Materialien 1998

Filmrecherche

Im Frühjahr diesen Jahres recherchierte ich für einen Film des Bayerischen Fernsehens. Mein Beruf ist eigentlich Autor und freischaffender Bildhauer. Aber es war mir ein Vergnügen, für eine hervorragende Filmemacherin einige kleinere Arbeiten zu übernehmen.

Als ich im letzten Jahr ähnlich für den Rundfunk arbeitete, bekam ich das Honorar abzüglich Kir-
chensteuer und Lohnsteuer. Ich bin in keiner Kirche, nenne mich religionsfrei und besitze auch keine Lohnsteuerkarte, sondern gelte als Kleinstunternehmer, was heißt, ich arbeite auf eigene Rechnung. Das machen sowohl Autoren wie Bildhauer, meistens. Diesen Sachverhalt teilte ich dem Bayerischen Rundfunk freundlich mit, ohne mich noch weiter um eine Rückzahlung der Steuer zu bemühen. Es handelte sich nur um ein paar Mark, aber hatte nicht mein alter Herr immer den Zeigefinger gehoben und gemeint: „Wer den Pfennig nicht ehrt, ist des Thalers …“

Also schreibe ich diesmal, nach meiner zweiten Filmrecherche, einen höflichen Brief an den Baye-
rischen Rundfunk mit der Bitte, Kirchensteuer- und Lohnsteuerabzug bei der Honorarüberweisung wegzulassen, weil ich Autor und Bildhauer und Kleinstunternehmer und religionsfrei …

Ein langes, freundliches Telefongespräch mit der zuständigen Sachbearbeiterin lässt uns beide zur Lösung des Problems vordringen. Das Finanzamt könne mir doch bestätigen, dass ich religionsfrei und Kleinstunternehmer und und …

Am 8. September 1998 schreibe ich meinem zuständigen Finanzbeamten, er möge mir eine Bestä-
tigung darüber erstellen, dass ich keiner Kirche angehöre, schon seit Jahren meine Einkünfte nach § 19 Umsatzsteuergesetz versteuere und daher naturgemäß keine Lohnsteuerkarte bekäme. Er möge bitte diese Bestätigung an die Honorarabteilung des Bayerischen Rundfunks senden.

Willy, dem ich das erzähle, macht Witze. Er kichert: „Schreib doch an Kardinal Wetter und an Bischof Hanselmann, sie sollen Dir bestätigen, dass Du NICHT Mitglied ihres Vereins bist.“ Ich finde das nicht lustig.

Gereon, dem ich das erzähle, überlegt, nach welchem Schlüssel die Kirchen sich meine Steuer aufteilen. Er meint, das geschehe halbe-halbe. Ich finde, das wäre ungerecht, denn es gibt doch mehr Katholiken als Protestanten. Gereon meint, gerade deshalb sei es gerecht!

Mein Finanzbeamter ruft zurück; wir sprechen sehr lange miteinander. Nach Wochen meldet er sich wieder, ich möge ihm ausführlicher und schriftlich mein Anliegen mitteilen. Ich vermute, seine Vorgesetzten haben es ihm aufgetragen. Ich weiß, dass Beamte Unmengen Überstunden vor sich herschieben. umso mehr bin ich überrascht, dass sie immer noch freundlich und zuvorkom-
mend zu mir sind. Also schreibe ich dem Finanzamt den ganzen Vorgang ausführlich.

Am 27. Oktober überweist mir der Bayerische Rundfunk DM 173,43. „Kirchensteuer“ in Höhe von DM 4,14, „Kirchensteuer-RK/EV“ in Höhe von DM 8,29, Solidaritätszuschlag in Höhe von DM 8,55 und Lohnsteuer sind vom Brutto-Honorar abgezogen worden. In einem Begleitschreiben heißt es lapidar: „Reichen Sie bitte die Lohnsteuerkarte nach.“ Ich mag Verwaltungsangestellte und Beamte; sie kümmern sich wirklich um meine Anliegen. Interessant, dass es zwei (!) Kirchensteu-
ern gibt. Die machen tatsächlich halbe-halbe.

Am 6. November ruft mich mein Finanzbeamter an. Er meint: „Ich kann Ihnen keine Bestätigung ausstellen. Für Kirchensteuer ist das Kirchensteueramt zuständig, und der Umstand, dass Sie frei-
beruflich tätig sind, hat nichts mit den Einkünften nach § 19 Umsatzsteuergesetz zu tun. Es tut mir leid!“

Ich bin immer noch überzeugt davon , dass ohne unsere Beamten das gesamte Staatsgefüge ins Wanken käme. Andererseits denke ich, dass ich Portokosten, Telefongebühren und Zeit aufgewen-
det habe, die die ursprüngliche Arbeitszeit für die Filmrecherche schon um ein Vielfaches überstei-
gen.

In München befinden sich zwei Kirchensteuerämter, ein evangelisches und ein römisch-katholi-
sches. Die Dame des evangelischen ist sehr freundlich. Wir sprechen am 7 . Dezember lange mit-
einander. Ich weise darauf hin, dass ich nicht in ihrer Kirche bin. Sie sucht mich in ihrem Compu-
ter und findet mich nicht, klar! Sie sagt schließlich, dass ich als geringfügig Beschäftigter sowieso keine Kirchensteuer zu bezahlen hätte, sondern dies nur der Arbeitgeber täte. Das leuchtet ein. Wir verabschieden uns ratlos. Erst nach dem Ende unseres Gesprächs fällt mir wieder ein, dass die Kirchensteuer von MEINEM Lohn abgezogen worden ist. Jetzt aber noch einmal bei ihr anrufen, fällt mir schwer.

Die Dame des katholischen Kirchensteueramts ist ebenfalls sehr freundlich. Sie verweist mich so-
fort an das Matrikelamt. Mit der Dame des Matrikelamts rede ich sehr lange. Sie meint, mein Fall sei natürlich schwierig. Ich erzähle ihr, dass mein Geburtsort die Frauenklinik in Erlangen wäre und dass ich erst Anfang der 50er Jahre mit meinen Eltern nach München zugezogen sei. Sie tröstet mich: Wenn ich in München zur Welt gekommen wäre, dann hätte ich keine Probleme. Vielleicht könne die Frauenklinik, die mit Sicherheit kirchlich sei, mir die Nichttaufe bestätigen. Oder, noch besser wäre es, ich würde zum Standesamt gehen und einen Kirchenaustritt beantra-
gen, was aber Geld koste, aber dann wären die Verhältnisse endlich klar. Schüchtern wende ich ein, dass ich doch nicht dort austreten könne, wo ich gar nicht drin bin. Sie gibt mir recht und verbin-
det mich mit einem freundlichen Herrn.

Dieser hört sich geduldig mein Anliegen an, notiert sich alles, muntert mich auf, nachdem ich mich entschuldige, weil ich seine Zeit in Anspruch nehme. und meint, er versuche, mir diese Bestätigung der Nichtmitgliedschaft zuzuschicken.

So, wie ich die Geschichte jetzt niedergeschrieben habe, habe ich sie meinem Freund Ferdl erzählt. Sein Gesicht bekommt nachdenkliche Züge: „Pass bloß auf, so ähnlich hat es mit mir auch angefan-
gen.“ „Was?“ „Na ja, Du weißt, alles war o.k., bis ich so viel Geld über die Bausparkasse zusammen hatte, dass wir, ich und meine Frau, das Haus kaufen konnten. Den Zusatzkredit bekam ich von meiner Bank.“ „Du bekamst einen Kredit von Deiner Bank!?“ „Na hör mal, ich hatte einen guten Job, ich war wer, wir wollten Kinder kriegen!“ „Ja, und dann?“ „Tante Fanny ist gestorben, und wir erbten etwas. Ich wollte von dem Erbe den Kredit vorzeitig zurückzahlen, aber der Vertrag ließ es nicht zu. Ich schrieb, telefonierte, besuchte Sprechstunden, kam mir vor wie Buchbinder Wannin-
ger. Alle kümmerten sich rührend um das Problem, die Bank, die Bausparkasse, das Finanzamt, der Bauträger. Meine Frau nervte das alles. Sie meinte: Lass das sein. Beinahe hatten wir das Pro-
blem gelöst, alle Akteure in diesem Drama hatten sich Monate später auf eine Vorgehensweise geeinigt, als die Erbschaftssteuer fällig wurde. an die ich nicht gedacht hatte. Jetzt weiß ich, meine Frau hatte recht. An einer Stelle klappt etwas nicht, Du versuchst, den Knoten aufzudröseln, und löst damit eine Kettenreaktion aus. Schließlich war ich in meinem Job nicht mehr konzentriert dabei und flog hochkant hinaus. Meine Frau ließ sich ein Jahr später von mir scheiden. Und seit-
dem sitz‘ ich da. – Deshalb hör‘ auf meinen Rat: Lass es sein! Es muss ja auch noch Leute geben, die mir die BISS abkaufen!“

Jetzt überlege ich, wieder in eine Kirche einzutreten. Aber auch davon rät mir Ferdl ab. Er meint, ich denke unlogisch, und das müsse man halt als Politiker machen, wenn man gewählt werden wolle, und, „dass Du Dich so demütigen lässt, das hätte ich nicht gedacht“.

Nein, demütigen lasse ich mich nicht! Vielleicht sollte ich die DM 173,34 kommentarlos zurück überweisen und alle Kontakte abbrechen. Dann gibt es wirklich ein Problem.

Kürzlich träumte ich, wie eine Stimme leise in mein Ohr flüsterte: „Du bist zu nett, viel zu nett!“ Und dann legte sich eine Hand um meinen Hals und drückte langsam zu. Ich lag da wie gelähmt und wachte schließlich schweißgebadet auf.

Franz Gans

Überraschung

Jahr: 1998
Bereich: Religion