Flusslandschaft 1973

Schwule/Lesben

Als Anfang des Jahres Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers,
sondern die Situation, in der er lebt“ im Spätprogramm der ARD ausgestrahlt wird, klinkt
sich der Bayerische Rundfunk als einziger Sender aus dem Programm aus.

Ursprünglich hat das Schimpfwort „schwul“ eine diskriminierende Funktion. Sich objektiv gebende, wissenschaftliche Literatur spricht üblicherweise von „Homosexuellen“. Zum erwa-
chenden Selbstbewusstsein der „Homosexuellen“ gehört es, sich das Schimpfwort anzueignen
und damit zu neutralisieren. — Schwule beginnen sich zusammenzuschließen und mit ihren Forderungen an die Öffentlichkeit zu treten. Im April organisiert die Homosexuelle Aktion München (HAM) einen Infostand in der Münchner Fußgängerzone.1

Am 23. November 1973 führt die sozialliberale Koalition eine umfassende Reform des Sexual-
strafrechts durch. Der entsprechende Abschnitt im StGB wird von „Verbrechen und Vergehen wider die Sittlichkeit“ in „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ umbenannt. Ebenso wird der Begriff der Unzucht durch den der „sexuellen Handlungen“ ersetzt. Im § 175 bleibt nur noch der Sex mit Minderjährigen als qualifizierendes Merkmal zurück, wobei man das sogenannte Schutzalter von 21 auf 18 Jahre absenkt. Sexuelle Kontakte zwischen Frauen finden im Strafgesetz keine Erwähnung. Allerdings bleibt bis 1994 der Sex mit Männern unter 18 Jahren immer noch strafbar.


1 Siehe „Zum ersten Mal zeigen sich in München Homosexuelle auf der Straße“, „Schwule wachen auf … wo denn?“, „Stummfilm-Porno unterbelichtet“ von Rüdiger Becker und Hans Brandenberg und „Wir tragen den rosa Winkel“ von Magnus Dalessandro.

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