Flusslandschaft 1975

CSU

Wer einige Jahre lang durch die Gegend gerannt ist und das kleine rote Buch mit den Worten des großen Vorsitzenden geschwenkt hat, gerät in eine heftige Krise. Auf dem Titelblatt der in Peking erscheinenden China im Bild sitzt fröhlich lächelnd neben dem Großen Vorsitzenden Mao Tse-
Tung der bayerische Ministerpräsident und zugleich bayerische Außenminister Franz Josef Strauß, der vom chinesischen Staatschef am 16. Januar empfangen wird. Beide scheinen sich ausgezeich-
net zu verstehen. Die Prawda dagegen ist verärgert und Bundeskanzler Schmidt irritiert.

„Gleich zwei Prozesse wurden wegen angeblicher Beleidigung des bayerischen Ministerpräsidenten geführt, der in allzudichten Zusammenhang mit einer bayerischen Delikatesse gebracht wurde. Es heißt da im 48. BLATT: ‚… der ein wenig senile bayerische Weißwurstpräsident Alfons Goppel …’ Dem Inhalt nach ging es in dem Artikel um die Tatsache, dass Alfons Goppel zumindest offiziell ein sehr lückenhaftes Erinnerungsvermögen zeigte: lehnte er doch ein Gnadengesuch der Vera Brühne ab mit der Begründung, in Bayern werde kein Mörder vor 18 Jahren Knastsitzen begnadigt. Er ver-
gaß, dass er bei mehreren Nazis gnadenreiche Milde oft nach wenigen Jahren walten ließ. Die Wurstwarenbeleidigung ist der Staatsanwaltschaft insgesamt 5.100 DM oder 170 Tage Haft wert, verteiIt auf 2 BLATT-Mitarbeiter.“1

1976 steht die nächste Bundestagswahl an. Bei der Niedersachsenwahl am 11. Juni 1974 war die SPD/FDP knapp vorne. FJS und die CSU bauen seitdem vorsichtig und aus dem Hintergrund agierend in anderen Bundesländern und in Westberlin mit Unterstützung von Axel Cäsar Springer, vom CSU-Freundeskreis um den bizarren Byzantinistik-Professor Berthold Rubin und von diver-
sen auf dem rechten Rand des politischen Spektrums sich tummelnden Mitmenschen Gruppie-
rungen auf, aus denen sich die sogenannte „vierte Partei“ entwickeln soll. Deren Aufgabe ist es als Koalitionspartner der CDU/CSU im Bund zu Mehrheiten zu verhelfen.2 In München kursieren anonyme Flugzettel ohne Impressum, die die NPD als Absender vorgeben.3FJS und die CSU haben nicht nur mit diesen klammheimlichen Aktivitäten, die aber der kritischen Öffentlichkeit bekannt sind, ein großes Imageproblem. Wer nicht Anhänger der CSU ist, fühlt sich von „Sontho-
fen“, von der halbseidenen Sympathie für menschenverachtende autoritäre Regimes in der Welt sowie vom Machtkartell aus CSU-Seilschaften, Rüstungs- und Exportindustrie abgestoßen.


1 Monika Döring u.a. (Hg.), Beschlagnahmt, Berlin 1976, 122.

2 Vgl. „Nennen Sie ihn den großen Unbekannten“ in: Der Spiegel 9 vom 24. Februar 1975.

3 Siehe „npd“.

Überraschung

Jahr: 1975
Bereich: CSU

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