Materialien 1983

Statement von B. im Herbst 1983

Die Ereignisse dieser Demo vom 4. April sind für mich kein Thema mehr. Ich habe sie verdrängt, ja, echt. Ich gehe auch auf keine Demo mehr. Das ist für mich keine Form mehr, um etwas zu er-
reichen. Wenn ich sehe, welche Macht die Bullen haben, hat das für mich keinen Sinn mehr. Die können doch alles machen, denen sind doch keine Grenzen gesetzt.

Früher dachte ich, dass die Leute und ich, die mit dieser Gesellschaftsform unzufrieden sind, auf die Straße gehen und dort sich artikulieren könnten, damit sich dadurch der Widerstand formiert und eine politische Veränderung zustande käme. Das sehe ich inzwischen anders. Dieses Land unterscheidet sich kaum noch von einer Bananendiktatur. Die Möglichkeiten, die dieser Staats-
apparat hat, sind dafür schon perfekt.

An diesem 4. April habe ich am eigenen Leib erfahren, was jetzt schon möglich ist. Da kommen einfach zivile Bullen, weisen sich nicht aus, provozieren Schlägereien und nehmen Leute fest. Die sitzen dann sieben oder acht Wochen in U-Haft. Wenn sich die Konflikte in diesem Staat zuspitzen, sitzen die Leute nicht acht Wochen, sondern werden – wie etliche Beispiele schon zeigen – für ein paar Jahre weggeräumt oder für immer. Wenn du in die Maschinerie rein gerätst, stehste da mit deiner Gefühlswelt. Die Justiz funktioniert wie eine Maschine, dem Beamten, der das (DICH) »be-
arbeitet«, geht das überhaupt nicht nah, für den bist du das Schwein. Du als einzelner musst mit den ganzen »Sachen« fertig werden, sei es von der gefühlsmäßigen Seite her oder eben von der finanziellen.

Ich glaube, die einzige Möglichkeit, gegen diesen Staat anzugehen, sind nicht mehr Massendemon-
strationen, sondern der Kampf als einzelner bzw. in Zweier-, Dreiergruppen mit guten Freunden, auf die ich mich verlassen kann und die dicht halten. Das Risiko, auf einer Demo eingeknastet zu werden, ist für mich ungleich größer, als bei einer gut durchdachten Einzelaktion mit Leuten, die ich kenne. Demos bekommen eine Eigendynamik, die ich nicht überschauen kann.

Was passiert, hängt von allen Beteiligten und vor allem vom Terror der Bullen ab. Ich will den Ab-
lauf der Aktion selber bestimmen und für das Schweinesystem anonym bleiben. Der Staat ist eben ein Computerstaat, es wird alles eingespeichert, alles ist abrufbar. Je mehr Informationen sie über mich bekommen, desto leichter können sie mich in die Pfanne haun. Ich kann es mir eventuell lei-
sten, dreimal verhaftet zu werden, beim vierten Mal brumm ich eben ein paar Jahre. Darauf habe ich keinen Bock. Mir ist das jetzt schon öfter passiert und ich kenne Leute, denen ist das schon fünf oder sechs Mal passiert. Ich finde es wichtig, etwas zu machen, aber es ist doch sinnlos, sich selber zu zerfleischen.

Ich bin kein ideologischer Träumer mehr, die politischen Illusionen habe ich mir abgeschminkt. Es ist faschistisch, mit ausgeklügelten politischen Programmen die »Massen« für sich gewinnen zu wollen. Mit dieser menschenverachtenden Denkweise bleiben die Leute das, was sie bisher immer waren, eine Horde manipulierter Meerschweinchen. Darum ist für mich nur persönlicher Terror legitim. Die ganzen Repressionen, die gegen mich (uns) täglich laufen, wenn ich die als gegeben hinnehme, gehe ich (wir) dabei drauf. Das ist ein ständiger Druck, der auf mir lastet, der muss raus.

Aus der Geschichte ist nichts gelernt worden – wenn ich mir die Grünen so anschaue, da wird die gleiche Scheiße (der Parlamentarismus) mitgemacht. Das miese Spiel mit der Macht geht wieder los. Ich glaube nicht an eine politische Ideologie, schon gar nicht an eine, in der man von Macht ausgeht und diese dann einsetzt, um der Masse zu zeigen, wo es lang zu gehen hat. Jeder einzelne sollte Selbstverantwortung lernen und nicht an andere delegieren. »Das Spiel« wird immer wieder mitgemacht, dass man alle vier Jahre das geringere Übel wählt. Es wird schon gar keine andere Möglichkeit gesehen, es wird immer dieselbe Sackgasse entlang gelaufen. Die sogenannte »szene« bewegt sich selber auch in einer Enge. Es wird in Schablonen gedacht. Da sind die freaks, da die Alternativen und die Punks etc. Es wird alles so eng gesehen, anstatt dass man auf eine ideologi-
sche Begrenzung scheißt und einfach Mensch ist.


Börni, Annette, Ruth, Mathias, Hartmut (Wächtler), Christopher, Lilo, Billy und Andrea (Wolf) mit Beiträgen von Wolfi und Reinhard, Stark sein – stärker werden, München Januar 1984, 101 f.

Überraschung

Jahr: 1983
Bereich: Alternative Szene