter dem Motto „Pegida – das Original in München. Gegen Islamisierung, offene Grenzen und Asylmissbrauch“ wollen sie am 17. März um 15 Uhr eine Kundgebung auf dem Marienplatz veranstalten und dann – so ist es geplant – durch’s Tal, über den Thomas-Wimmer-Ring, durch die Maximilian- und Dienerstraße zurück zum Marienplatz marschieren. Dazu erwarten sie Verstärkung von den PEGIDA-Einpeitschern Lutz Bachmann und Siegfried Daebritz, einem erklärten AfD-Höcke-Fan vom äußeren rechten Rand. Versammlungs-
leiter der Demonstration ist der Islamhasser Michael Stürzenberger, Organisator zahlreicher Kundgebungen gegen den Bau von Moscheen in München. Das Münchner Bündnis gegen Krieg und Rassismus ruft auf zum entschiedenen Protest gegen die braune Demagogie der als „Rechts-
populisten“ eher verharmlosten Neonazis: „Das zersetzende Gift völkischer Parolen, rassistischer Sprüche und menschenverachtender Nazipropaganda darf nicht widerstandslos hingenommen werden – weder in unserer Stadt noch anderswo! Zeigen wir zahlreich und unmissverständlich unsere bunte Gegenwehr!“2
„Zwei Genossen beteiligten sich mit 18 weiteren Aktivist*innen in München an einer Sitzblockade gegen ‚Bagida‘. Daraus resultierten für die beiden Strafverfahren wegen ‚Nötigung in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das versammlungsrechtliche Störungsverbot‘. Dem einen Genossen wurde zusätzlich vorgeworfen, bei seinem Abtransport Widerstand geleistet zu haben. Letztlich wurden beide Verfahren vom Amtsgericht ohne Auflagen und gegen 20 Sozialstunden eingestellt. So ent-
standen lediglich Rechtsanwaltskosten in Höhe von 596,19 Euro und 684,43 Euro, welche die Rote Hilfe e.V. jeweils zur Hälfte trägt.“3
Bellevue di Monaco & München ist bunt teilen mit: „Die Dresdner PEGIDA und ihr Anführer Lutz Bachmann wollen der bayerischen Landeshauptstadt am Samstag, 17. März, ihren ungebetenen Besuch abstatten. Die Münchnerinnen und Münchner wollen die Gelegenheit nutzen und einmal mehr zeigen, dass sie sich nicht von einer neuen Volksempfindlichkeit anstecken lassen! Die ein-
gebildeten Kranken von Rechtsaußen blockieren die politische Befundaufnahme seit Monaten mit ihren Beschwerden. Und verlangen obendrein: ‘Herr Doktor, sagen Sie mir meine Wahrheit.’ Die offene Gesellschaft zeigt erste Symptome eines pathologischen Befalls, aber wir sagen: Liebe Pati-
enten! FÜRCHTET EUCH NICHT! WIR HELFEN EUCH! Wir lindern die historische Demenz und kurieren dumpfe Gefühle. Es gibt ein Heilmittel: der gesunde Menschenverstand! Bitte jetzt ein-
mal tief Luft holen: Kommt alle am 17. März in der Berufsbekleidung der Ärztinnen- und Pfleger-
schaft! Bringt Blumen und Genesungwünsche! Und dann frei durchatmen: wir wollen als städti-
scher Klinik-Chor zusammen mit einer stattlichen Anzahl anderer Chöre einen Abgesang auf völki-
sche Parolen, Fremdenfeindlichkeit und den Notstand in der Pflege der Demokratie erklingen las-
sen! Wir wollen in den höchsten Herztönen für die freie Gesellschaft singen! MIT OFFENHEIT UND TOLERANZ SIND WIR DA CHOR! – DIE ÄRZTE KOMMEN unterstützt durch die Münch-
ner Chöre: Syrischer Friedenschor, Münchner Kneipenchor, Der Chor der Schlauschule, Kösk Chor, Chor Tutti Tempi, Die bunten Harlachinger, Munich Blue Notes, Kirchenchor St. Hildgard Pasing, Munich Show Chorus, Offbeat, Philhomoniker, Stephanus Voices, Münchner Volkslieder-
chor, Die Projektchöre, Quergesang, Spasskultur, Der CHOR, Taucherchor e.V., Refudocs, Die Vögel, Attac-Chor München, Regenbogenchor und vielen mehr! – München singt am Samstag, 17. März 2018 um 13.30 Uhr auf dem Max-Joseph-Platz.“
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Ab 15 Uhr beginnt die Kundgebung von PEGIDA auf dem Marienplatz. Es sind gerade einmal 150 Menschen in dem weiträumig abgesperrten Bereich versammelt. Dazu gezählt sind Fotografen mit Presseausweisen und zivile Polizisten. Der Lärm, Proteste und Gesänge auf dem Platz sind so laut, dass die Ansprachen nicht zu verstehen sind. Für die Demonstration der Pegidisten hat die Polizei mit größtem Aufwand den Weg vom Marienplatz durch das Tal über den Thomas-Wimmer-Ring durch die Maximilianstraße und Dienerstraße zurück zum Marienplatz freigeräumt und abgegit-
tert. Keine Sitzblockade soll den Ablauf stören. Pegida wird diese Demonstration, die nur von Gegendemonstranten gesehen werden kann, als Erfolg verkaufen. Das Resümee der Gegende-
monstrantInnen ist gemischt: Der bunte Protest gibt vielen Auftrieb, antiislamische und rassisti-
sche Parolen wurden nicht unterbunden. Eine Demonstrantin: „Wir sind wiedermal den Rechten nur hinterhergelaufen.“5
Am 6. Mai 2013 begann vor dem Oberlandesgericht München der Prozess gegen Beate Zschäpe, André Eminger, Holger Gerlach, Ralf Wohlleben und Carsten Sch. Nach über 400 Verhandlungs-
tagen wird ab dem 11. Juli 2018 das Urteil verkündet. Beate Zschäpe wird als Mittäterin der Morde und Sprengstoffanschläge, wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und wegen schwerer Brandstiftung zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht stellt die besondere Schwere ihrer Schuld fest. Die vier als NSU-Helfer Mitangeklagten werden jeweils zu zeitigen Freiheitsstra-
fen verurteilt. Den ganzen Tag protestieren vor dem Gerichtsgebäude Angehörige der Opfer und ihre Unterstützer dagegen, dass das Gericht es versäumt hat, das Netzwerk aufzudecken, das hinter dem NSU steht. Sie protestieren zugleich gegen das erschreckende Versagen der Behörden bei den Ermittlungen. Um 18 Uhr beginnt eine Demonstration der Angehörigen und ihrer Unterstützer.6
Hannes Wader im Juli: „Wenn die Feigheit und Dummheit der Vielen nicht auszurotten ist, ist es der Mut, die Vernunft und die Menschlichkeit der Wenigen auch nicht“.
Am 26., am 27. August und am 1. September greifen in Chemnitz rechte und bürgerliche Gruppen tatsächliche oder vermeintliche Migranten, Gegendemonstranten, Polizisten sowie Pressevertreter und unbeteiligte Passanten an. Anlass ist eine Auseinandersetzung am Rande des Chemnitzer Stadtfestes , bei der mutmaßliche Flüchtlinge einen Mann tödlich und zwei weitere mit Messersti-
chen schwer verletzt haben. — Zehn NPD-Leute halten am 2. September eine Mahnwache auf dem Marienplatz ab. Ihre Losung lautet „Chemnitz ist überall“. Mehrere Hundert Gegendemonstranten veranstalten einen Heidenspektakel.
Auf dem Münchner Marienplatz hält am Samstag, 8. September, die AfD-Politikerin Beatrix von Storch vor etwa 120 Anhängern eine Kundgebung ab. Unter dem Titel „Den Storch vom Marien-
platz scheuchen!“ haben mehrere Münchner Gruppierungen zum Gegenprotest aufgerufen, um der AfD zu zeigen, dass sie in München nicht willkommen sei. Rund 2.000 Gegner der AfD übertönten die Rede mit Buhrufen und Pfiffen.
München isst bunt. Am Samstag, 15. September, zwischen 16 und 21 Uhr wird aus der Sendlinger Straße eine große Tafel mit Speisen aus aller Welt für 250 Menschen – zum Nulltarif. „Wir setzen darauf, dass die Münchner etwas zu unserem Mitbring-Büffet beitragen, egal, ob Spezialitäten aus der Heimat oder ein Lieblingsgericht aus einem anderen Land“, sagt Micky Wenngatz, die Vorsit-
zende der Initiative. Die Münchner Dachorganisation Morgen e.V. sorgt dafür, dass ordentlich aufgetischt wird und die Tafel möglichst bunt wird. Umsonst und draußen ist auch das Kulturpro-
gramm, für das Thomas Lechner von der Fachstelle Pop im Feierwerk verantwortlich zeichnet. „Wir wollen die Migrantenkultur in der Stadt sichtbar machen“, sagt er – es treten auf die Samba-
trommler von der Münchner Ruhestörung, der syrische Friedenschor, die Schwuhplattler, der Kabarettist und Musiker Ecco Meineke, die Hip-Hopper Boshi San & Diaspora, die Poetry-Slam-
merin Nuria und Jesper Munk.7
Am Nachmittag des Samstag, 27. Oktober, trifft sich ein kleines Häuflein von Pegida-Anhängern auf den Rotkreuzplatz in Neuhausen. Ihr Areal ist großflächig abgesperrt, so dass die Gruppe noch kleiner wirkt. Gegendemonstranten machen ohrenbetäubenden Lärm, ein Trompeter hält mit der Internationale gegen die Deutschlandhymne.8
Am 10. November kommt es auf dem Stachus vor dem Hackfleischdealer zu einer Aktion. Die Poli-
zeiklasse wendet sich gegen Nationalismus und Rassismus und ruft die „europäische Republik“ aus.9
Im November sprühen Unbekannte ein Hakenkreuz und eine antisemitische Drohung auf die Steine eines Spielplatzes am Hildegard-von-Bingen-Anger am Hart.
Am Samstag-Nachmittag, 8. Dezember, hält Pegida eine Kundgebung auf dem Curt-Mezger-Platz in Milbertshofen ab. Den wenigen Anhängern stehen eine größere Zahl von Gegendemonstranten gegenüber. Zwischen den schwarz-rot-goldenen Fahnen flattert auch eine israelische. Michael Stürzenberger behauptet, viele Flüchtlinge besäßen das neueste I-Phone. Einer der Flüchtlinge habe eine Rolex-Uhr getragen. Er tröstet seine Zuhörer, noch seien sie eine kleine Truppe, aber schon bald habe man die Mehrheiten hinter sich und könne an die Macht kommen.10
Kurz vor Weihnachten schreiben Unbekannte in Englschalking „Holocaust? Lüge!“ an vier Stellen mit Kreide auf die Straße.
Über weitere rechtsextreme Aktivitäten berichtet a.i.d.a., die antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München unter https://www.aida-archiv.de/index.php/chronologie/chronik/. Eine Chronik rechter und diskriminierender Vorfälle in München liefert https://muenchen-chronik.de/chronik/
(zuletzt geändert am 13.9.2020)
1 Siehe verdi PUBLIK 1/2018, 14.
2 weitere aktuelle Infos zum Gegenprotest findet Ihr unter www.muenchen-ist-bunt.de, www.facebook.com/muenchen.ist.bunt und www.facebook.com/events/415210102272589/
3 Die Rote Hilfe. Zeitung der Roten Hilfe e.V. 4/2018, 4.
4 Foto: Christoph Klinke
5 Siehe die Fotos vom „17. März – a“ von Cornelia Blomeyer, die Fotos und Grafik vom „17. März – b“ von Peter Brüning sowie die Fotos vom „17. März – c“ von Franz Gans.
6 Hier das Urteil: https://fragdenstaat.de/dokumente/4766-nsu-urteil/ — Siehe https://nsuprozess.net/ und die Bilder der Demonstration „kein schluss-strich“ von Richy Meyer. Der 80-seitige Amnesty-Bericht „Leben in Unsicherheit: Wie Deutschland die Opfer rassistischer Gewalt im Stich lässt“ (2016) dokumentiert unter anderem, dass eine schnelle Auf-klärung der Verbrechen des sogenannten NSU nicht zuletzt wegen rassistischer Vorurteile der Strafverfolgungsbehörden gegenüber den Angehörigen der Opfer über Jahre hinweg immer wieder scheiterte. Den vollständigen Bericht sowie eine Zusammenfassung findet Ihr auf bit.ly/AmnestyDeutschland.
7 Siehe die Bilder von „münchen isst bunt“ von Cornelia Blomeyer.
8 Siehe die Fotos von „no pegida“ von Peter Brüning.
9 Siehe https://www.polizeiklasse.org/files/video/burgerrepublic.mp4 und https://vimeo.com/305864686.
10 Siehe die Fotos von den Protesten und der Kundgebung von „pegida in milbertshofen“ am 8. Dezember von Günther Gerstenberg.