Materialien 1988
Die Geschichte der Christlich-Sozialen Union
„Geben Sie Obacht, soweit Sie selber am Steuer sitzen!“ – Abschiedsworte des Parteivorsitzenden Franz Josef Strauß an die Delegierten des 51. Parteitags der CSU am 21.1.1987 in München.
… Es nimmt daher nicht Wunder, dass einige Angehörige der CSU sich schon in den Kindertagen der BRD bundesweit einen Namen machen konnten. Zu ihnen gehörten etwa die Bundesminister im ersten Kabinett Adenauer Fritz Schäffer (Finanzen), Wilhelm Niklas (Landwirtschaft) und Hans Schuberth (Fernmeldewesen), aber auch die unterfränkische Bundestagsabgeordnete Dr. Maria Probst, die als erste und lange Zeit einzige Frau überhaupt im Vorstand der CSU-Landesgruppe Bonn saß und 1956 eine Anzeige wegen Verstoßes gegen den Paragraphen 24 der Straßenverkehrs-
ordnung erhielt, weil sie am Steuer ihres Privatwagens die Bundesstraße 27 zwischen Hammelburg und Würzburg befahren hatte, ohne im Besitz eines Führerscheins zu sein. Selbstverständlich war auch Franz Josef Strauß, der kurz darauf Verteidigungsminister im 3. Kabinett Adenauer wer-
den sollte, zu dieser Zeit schon eine allgemein bekannte Bonner Größe und ein gefragter Ge-
sprächspartner. So wurde er zum Beispiel im Sommer 1957 nach einer Wahlkundgebung in Ham-
burg von Rudolf Augstein persönlich zu einem Bierabend in dessen Haus. Eingeladen. Als Strauß danach von Augstein mit dem Auto zum Bahnhof gebracht wurde, forderte er den ‘Spiegel-Verle-
ger’, wie dieser beschreibt, deutlich alkoholisiert mehrmals auf, bei Rot über Kreuzungen und in verkehrter Richtung durch Einbahnstraßen zu fahren.
KOALITION
Am 15. September 1957 erhielt die CSU dann bei der 3. Bundestagswahl 57,2 Prozent der Stimmen in Bayern und konnte schon einen Monat später an der Spitze einer neuen bürgerlichen Koalition auch in die bayerische Regierungsverantwortung zurückkehren. Neuer Ministerpräsident wurde der CSU-Vorsitzende Hanns Seidel, und in Bonn gab Franz Josef Strauß am 29. April 1958 sei-
nem Chauffeur Leonhard Kaiser möglicherweise sogar ausdrücklichen Befehl, sich nicht an die Verkehrszeichen zu halten, die der Polizeihauptwachtmeister Halbohm auf der Kreuzung vor dem Bundeskanzleramt gab. Es kam zur sog. Halbohm-Affäre, d.h.: zu einem Beinahe-Zusammenstoß mit einer vollbesetzten Straßenbahn. Ob Strauß diesen Befehl wirklich gegeben hatte, konnte in der anschließenden gerichtlichen Aufarbeitung des Falles nicht geklärt werden, heraus kam lediglich, dass Chauffeur Kaiser bereits fünfmal wegen Verkehrsdelikten vorbestraft gewesen war – was die Treue, mit der Strauß in der Folgezeit an dem dann gar sechsfach vorbestraften Kaiser festhielt, allerdings ein wenig merkwürdig erscheinen ließ.
KOLLISION
Jedenfalls hatte drei Monate später, am 25.7.58, Hanns Seidel einen so schweren Unfall, dass er im Herbst 1959, nachdem sich sein Gesundheitszustand immer weiter verschlechtert hatte, die Regie-
rungsgeschäfte seinem Parteifreund Rudolf Eberhard übergeben musste. Dass das Jahr 1959 insgesamt unter einem schlechten Stern stand, zeigen auch die Meniskusverletzung, die sich Bun-
despostminister Richard Stücklen im Januar zuzog, als er aus einem an sich stehenden Fahr-
zeug ausstieg, sowie der Tod einer gehbehinderten Rentnerin in Passau, die dort im Juli dem Wa-
gen August Rammingers (ebenfalls CSU) zum Opfer fiel – Ramminger, ein Redakteur der „Pas-
sauer Neuen Presse“, konnte erst im dritten Anlauf 1961 freigesprochen werden, gerade noch rechtzeitig vor seinem Einzug in den 4. Deutschen Bundestag. Zwei Jahre später konnte schließlich auch Rudolf Eberhard seinem Schicksal nicht länger entgehen; mehrmals überschlug sich sein Dienstwagen am 5. Mai 1963 in der Nähe des Dorfes Fremdingen bei Nördlingen, zum Entsetzen auch des inzwischen Parteivorsitzenden Strauß, der nur wenige Minuten später zu der Unfallstelle kam und sich persönlich an der Bergung des zum Glück nur leicht verletzten Eberhard beteiligte. Wohl auch aus Gründen der persönlichen Sicherheit beschloss Eberhard bald darauf, sich aus der Politik zurückzuziehen und Präsident der Bayerischen Staatsbank zu werden. Hanns Seidel näm-
lich war 1961 an den Folgen seines Unfalls am Ende sogar gestorben – ihm zu Ehren wurde 1967 dann die auch heute noch CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung gegründet, der gegenwärtig mit einer gewissen Logik der ehemalige Generalsekretär Otto Wiesheu vorsitzt.
FREIRAUM
Die Gründung der Hanns-Seidel-Stiftung markiert das Ende eines Jahrzehnts nicht nur des perso-
nellen, sondern auch des strukturellen Umbruchs. Unter der Leitung des neuen Vorsitzenden voll-
zog die CSU den Wandel hin zur modernen, effektiv organisierten Volkspartei, die nun mit guten Erfolgsaussichten den Auftrag ihres Gründers Josef Müller in Angriff nehmen konnte, „aus der christlichen Idee heraus den Persönlichkeitsbegriff zu entwickeln, so wie er im Urchristentum ent-
wickelt war. Wenn das Urchristentum sich bis zum heutigen Tag durchgesetzt hätte, gäbe es keinen Kommunismus.“ Neue, der Zukunft verpflichtete Gesichter prägten immer stärker das Profil der besonders in Bayern von Wahl zu Wahl erfolgreicheren Partei, wie z.B. das des parlamentarischen Geschäftsführers der Bonner CDU/CSU-Fraktion Leo Wagner, der 1973 bei Köln-Wahn in einen schweren Autounfall verwickelt wurde – aber auch die altbewährten Routiniers arbeiteten weiter mit am Fortschritt, wie etwa der Mitbegründer Franz Heubl, der 1976 in der Münchner Merian-
straße in Trunkenheit einen Verkehrsunfall verursachte, bei dem sowohl an seinem schweren Mer-
cedes wie auch am gegnerischen Fahrzeug Totalschaden entstand. Wie ein CSU-internes Dossier danach über Heubl vermerkte, „wollte die Staatsanwaltschaft ihn wegen Unfallflucht, Beamtenbe-
leidigung, Nötigung und Widerstands gegen die Staatsgewalt anklagen …“, doch wurde daraus aus irgendeinem Grunde dann doch nichts.
KOFFERRAUM
Interessanterweise war der eben erwähnte Leo Wagner kurz zuvor von einem Ärzteteam für „parti-
ell geistesgestört“ erklärt worden – ein Verdacht, in den neben Franz Heubl bald auch der damali-
ge Strauß-Referent Dieter Huber geriet. Dieser behauptete nämlich Ende Februar 1978 plötzlich, den 17. und 18.2. dieses Jahres vorwiegend in Kofferräumen verschiedener Kraftfahrzeuge zuge-
bracht zu haben, in der Gewalt angeblicher Entführer, von denen sich dann aber keinerlei Spur finden ließ, geschweige denn ein Motiv. Parteiintern nahm Hubers Ansehen deshalb eher Schaden, er gehörte zusammen mit Wagner und Heubl zu den wenigen wirklichen Verlierern dieses Jahr-
zehnts, das laut dem 70er Parteitag doch unter dem Motto stand: „CSU – erfolgreich, dynamisch, zuverlässig.
Zu den Gewinnern zählten in dieser Zeit der Opposition in Bonn naturgemäß vor allem Männer der bayerischen Landespolitik! Karl Hillermeier und Max Streibl, die Schlüsselministerien im bayerischen Kabinett besetzten, Erich Kiesl, der Oberbürgermeister im lange Zeit sozialdemo-
kratisch regierten München werden konnte, und Erich Riedl, der den TSV 1860 München als dessen Vorsitzender zurück in die l. Fußballbundesliga führte. Am 2. September 1980.gab Erich Riedl nach der 2:3 Auswärtsniederlage seiner „Löwen“ beim l. FC Kaiserlautern seinem Chauffeur den Befehl, sich nicht an die Stau-bedingte Umleitung am Betzenberg-Stadion zu halten. Als Ver-
kehrspolizisten den ausbrechenden Mercedes stoppten, sprang Riedl mit dem Ruf „Ihr kleinen Arschlöcher, Ihr Dreckskerle, was wollt Ihr?“ aus dem Wagen. Beamtenbeleidigung wie „Grüne Säue“, „Zigeunerpack“ und „Grüne Männchen, grüne Männchen!“ folgten, auch hörten Zeugen den Satz: „Ich bin der Dr. Riedl und ihr habt zu machen, was ich will.“ Die Beamten stellten Strafantrag wegen Beleidigung, und der TSV 1860 München stieg in den folgenden Jahren bis in die Amateur-
liga ab.
OTTOS MOTTO
Einen steilen Aufschwung dagegen nahm Anfang der achtziger Jahre die Karriere des ehemaligen Junge-Union-Vorsitzenden Otto Wiesheu, der als erst 38jähriger im Februar 1983 von Franz Jo-
sef Strauß, der mittlerweile auch bayerischer Ministerpräsident geworden war, ins Amt des CSU-Generalsekretärs berufen wurde. In Bonn war die CSU gemeinsam mit der großen Schwesterpartei CDU gerade wieder an die Macht zurückgekehrt, und mit Werner Dollinger hatte sogar erstmals ein CSU-Mitglied das Bundesverkehrsministerium erobert, als Otto Wiesheu am 29. Oktober 1983 um 3 Uhr früh auf der Autobahn München-Nürnberg in voller Fahrt mit seinem Mercedes 380 SE und, so die CSU-Landesleitung, „weit unter 2 Promille“ von hinten in den Fiat 500 des völlig überraschten Josef Rubinfeld raste. Rubinfeld war auf der Stelle tot, sein Beifahrer schwer, Otto Wiesheu allerdings nur leicht verletzt. So konnte er auch weiterhin in „Verpflichtung und Auftrag für Bayern und Deutschland“ stehen, wie es das Motto des 47. CSU-Parteitags im Juli 1983 gefor-
dert hatte, und zwar von jetzt ab wie gesagt als besonders qualifizierter Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung.
Sein Vorgänger in diesem Amt, Fritz Pirkl, krachte im nächsten Januar beim Deutschen Museum in München gegen ein plötzlich auftauchendes Hindernis, im März 1984 verlor Erich Kiesl zuerst die Kommunalwahlen in der bayerischen Landeshauptstadt und dann bei Rosenheim die Beherr-
schung über seinen Wagen, im April unterlief Franz Heubl nach längerer Pause wieder ein Auffahr-
unfall, diesmal bei Günzburg, und der Kreisrat und zweite Bürgermeister der Gemeinde Neuhaus/ Pegnitz, Andreas Laus, geriet auf der Autobahn München-Kufstein in eine Radarfalle. Laus, Be-
sitzer einer Brauerei und Mitglied der Faschingsgesellschaft „Feucht-Fröhlich“, verglich den Poli-
zeibeamten gegenüber ihre Praktiken der Geschwindigkeitsüberwachung mit „Wegelagererme-
thoden aus längst vergangenen Zeiten“, die „besser in ein totalitäres System passen würden“. Da sich Innenminister Karl Hillermeier zu spät, wohl auch nicht totalitär genug in das anschließende Verfahren vor dem Hersbrücker Amtsgericht einschaltete, wurde Laus zu 5.000,– DM Bußgeld wegen Beamtenbeleidigung verurteilt. Interessanterweise war erst wenige Tage vor ihm seine Gattin wegen überhöhter Geschwindigkeit aktenkundig und in eine Autobahnkarambolage verwik-
kelt worden. Und eine weitere Gattin, keine geringere.als die des Parteivorsitzenden Franz Josef Strauß, ließ am 22.6.84 bei dem Versuch, mit einem Mercedes 230 E von Rottach nach Kreuth am Tegernsee zu fahren, auf der Achensee-Bundesstraße sogar ihr Leben.
Es spricht für die Stärke und die Regenerationsfähigkeit der CSU, dass sie auch nach dem anschlie-
ßenden Auffahrunfall Erich Kiesls in der Münchner Buschingstraße am 12. September und nach dem Tod des Landtagsabgeordneten Rudolf Kluger auf der Autobahn München-Kempten am 24. September ihren Mut zur politischen Entschlossenheit nicht verlor und ihren 48. Parteitag am 19./ 20. Oktober konsequent unter das Motto „Kursbestimmung“ ! stellte. „Für eine Politik aus christ-
licher Verantwortung“, formulierte Franz Josef Strauß gleichsam programmatisch für die zweite Hälfte des vorletzten Jahrzehnts dieses Jahrtausends, „muss, und zwar in allen Bereichen, Freiheit in Verantwortung und Ordnung der unaufgebbare, zentrale politische, geistige und moralische Schlüsselbegriff sein und bleiben“. Noch im gleichen Jahr, am 6. November 1984, gelang es Ver-
kehrspolizisten in Regensburg dennoch, den Parteiveteranen Hermann Höcherl am Steuer eines Kraftfahrzeugs zu stellen. Zu seiner Entschuldigung muss man allerdings sagen, dass er betrunken war, genau wie sein Parteifreund und bayerischer Landtagsabgeordneter Gustav Matschl, der wenige Tage später in München bei einer Verkehrskontrolle immerhin 1,29 ‰ aufweisen konnte. Erich Riedls Nachfolger im Amt des Präsidenten von 1860 München, Karl Heckl, beendete das Orwelljahr mit einem Totalschaden an seinem Mercedes 500 SEL am 9. Dezember in Landshut.
FISCHESSEN
Was folgte, ist bereits Geschichte: Die berühmte Aschermittwochsrede Franz Josef Straußens am 20. Februar 1985, in deren Mittelpunkt die Forderungen nach Frieden, Freiheit und sozialer Ge-
rechtigkeit standen und das anschließende abendliche Fischessen im Hotel Zottbachhaus in Pley-
stein, an dem unter anderen auch derselbe Konrad Schwarzfischer teilnahm, der am folgenden Abend in seiner Eigenschaft als oberpfälzischer CSU-Bezirksgeschäftsftihrer seine Selbstversuche mit einem Sekt/Weißbiergemisch an einer Regensburger Verkehrsampel abschloss. In seiner Eigenschaft als Bundeslandwirtschaftsminister geriet nur drei Tage später Ignaz Kiechle in eine Massenkarambolage auf der Autobahn Köln-Aachen, und in einer Waschstaße der Gemeinde Bur-
gau, deren CSU-Ortsverband er jahrelang angeführt hatte, erlitt der ehemalige Geschäftsführer des Bundesverbandes Deutscher Zeitschriftenverleger, Philipp Riederle, am Steuer seines treuen Mercedes 200 am 7. März einen tödlichen Herzinfarkt.
Immer mehr CSU-Bundestagsabgeordnete gaben sich in den nun folgenden Monaten der Diskus-
sion um ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen als Verkehrsexperten zu erkennen, vor allem der „Bild-Zeitung“ gegenüber, in der Dionys Jobst schon am 23. März den Abbruch des noch kaum angelaufenen bundesweiten Großversuchs forderte. Heinz Rosenbauer, Staatssekretär im bayerischen Innenministerium, erklärte am 30. März vor einer Mitgliederversammlung des ADAC-Gaus Südbayern die Autofahrer zu einer „großen Freiheitsbewegung“ und befahl darauf dem Re-
gensburger Polizeipräsidenten Hermann Friker, von seinem Dienstwagen eine Plakette abzukrat-
zen, die dazu aufforderte, freiwillig Tempo 100 zu fahren. Auch wurden auf Anordnung von Rosen-
bauers Dienstherrn, Innenminister Hillermeier, verstärkte Alkoholkontrollen in Oberbayern wie-
der eingestellt, weil sich die Wirte beschwert hatten.
BIERTRINKEN
Es muss wohl als Ironie der Geschichte gewertet werden, dass Hillermaier am 29. April 1985 auf der A 99 einen leichten Blechschaden erlitt, als, bei Hohenbrunn, ein BMW Turbo auf den Wagen des Ministers auffuhr. Zwei Monate später zeichnete Hillermeier dann Marianne Strauß an ihrem ersten Todestag posthum mit dem Bayerischen Verdienstorden aus, eine Ehrung, für die sich bald auch Martin Streibl, der 24jährige Sohn des bayerischen Finanzministers empfahl, indem er am 5. Juli 85 in München-Schwabing mit seinem BMW 323i stark alkoholisiert ein par-
kendes Fahrzeug zu eben dem Schrott machte, aus dem man bayerische Verdienstorden presst. Hillermaier und Rosenbauer starteten daraufhin eine bayernweite Verkehrserziehungsaktion namens „Sicher auf Bayerns Straßen“, in deren Folge die CSU allerdings beinahe die Wählerstim-
men der bayerischen Schrotthändler verloren hätte – wären dann im November nicht doch noch nacheinander der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei Edmund Stoiber im Straßengraben, der ehemalige Landtagspräsident Rudolf Hanauer an einer Straßenbahn und anschließend in einer Klinik, sowie der Bundestagsabgeordnete Benn Zierer wegen Vorfahrtsmißachtung mit hohem Sachschaden bei Donaustauf in der Flensburger Zentralkartei gelandet. Die letzten Zweifel an der Verkehrsuntüchtigkeit der CSU konnte im Dezember schließlich der Kelheimer Landrat-Stellver-
treter Hans Kirzinger ausräumen, der im Anschluss an die Weihnachtsfeier des Siegenburger Kreistags mit vier Litern Bier im Blut auf den Wagen des ehemaligen Kreisrats Peter Prückl-
meier auffuhr und Prücklmeiers Leben durch Genickbruch beendete.
Damit war für die CSU ein Jahr beendet, dessen politische Bilanz sich auch international sehen lassen konnte. Auch im 40. Jahr ihres Bestehens war es ihr wieder gelungen, ihre Standpunkte sowohl in Bonn als auch in München mit aller Entschlossenheit deutlich zu machen, an der öffent-
lichen Diskussion und der politischen Willensbildung der Bürger teilzunehmen und Vorschläge zur Lösung von konkreten Aufgaben in Gesellschaft und Staat der Bundesrepublik sowohl zu entwik-
keln als auch zu verwirklichen. So hatte zum Beispiel der erst 26jährige Halbwaise Max Strauß die Leitung der neugegründeten Marianne-Strauß-Stiftung übernommen und als Mitglied der „Ak-
tionsgemeinschaft gegen Tempolimit“, durch die Teilnahme an einer Protestaktion am 18. Novem-
ber auf sich aufmerksam gemacht, die darin bestand, dass die Münchner Widerstandsgruppe an diesem Tag von genau 12 bis 13 Uhr mit eingeschalteten Autoscheinwerfern den Stadtverkehr un-
sicher machte.
STAMMWÜRZE
Am 30. Januar 1986 geriet Karl Heckl, immer noch damit beschäftigt, den TSV 1860 München in den bezahlten deutschen Fußball zurückzuführen, ganz ähnlich wie 5 Jahre zuvor sein Amtsvor-
gänger Erich Riedl mit der Verkehrspolizei in Konflikt, mit dem kleinen Unterschied lediglich, dass ihm nach Beamtenbeleidigungen wie „Arschgesichter“, „Affenköpfe“ und „Rotzlöffel“ sogar Hand-
schellen angelegt werden mussten, bevor ihm eine Blutprobe von 1,41 Promille Stammwürze abge-
nommen werden konnte. Die CSU war auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Aus den Verkehrsdurch-
sagen des bayerischen Rundfunks war sie schon nicht mehr wegzudenken, und mit dem bayeri-
schen Landtagsabgeordneten Richard Wengenmeier, Staatssekretär Edmund Stoiber und dem notorischen Erich Kiesl gelangen ihr in diesem Jahr jetzt auch noch aufsehenerregende Skiunfälle in Bayern, Österreich und der Schweiz.
STAMMWÄHLER
Da tat das Absinken bei den bayerischen Landtagswahlen am 10. Oktober von einst 62,1 Prozent im Jahre 1974 auf nun nur noch 55,8 Prozent keinen wirklichen Abbruch mehr, wie das Schicksal des Sauerlacher Bürgermeisters Josef Kalhofer beweist, der sich am ersten Weihnachtsfeiertag 86 mit seinem dunkelblauen BMW 528i um 15 Uhr 06 einem Zug der S-Bahn-Linie 2 von Mün-
chen nach Holzkirchen in den Weg stellte. Auch unter Zugrundelegung optimistischer Unfallpro-
gnosen wird sich die CSU frühestens im Jahre 2030 soweit dezimiert haben, dass sie keine 50 Pro-
zent der Wahlberechtigten in Bayern mehr stellen kann. Und bis dahin bestehen wohl auch kaum Chancen für eine Gesetzesänderung, die CSU-Mitgliedschaft am Steuer unter Strafe stellt, genauso wenig wie für die Forderung, den Transport besonders gefährlicher CSU-Mitglieder von der Straße auf den Schienenweg zu verlagern. Schon gar nicht, solange in solchen Dingen mit Jürgen Warn-
ke ein CSU-Mitglied das Sagen im Bundesverkehrsministerium hat – ausgerechnet der Mann also, dessen bloße Anwesenheit im Fond ausreicht, einen Dienstwagen samt Chauffeur von der Straße abzubringen, wie zuletzt am 14.1. letzten Jahres bei Hof vorgekommen. In Bayerns Justizstaatssek-
retär Wilhelm Vorndran, der am selben Tag die Fahrbahnmarkierung der Autobahnausfahrt München/Freimann weit neben sich ließ, hätten Reformen in dieser Richtung wohl ebenso wenig einen Fürsprecher.
UNGEWISS
Was bleibt, ist lediglich der dringende Rat an alle Autofahrer, insbesondere in Gegenden mit er-
höhtem CSU-Aufkommen, nur mit alleräußerster Vorsicht zu fahren – die Führerscheine der bay-
erischen Staatsminister Hans Zehetmair (September 87, Wyoming), Simon Nüssl (November 87, München) und Alfred Dick (Dezember 87, Freising) sind ja nur die Spitze des Eisbergs, des-
sen wahre Ausmaße derzeit noch ebenso im Nebel liegen wie etwa jene 48 Stunden im Leben des Beilngrieser Bürgermeisters Willy Muschaweck, dessen Dienstwagen am 7. September 87 im unmittelbaren Anschluss an einen Volksfestbesuch verlassen an einem Straßenbaum aufgefunden wurde – ohne seinen Herrn, der bis heute die Auskunft darüber verweigert, wo er sich trotz seiner mysteriösen Verletzungen bis zum übernächsten Tag versteckt gehalten hat. Wer von der CSU wo das nächste Mal zuschlagen wird, ist völlig ungewiss – Erich Kiesl z.B. ist keineswegs ein unbedingt sicherer Tipp, denn ob sein leidgeprüfter Mercedes sich nach dem vorläufig letzten Unfall vom 20. 2.87 überhaupt noch anzuspringen traut, ist gerade zu dieser Jahreszeit ja sehr die Frage.
UNBESCHRANKT
Gleichwohl sollte man natürlich gerade in München den Straßenverkehr insgesamt meiden und lieber das gut ausgebaute U- und S-Bahn-Netz in Anspruch nehmen. Allerdings nicht die S-Bahn-Linie 2 hinaus nach Holzkirchen, die ja in Sauerlach den immer noch unbeschrankten Bahnüber-
gang Urspringerstraße kreuzt, auf dem der bereits erwähnte Josef Kalhofer am 25.12.86 den Total-
schaden fand. Am 16.3.87 um genau 22 Uhr 10 beispielsweise entschloss sich nämlich Kalhofers Gefolgsmann und Gemeinderat Ernst Huber, genau an dieser Stelle eine „Gedenkminute“ (Hu-
ber) für den hier verstorbenen Bürgermeister einzulegen. Mit nur 0,34 Promille stellte er seinen Mercedes mitten auf den Gleisen ab, ging zu Fuß nach Hause und überließ es einer dieses mal aus Holzkirchen kommenden S-Bahn, die Trauerarbeit mit ihrer vollen Wucht zu vollenden. Mit weite-
ren Vorkommnissen dieser Art ist jeden Tag zu rechnen.
Jörg Metes
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Jörg Metes ist Mitarbeiter des endgültigen Satiremagazins TITANIC und hat dort maßgeblichen Anteil an der Etablierung der CSU-Forschung als eigenständiger verkehrswissenschaftlicher Dis-
ziplin gehabt. Ihre Ergebnisse werden nach wie vor regelmäßig in der TITANIC veröffentlicht; alle Hinweise zum CSU-Verkehrsverhalten werden mit Freuden entgegengenommen unter der Anschrift: TITANIC, Brönnerstraße, 6000 Frankfurt 1.
Münchner Stadtzeitung 5 vom 26. Februar 1988, 16 ff.