Materialien 1983

Aus einem Gespräch: Anfang 1983

A.: Bei der Rekrutenvereidigung in Bremen hat es das erste mal wieder so richtig gekracht. Das war so Anfang ’80.

M.: Gerade in der Zeit war auch die Bereitschaft der Leute wieder größer, selber was zu machen, nicht nur irgendwelchen Organisationen hinterher zu hecheln. Da gab es auch hier viele Aktionen. Angefangen bei der Sendlinger Kirchenbesetzung. Jeden Samstag Spontandemo, die Punkdemo, die ganzen Besetzungen …

A.: Da stand fast jeden Tag was in der Zeitung. Ich hatte das Gefühl, wir sind Abertausende.

Ch.: Mit fünf Leuten fingen wir eine Häusergruppe an, damit endlich was los geht mit Hausbeset-
zungen. Wir machten Flugblätter, um mehr Leute zu gewinnen.

A.: Es fing erst so richtig an. Da tasteten sich die Leute untereinander ab, wer z.B. für eine militan-
te Besetzung in Frage käme. Wir schmiedeten Pläne, das bayerische 24-Stunden-Limit zu durch-
brechen.

M.: Es hat doch für jeden von uns Situationen gegeben, wo du was tun musst, dich wehren musst, sonst drehst du durch. Du hast dann auch die Kraft und reagierst eben nicht so, wie SIE das wol-
len. Z.B. wie wir uns vor das Bullenauto gesetzt haben, wie sie den Michi verhaften wollten. Wir blieben sitzen, bis sie ihn wieder rausgerückt haben. Da hätten wir uns eher überfahren lassen, als wegzugehen.

S.: Ein Problem ist für mich, in so einer Zeit irrsinnig viel zu machen, von einem Treffen zum ande-
ren, Häusergruppe, Demo, vorbereiten, organisieren … dann fühl ich mich total ausgelaugt und zieh mich wieder zurück. Also keine Kontinuität, nix mit power auf Dauer.

M.: Ich finde es wichtig, in Kleingruppen was zu machen, wo du die Leute magst. Du kannst dich aufeinander einspielen, sowohl bei illegalen, subversiven Sachen, als auch bei Alltagactions. Da kannst du dich gegenseitig aufbauen – oder auch runterziehen – aber da läuft dann regelmäßig was, nicht bloß vereinzelt.

B.: Ich find das mit den kleinen Zellen schon auch sehr wichtig, aber man darf das nicht so eng sehen. Diese Abgrenzungen, wie’s in großem Stil die RAF gemacht hat, find ich scheiße. Man muss aufpassen, da nicht so rein zu rutschen.

M.: Es gab Telefonketten, die immer erweitert wurden. Das hat dann auch ganz gut geklappt. Bei der Besetzung der Blumenstraße war ich zumindest eher da wie die Bullen. Sie hielten sich auch da noch zurück, weil so viele Leute auf der Straße waren. Es kam das Gerücht auf, SPD-Stadträte wür-
den sich für uns einsetzen, und in dieser Nacht würde auf keinen Fall geräumt werden. Wir verteil-
ten abends noch Flugblätter in den Kneipen und gingen dann nach Hause. wir dachten, heute Nacht passiert noch nichts. Am nächsten Morgen wollte ich wieder hinfahren, da treff ich jemand in der Tram, der mir erzählt, dass in der Nacht geräumt wurde.

A.: Am Abend war noch ein Fest gewesen, und viele waren besoffen und haben nicht mehr durch-
geblickt.

Es wurde ja der ganze Altstadtring und rundherum abgesperrt. Die Leute in dem Haus wurden zwei bis drei Stunden festgehalten und durften nur einzeln rauskommen. Die durften nicht mal aufs Klo gehen, mussten also in irgendeine Ecke pissen. So um sechs Uhr früh, bevor die ersten wieder zur Arbeit fahren, war der ganze Spuk vorbei. Das haben SIE sich klug ausgedacht.

Bei der Besetzung in der Albrechtstraße wurde nicht gleich geräumt. Wißt ihr warum? Weil die Münchner Bullen auf die Nürnberger warteten. Das war gleichzeitig eine Übung, wie lange sie brauchen, um andere Truppen zusammenzuziehen. Bei der Räumung waren Nürnberger Bullen da, das müsst ihr euch mal vorstellen. Ich weiß das von einem, der den Funk abgehört hat.

Da in der Albrechtstraße, das wäre echt gut gewesen, wenn die Leute nicht so unentschlossen ge-
wesen wären. Das Haus gehörte der Stadt und wir waren viele.

M.: So viele waren es nun auch wieder nicht, die den Häuserkampf in München unterstützt haben. Und auf eine totale Schlacht, die nicht zu gewinnen ist, hatte ich auch keine Lust.

A.: Die meisten Leute, die in die Albrechtstraße kamen, waren sowieso nur Zuschauer. Das war so ein richtiger Trend. Die stehen doch nicht dahinter, da kann man doch drauf scheißen.

M.: Wieso kannste drauf scheißen? Wär dir lieber, es käm überhaupt niemand?Das ist nämlich der Punkt, dass du glaubst, alle müssen sofort Widerstand leisten und genauso drauf sein wie du. Das ist meiner Meinung nach auch der Fehler der Häuserbewegung hier gewesen. Die hatten nicht den Atem und die Ausdauer, mehr Leute zu gewinnen. Da muss man halt in die Stadtteile und zu den Initiativen gehen.

A.: Ich meine, dass viele nur aus einer Trendsache heraus zu einem besetzten Haus gerannt sind. Weil in der Presse stand, dass es in Berlin Krach gibt. Die haben sich doch vorher gar nicht mit dem Thema beschäftigt. Das ist doch nur Schaulustigkeit.

M.: Die gehen halt mal hin und gucken. Das ist doch o.k., die sehen dann ja auch, was abläuft, da-
durch kriegen sie eine gewisse Betroffenheit auch mit.

A.: Wir hatten auch schon Ideen, was wir mit einem länger besetzten Haus anfangen würden. Wir wollten ein Zentrum für die Bewegung schaffen. Also, dass im Erdgeschoß und im 1. Stock Veran-
staltungen und Konzerte stattfinden. Da waren schon gute Ansätze da. Aber leider kam der 4. April und die Verhaftungen dazwischen. Das war schon vorprogrammiert, als die merkten, dass eine breite Palette von Leuten etwas zusammen machen wollte. Das wollten sie verhindern, indem sie radikal dagegen vorgehen.


Börni, Annette, Ruth, Mathias, Hartmut (Wächtler), Christopher, Lilo, Billy und Andrea (Wolf) mit Beiträgen von Wolfi und Reinhard, Stark sein – stärker werden, München Januar 1984, 98 ff.

Überraschung

Jahr: 1983
Bereich: Alternative Szene