Materialien 2019
Grußwort für die Dauerkundgebung gegen Pegida am 8. und 9. November
Anrede
Ihr habt für unseren Protest gegen den Aufmarsch der extrem Rechten ein sehr wichtiges Motto gewählt, die Aussage des Soziologen Matthias Quent: „Die Rechten werden aus eigener Kraft nicht gewinnen … Sie werden nur dann gewinnen können, wenn Demokratinnen und Demokraten Zuge-
ständnisse machen, wenn Parteien und Medien nach rechts rutschen, wenn ohne Not Rechtsextre-
misten die Bühne bereitet wird, ihnen Plätze eingeräumt werden, die man ihnen eigentlich in einem demokratischen Diskurs nicht zugestehen muss.“
Für mich als verfolgtes Kind einer jüdischen Mutter, deren drei jüdische Schwestern mit ihren Ehemännern und Kindern alle deportiert und im von der Wehrmacht besetzten Polen und in Est-
land ermordet wurden, ist die Erinnerung und das Wissen um die Voraussetzungen der Machtaus-
dehnung und der schrittweisen Vorbereitungen einer mörderischen Politik heute wesentlich. Zu-
rück blickend auf die Voraussetzungen, die der NSDAP und ihrem Umfeld in der Weimarer Repu-
blik eingeräumt wurden, wie sie gefördert und gepäppelt wurde bis hin zur Machtübertragung, war das kein zwangsläufiger Prozess.
Entscheidend war, dass der NSDAP und ihrem Umfeld schrittweise immer mehr Macht in staatli-
chen Behörden und in der Öffentlichkeit eingeräumt, gelassen und übertragen wurde. Allen voran von den Deutschnationalen. Ideologisch teilten diese vielfach deren Nationalismus, Militarismus, Antikommunismus und die Arbeiterfeindlichkeit.
1933 konnte sich die nationalistische Bewegung auf die von bürgerlichen Parteien geschaffenen Gesetze, Verordnungen stützen und unmittelbar für ihre Machtausgestaltung nutzen. Kaum war Hitler von dem Deutschnationalen Hindenburg zum Reichskanzler ernannt, wurden in der Nacht des Reichstagsbrands mit bereits in der Weimarer Republik vorbereiteten Listen vor allem Kom-
munisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter gejagt, inhaftiert und gefoltert. Zu diesem Zeitpunkt regierte die NSDAP noch in einer Koalition mit anderen deutschnationalen rechten Parteien, die sich dann selbst entmächtigten.
Unser Kampf gegen das Pack ist daher so wichtig.
Zurück zu heute: AfD, Pegida und andere rassistische und terroristische Bewegungen wie der NSU konnten unterhalb des Radar und mit Hilfe von Geheimdiensten gedeihen. Der vorherige Inlands-
geheimdienstchef Maaßen war schon lange zuvor im Justizwesen an der Abschaffung des Asyl-
rechts beteiligt. Er hatte die AfD beraten, wie sie sich gegen Beobachtung durch den Verfassungs-
schutz verhalten könne. Die Beförderung durch den Innen- und Heimatminister Seehofer war ihm schon sicher, hätte es nicht massiven Protest gegeben, der die SPD in der Regierungskoalition zur Besinnung gerufen hat.
Zu den Vorleistungen für die rassistische, völkische Bewegung gehört auch, dass das Bundesverfas-
sungsgericht 2017 der NPD zwar eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus be-
scheinigte, jedoch auf ein Verbot verzichtete, weil sie nicht einflussreich genug sei.
Welche Geschichtsblindheit!
Die Tür ist damit noch weiter geöffnet worden für einen rassistischen, antisemitischen rechtsterro-
ristischen Mob, der mit Hetze, Angriffen und anderem auf Politiker, die Existenz, die Rechte und die Würde von Tausenden Menschen angreift und mittlerweile auch aus dem Parlament heraus zu Hetzjagden anstiftet.
Besonders betroffen sind aktuell Menschen, die Schutz vor Krieg, vor Verfolgung und Elend su-
chen, und solche, die nicht in das Weltbild der Rassisten passen. Bayern ist vorne dran, mit staatlichen Maßnahmen Menschen in die Verzweiflung zu treiben, in Ankerlager zu pferchen, zurück zu transportieren in Kriegsgebiete wie nach Afghanistan. Sogar kranke und behinderte Menschen sind darunter.
Zwar nehmen Ministerpräsident Söder und seine politischen Freunderl nicht mehr öffentlich das von einem Rechtsextremen kreierte Wort des „Asyltourismus“ in den Mund wie noch im Wahl-
kampf 2018, denn die Abschiebemaschinerie ist schon installiert. Sie wird weiter ausgebaut mit mehr Flughafenkapazitäten, Abschiebegefängnissen. Allein 49 Millionen für die nächsten Jahre am Flughafen München für ein Abschiebegefängnis!
Keinen Euro für diese menschenverachtenden Maßnahmen! Stattdessen Arbeit, Ausbildung und Wohnungen, gesundheitliche Versorgung für die Menschen, die zu uns kommen und Schutz su-
chen.
Bayern ist auch vorne dran, wenn es um die Verhinderung der Aufklärung der Morde von der extremen Rechten geht wie des Oktoberfest-Attentats, des NSU, des OEZ-Anschlags. Über 40 Morde, die nicht genügend aufgeklärt wurden, allen voran das Oktoberfestattentat. 213 überle-
bende Opfer des Attentats wurden erniedrigt und verhöhnt, ihre körperlichen und psychischen Folgen des rechtsterroristischen Attentats von bayerischen Sozialbehörden meist nicht anerkannt, Leistungen häufig verweigert. Und trotzdem oder gerade deswegen gibt es hartnäckige Menschen wie den Anwalt Herrn Dietrich und den Journalisten Ulrich Chaussy, die hier nicht aufgeben.
Die Morde an jungen Migranten am OEZ wurden erst jetzt nach dreijähriger Weigerung der Justizbehörden unter dem öffentlichen Druck der letzten Morde an dem Kassler Regierungspräsi-
denten Lübcke und in Halle endlich als rechtsextreme Tat eingestuft. Mit eigenständigen Gutach-
ten von Wissenschaftlern, die die Fachstelle für Demokratie durchsetzte, wurde die Version vom psychischen Rachfeldzug konterkariert.
In Bayern gibt es in einer Situation gestiegener rechtsextremer Gefahren und direkter rassisti-
scher Angriffe noch immer keine angemessene Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt. Die Angriffe werden noch immer nicht von einer unabhängigen Stelle erfasst und sichtbar gemacht. Die Opfer haben nicht ausreichend Ansprechpartner für ihre Rechte und Bedürfnisse.
Das ist nur ein kleiner Ausschnitt von Aufgaben, denen wir uns stellen müssen. Wir werden nur dann die rassistische völkische Bewegung aufhalten können, wenn wir beachten, respektieren und öfter aktiv die Zusammenarbeit suchen mit anderen Menschen und Organisationen, die täglich Menschenrechte und Würde verteidigen mit ihrem Tun, auch wenn sie sich nicht als Antifaschisten bezeichnen. Der Protest heute ist ein gutes Beispiel dafür.
Ernst Grube
nach der Rede als Manuskript erhalten