Materialien 1957
Leonhard Frank 75 Jahre
Unbewusst richtig hat der Intendant einer angesehenen deutschen Bühne den Dichter Leonhard Frank und sein Werk klassifiziert, als er gegen die Aufführung eines Dramas einwandte: „Sie sind zu direkt.“ Leonhard Frank, der am 4. September in München 75 Jahre alt wird, hat sein Leben lang den direkten Weg zu Herz, Verstand und Phantasie des Lesers gewählt – ohne die Umschwei-
fe, zu denen der Vorsatz, Literatur zu machen, den Schreibenden verführen kann. Leonhard Frank wollte nie „Literatur machen“, er wollte die Wahrheit sagen. Dass die „kunstlose“ Erzählkraft eines Dichters den Leser mitten ins Herz treffen kann, ohne sein ästhetisches Bedürfnis und seinen Hun-
ger nach sittlichem Bekenntnis unbefriedigt zu lassen, dafür ist Leonhard Frank eines der ganz we-
nigen Beispiele in der neueren deutschen Literatur. Sein Werk ist aktuell geblieben, denn die Zeit ist ihm entgegen gekommen. Und Frank selbst ist im Herzen jung, weil er nie aufgehört hat, zu fra-
gen und in Frage zu stellen. Er geht durch all seine Romane, Novellen und Dramen, von dem Erst-
lingswerk „Die Räuberbande“ (1914) bis zu seinem vorläufigen Letztling, dem autobiographischen Roman „Links, wo das Herz ist“ (1952) genannt und ungenannt, als der leidende, mitleidende, überwindende Mann Michael Vierkant, der die Welt immer neu an sich erfährt, auf das Ziel hin, die Mitte in sich selbst zu finden. Was seinem Bücher-Ich Michael Vierkant an Liebeswundern und irreparablen Verlusten, an Peinigung der Seele und Genuss des Leibes, an Demütigung und Aner-
kennung widerfährt, das schreibt der Dichter Leonhard Frank, der sich das Schreiben schwer macht, zäh und gewissenhaft auf. Kaum zwanzig, reißt sich der junge Schlossergeselle los aus der drückenden Armut des Elternhauses und der Enge der Kleinstadt Würzburgs – das er doch so liebt – schlägt sich nach München durch, wo er als Gelegenheitsarbeiter sein Dasein fristet, bis er sich als Maler versucht und mit dem Erlös eines Bildes nach Berlin fährt. Als er hier, völlig mittellos auf Tiergartenbänken nächtigend, der Verzweiflung am nacktesten ausgeliefert ist, packt ihn der „Größenwahn“, der ihm, an der Seite einer geliebten Frau, die Kraft zu seinem ersten Roman gibt. „Die Räuberbande“ wird ein unerwartet großer Erfolg und trägt seinem Autor den Fontane-Preis ein. – Die Not der Jugendjahre hat ihm das Herz für einen „Gefühlssozialismus“ geöffnet. unter dem schmerzlichen Eindruck des ausbrechenden Weltkrieges 1914 befestigt er, was zuerst Gefühl war, zu einer Weltsicht, die jedes seiner Werke von nun an zu unmissverständlicher und „direkter“ Parteinahme für die Sache des gequälten und in seiner Entfaltung verkürzten Menschen prägt. Mitten im deutschen Siegestaumel verlässt der Dichter das Land und geht in die Schweiz. Sein Aufschrei gegen den Krieg, „Der Mensch ist gut!“, überspringt die Barriere des Verbots. An diesem Buch scheiden sich die Geister. Leonhard Frank hat Stellung bezogen. In der „Ursache“ wendet er sich gegen die Todesstrafe, „Der Bürger“ schildert das Hinundhergerissenwerden eines Mannes zwischen dem Wohlleben seiner Klasse und seiner besseren Einsicht, die ihn in die Reihen der Arbeiterschaft zwingt. Seine Heimkehrer-Novelle „Karl und Anna", das Hohelied auf die Wand-
lungskraft der Liebe, erschüttert auch auf der Bühne und im Film Menschen in der ganzen Welt. Im „Ochsenfurter Männerquartett“ verfolgt Leonhard Frank den Weg der „Räuberbande“ weiter. Doch die Geschichte von der Odyssee dreier deutscher Arbeitsloser, „Von drei Millionen drei", wird überdröhnt vom 1933er Marschtritt. Der Dichter muss fliehen, er bleibt ein Heimatloser auch in Frankreich und in Amerika. Hier entstehen „Die Jünger Jesu“, „Mathilde“, die „Deutsche Novelle“ und – mit Leonhard Franks Rückkehr in die zerstörte Heimat – „Michaels Rückkehr“. Heute lebt der Dichter, vor äußerer Not hinlänglich bewahrt, ein Aufbegehrer noch heute, in München, das ihm mehrmals entscheidende Station war. In seiner Schublade ruhen zwei Theaterstücke – neben einer Komödie ein Drama, das den Leidensweg einer jungen Jüdin durch die Vernichtungsmaschi-
nerie Hitlers bis in die Justizmaschinerie der Gegenwart zum Vorwurf hat. Wer wird es aufführen? Leonhard Frank zweifelt manchmal an dem Mut, der auch heute noch dazu gehört. Es ist ein Auf-
ruf gegen die Trägheit der Herzen.
Das Schönste. Die Monatsschrift für alle Freunde der schönen Künste 9 vom September 1957, München, 36.