Materialien 1980

Strauß im Eklat

Franz Josef Strauß hat in einer bezeichnenden Episode einer alten Vermutung neue Nahrung verschafft, nämlich der Annahme, dass er im Zweifel selbst sein gefährlichster Gegner sei. Wie kann jemand mit seinem Anspruch in so wenigen Minuten so viele Regeln verletzen, wie dies auf der Münchner CSU-Kundgebung geschah? Die juristisch unbedenkliche Formel „Stoppt Strauß“ auf Transparenten rechtfertigt beileibe nicht die Anordnung eines polizeilichen Zugriffs gegen Demonstranten. Außerdem war Strauß weder befugt, dem polizeilichen Einsatzleiter diesbezügli-
che Weisungen zu erteilen, noch gar berechtigt, dem Mann auf dessen völlig korrekte Weigerung hin zu bedeuten, er sei als Einsatzleiter abgesetzt. Dass Strauß den betreffenden Beamten dann auch noch mit einer herabsetzenden Beleidigung überzog – wen vermag dies angesichts des Vor-
ausgegangenen noch zu wundern?

Es ist des Kandidaten persönliches Problem, dass er mit diesem Vorfall frühere Episoden und Af-
fären in Erinnerung ruft, bei denen persönliche Unkontrolliertheit, die Anmaßung von Kompeten-
zen sowie die aggressive Herabwürdigung „ungefügiger“ Zeitgenossen eine Rolle spielten. Gewiss, es war eine Kleinigkeit, die diesen jüngsten Eklat auslöste. Gerade deshalb erschreckt die Maßlo-
sigkeit der Reaktion.

Man mag dies alles für eine Panne in der Schlussphase des Wahlkampfes halten. Die innere Souve-
ränität eines Politikers muss sich jedoch in solchen angestrengten Situationen bewähren – zumal wenn es um den Respekt vor dem sensiblen Gefüge rechtsstaatlicher Freiheiten und polizeilicher Kompetenzen geht. „Das Demonstrationsrecht würde ich ändern – so, dass ich des Beifalls aller sozialdemokratischen Polizeipräsidenten sicher wäre“, hat Strauß versprochen. Soll dies – und anderes – etwa im Geist dieser Münchner Demonstration geschehen?1


Süddeutsche Zeitung 224 vom 27./28. September 1980, 4.

Überraschung

Jahr: 1980
Bereich: CSU