Materialien 1983

Was hältst du von Liebe?

Münchner Frauengruppen zu Sexualität, Geschlechtsrollen und Kindererziehung

Helga sprach mit Frauen der Münchner Frauenszene (dem Frauentherapiezentrum, dem Frau-
enforum e.V. und mit der Lesbengruppe über ihre Vorstellungen zum Thema Sexualität, Unter-
drückung der Frau, Ansätze zur Gesellschaftsveränderung, emanzipiertes männliches Verhalten und Kinderaufwachsen.

Alle drei Gruppen zählen sich zur autonomen Frauenbewegung. Sie sind unabhängig von Parteien, Organisationen und Männern und stark emanzipatorisch engagiert, also autonom – im Gegensatz zu anderen Teilen der Frauenbewegung.

Es waren Frauen mit ganz unterschiedlicher Lebensweise dabei: Verheiratete Frauen mit und ohne Kinder, Frauen mit Beziehungen zu Männern, in ausschließlicher Gemeinschaft mit Frauen leben-
de, bisexuelle und allein lebende Frauen.

Die Beziehungen zu Männern sind demnach auch sehr verschieden. Einige haben sexuelle Bezie-
hungen zu ihnen, bei anderen sind sie auf eine »friedliche Koexistenz« reduziert. Eine Art Waffen-
stillstand? Bei »mieser Anmache« werden einige schon sauer – was nicht ungefährlich ist, da viele organisierte Frauen WENDO, ein Selbstverteidigungstraining für Frauen, machen. Dadurch ist die erhöhte Bereitschaft da, sich zu wehren. Wenn jetzt einer glaubt, dass diese Frauen »männermor-
dend« herumzögen, täuschen sie sich – es wird schon differenziert. B. (von der Lesbengruppe im Frauenzentrum) antwortete auf meine Frage: »Welche Beziehungen habt ihr zu Männern?« Unter anderem: »Also ich habe wesentlich mehr Frauen in meinem Freundeskreis, allerdings lebe ich auch wieder mit Männern zusammen, und da habe ich dann wieder ein ganz freundschaftliches Verhältnis, aber ich bin sehr distanziert zu Männern.« Die Differenzierung also heißt: Nette Typen sind geduldet.

A. (Frauenzentrum): »Gefühl zu Männern habe ich keines, ich bin Urlesbin, habe mich schon mit 12 Jahren in Frauen verliebt. Alle Frauen sind lesbisch, nur sie wissen es nicht.« Diese Aussage war ziemlich absolut. Ist also die Ursache für die überall vorherrschende Heterosexualität nicht der Ge-
nuss, sondern die Verdrängung der Homosexualität?

Eine Frau vom Frauenforum definiert die Freundschaft zu Männern als schwierige Sache, weil schon von der Sozialisation her Welten zwischen Mann und Frau lägen. Sie ist verheiratet, tauscht aber, was sie wirklich interessiert, nur mit Frauen aus. Mit dem Mann verbindet sie also nur noch eine »Wohngemeinschaft«, also weniger eine »Lebensgemeinschaft«, das private ist aus dieser Be-
ziehung ausgeklammert. Mir scheint, der Zustand Ehe ist nicht optimal – ähnliche Stimmen wie ihre werden ja überall laut. Liegt das jetzt nur daran, dass der Mann von Natur aus ein Muffel, ein »Ekel« ist? Ich glaube eher, es liegt an der Lebensform Ehe überhaupt, wo immer einer dominiert und wo die Mutterrolle die Frau automatisch finanziell, und damit existentiell, in Abhängigkeit vom Partner bringt. Ob das Problem allerdings nur durch den Zusammenschluss von Frauen lös-
bar ist, denen vielleicht aufgrund des miesen sexuellen Rollenverhaltens des Mannes die Lust auf ihn vergangen ist, sei dahingestellt.

Meine nächste Frage hieß: »Viele Menschen glauben, dass die Unterdrückung der Frau von der biologisch vorgegebenen Sexualität abhängt – wie steht ihr dazu?«

Anna vom Frauentherapiezentrum: »Das glaube ich nicht. Es gibt ja so viele Gesellschaften, wo die Frau eine höhere Stellung hat als der Mann, obwohl sie denselben Frauenkörper hat. Das hängt eher mit unseren kapitalistischen Tendenzen zusammen und damit, dass es in unserer Gesellschaft halt unheimlich um Stärke und Macht geht.« Auch die anderen sahen die Ursache der Unterdrük-
kung nicht in der Sexualität, sondern in der Kultur, Ökonomie und Politik der heutigen Gesell-
schaft: »Die Männer haben eine Gesellschaft aufgebaut, die nicht mehr zu den Frauen passt, die Frauen haben andere Fähigkeiten und Bedürfnisse«, sagen sie.

Als ich das Thema »Was haltet ihr von Liebe« anschlage, wird ein Aspekt eingebracht, der auch die »Liebe« in einen Zusammenhang mit der Unterdrückung bringt: »Liebe wird in unserer Gesell-
schaft unheimlich ausgenutzt. Viele Leute sind so unzufrieden mit ihrem Leben, und hoffen aber alle auf die große Liebe, dass sich dadurch etwas ändert. Die Kinder werden schon daraufhin erzo-
gen. Und aufgrund der Liebe lassen sich die Frauen leichter unterdrücken. Sie heiraten aus Liebe, kriegen aus Liebe Kinder, versorgen ihn und die Kinder aus Liebe, aber achten nicht mehr auf sich. Im Radio und Fernsehen geht es auch immer nur um Liebe – das ist schon eine richtige Ideologie.«

(Es drängt sich da ein Bild auf, dass die Liebe wie ein Sprühlack ist, der am Anfang alles glänzen und glitzern lässt, wo sich aber bald die Risse zeigen und zum Vorschein kommt nichts Gutes.) Liebe also auch ein Konsumartikel? Wenn man sich die Werbung und vor allem die Idole und Idea-
le der heutigen Zeit anschaut, geben sie ihr recht. Doch vermute ich, dass auch der Mann dabei draufzahlt, denn wer fühlt sich schon wohl in so einer Beziehung.

Eine Frau vom Frauenforum e.V. sagt, man wisse nicht, was Liebe zwischen Mann und Frau ist, be-
vor nicht die Frauen finanziell unabhängig sind.

»Wird euch der Vorwurf gemacht, eine Alternative ohne Männer aufbauen zu wollen? Oder wie integriert ihr den Mann in euer Gesellschaftsbild?« Frauenforum e.V.: »Uns wird nicht der Vor-
wurf gemacht. Unser utopisches Konzept: jeder, Mann und Frau, arbeitet den halben Tag und betreut den halben Tag die Kinder.«

Eine Lesbe (Frauenzentrum) sagt: »Es wird uns vorgeworfen, Feministinnen und Emanzen wollen den Männern an die Schwänze. So wird die Konkurrenz zwischen Lesben und normalen Frauen geschürt, um eine Spaltung unter den Frauen zu erreichen.« Ansonsten sprachen sie eindeutig für eine Gesellschaftsordnung, die Gleichberechtigung für alle Gruppen bringt – also auch für die Männer.

Die Vorstellungen darüber, wie sie eine zukünftige Gesellschaft in ihrem Sinne gestalten würden, waren bei allen dreien sehr ähnlich. Sie beinhalteten z.B. Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau, außerdem die Halbierung des Gehaltes vom Mann, um der Frau die Hälfte für ihre Arbeit und Er-
ziehungsaufgaben zu geben, und vor allem die konkrete Zusammenarbeit vieler Frauen. In Mün-
chen gibt es bereits einen Schritt in diese Richtung: einen Zusammenschluss von allen Frauenpro-
jekten der »Frauen gehen zu Frauen« heißt und sich regelmäßig trifft. Einige sind außerdem in der »Aufschrei-Gruppe«, das ist ein Zusammenschluss von mehreren Sozialprojekten, der in Hamburg aufgrund der Kürzungen im Sozialbereich entstand.

»Emanzipiertes männliches Verhalten, was ist das?«

Hi. (Frauenforum): »Der Mann muss sich in seiner ganzen Machtgier, in seinem Missbrauch der Macht verändern.«

A. vom Frauenzentrum: »Ich glaube, dass Typen einen Chauvi so eingebimst kriegen, dass sie manchmal offen und toll sein können, sie aber Überreste drinnen haben. Und dass es „Den Mann“ nicht gibt.«

Anna vom .Frauentherapiezentrum: »Grundsätzlich würde ich sagen, ich wünsche mir genau das-
selbe von ihm wie von einer Frau. Dass der Mann sich genau wie die Frau nicht in eine Rolle pres-
sen lässt und Erwartungen erfüllen muss, in denen er sich nicht wohlfühlt. Das ist auch für den Mann wichtig, dass er nicht der starke Mann ist, oder der weiche, denn der weiche Mann kann ge-
nauso zum Zwang werden, bei den Alternativen. Nachher gibt es nur noch Softis! Ich will, dass ein Mann zu seiner Kraft steht, aber auch zu seinem Weichsein.«

Nun noch zum Aufwachsen der Kinder: »Jeder politischen Haltung sollte eine Vorstellung zugrun-
de liegen, wie es besser sein könnte. Diese Vorstellung sollte ganzheitlich sein. Wie stellt ihr euch in dieser Hinsicht das Aufwachsen von Kindern vor? Speziell bezüglich der geschlechtsrollenspe-
zifischen Sozialisation (vor allem bei Buben)?«

Aus jeder Gruppe kam dazu die Feststellung, dass es sehr wichtig ist, was die Mutter vorlebt. Es ist eine große Aufgabe, die junge, bewusste Mütter heute haben – sie müssen viel an sich arbeiten, um den Kindern etwas vermitteln zu können. Eine Mutter:

»Wenn man unterwürfig ist und den Mann bedient – das kriegen die Kinder ja auch mit. Dann schaue ich auch noch drauf, dass das Spielzeug nicht geschlechtsspezifisch ist.«

Dabei finde ich es äußerst wichtig, dass die Mädchen und Jungen von heute die Gesellschaft von Morgen bilden und prägen, dass sich mit der »Kinder-Erziehung« mehr beschäftigt wird. Mit die-
sem Thema sollten sich alle Männer und Frauen, die Eltern werden wollen, auseinandersetzen. Fast gemeinsam sich ausbilden, über Probleme, die man mit den Kindern hat, diskutieren, kon-
struktive Lösungen finden, sich vielleicht gemeinsam einen Kinderladen organisieren. Außerdem: wieso sind die pädagogischen Berufe so schlecht bezahlt? Die Arbeit mit Kindern und die Einschät-
zung ihrer Wichtigkeit zeigt meines Erachtens das Bewusstsein einer Gesellschaft …

Doch das nur am Rande.


Kikeriki. Zeitung der „Kulturwerkstatt e.V.“ für Kultur, Politik und Gemeinschaftsprojekte 3 vom Februar/März 1983, 1 ff.

Überraschung

Jahr: 1983
Bereich: Frauen