Materialien 2023

Frieden hat keine menschliche Alternative

Der folgende Text betont die Dominanz der Ökonomie und verzichtet auf moralisierende Anmer-
kungen. Herrschendes Wirtschaften kennt keine Moral – außer es nutzt sie in ihrer Selbstdarstel-
lung. Nur wenn Kapital Überzeugungsarbeit vollbringen will, kommen moralische Versatzstücke zur Geltung. Sie missachten den Vorrang der Marktgesetze bei der Gefahr des eigenen Unter-
gangs. Weil Wirtschaft und Staaten in den Vordergrund gestellt werden, beginnt dieser Text mit Staaten und ihren Interessen.

Staaten haben großes Interesse am Weiterbestehen. Staaten organisieren nach Innen und Außen ihre eigenen Angelegenheiten. Dabei sind sie von der inneren Zustimmung und den äußeren Ver-
bindungen abhängig.

Die eigenen Interessen darlegen und die anderen Interessen anhören öffnet den Weg zum Aus-
gleich der Interessen, staatlicher, gesellschaftlicher und persönlicher Art. Persönliche und fami-
liäre Interessen fügen sich gesellschaftlichen und staatlichen Interessen entweder ein oder gehen unter.

Bei staatlichen Konflikten oder vor (!) einem Krieg können Verhandlungen einen Ausgleich der Interessen erreichen.

Der Krieg in der Ukraine hat Jahrzehnte alte Ursachen und dazu aktuelle Auslöser. Im Krieg in der Ukraine zeigen sich konträre Interessen, die in der Region gesellschaftlich, politisch und schließ-
lich militärisch ausgetragen werden. Gesellschaftliche Interessen sind Produktions-, Handels- und Finanzinteressen. Alle gruppieren sich um die Bodenschätze und die Arbeitsfähigkeiten der dorti-
gen Bevölkerung.

Die politischen Interessen zeigen sich in dem Bemühen um die Beibehaltung von Herrschaft über Gebiete und deren Bewohner – oder um den Versuch diese Gebiete und Menschen unter eine an-
dere Herrschaft zu bekommen; das hätte vor Jahrhunderten noch ausgereicht für einen Krieg. Das galt sogar zwischen den damals herrschenden Monarchen oder Klerikern. Sie finanzierten diese Kriege aus den Mitteln, die sie von Leibeigenen, Hörigen, Ständen und Städten erhielten oder sich von reichen Kaufleuten liehen. Damals waren Bodenschätze und Bewohner im Eigentum der Herr-
scher, im heutigen Kapitalismus im Eigentum vor allem von Großindustrie (Kohle & Stahl), Ban-
ken, „Schattenbanken“ und internationalen Handelsgruppen.

Noch innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) wandte Deutschland den „pas-
siven Veredelungsverkehr“ an, der von der Europäischen Union (EU) insgesamt ab 1986 aufge-
nommen wurde (kurzzeitige Ausfuhr von Halbfertigprodukten zur billigeren Weiterverarbeitung und Wiedereinfuhr).

Seit der Weiterentwicklung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse durch die Dominanz des Finanzsektors spielen die Interessen der finanziellen Anteilseigner (Shareholder) eine deutlich größere Rolle. Das hatte auch Auswirkungen auf die Wirtschaftsbeziehungen zur gesamten Welt und insbesondere zu Osteuropa.

Während des Kalten Krieges wurden im osteuropäischen Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) einzelne Länder wirtschaftliche Bereiche zur stärkeren Entwicklung beauftragt. Arbeitstei-
lung und Spezialisierung sollten die wirtschaftlichen Entwicklungen fördern und effektivieren. (Beispielsweise die Zuckerproduktion auf Cuba, Elektrotechnik und Elektronik in der DDR, Schwerindustrie Russland usw.). Das hielt 1990 den Zusammenbruch des Ostblocks nicht auf.

Noch 1991 ging es darum, möglichst schnell die wichtigsten traditionellen Produktionsfaktoren Russlands in den Gesamtzusammenhang der „westlichen“ Kapitalien einzufügen. Sowohl Jelzin damals als auch Selenskyj (bei dem Eröffnungsläuten der NY-Börse 2022) formulierten das ähn-
lich: Kommt und holt Euch, was hier vorhanden ist. Abzuschöpfen sind Natur und Arbeitsergeb-
nisse – wie überall, aber in spezieller Art.

Jeder einzelne Staat gibt dem Konkurrenzkampf zwischen den Kapitalien einerseits und anderer-
seits den Bewohnern und Arbeitenden eine spezielle Ordnung.

In der ehemaligen Sowjetunion folgte nach 1991 ein wirtschaftlicher und politischer Schock, es gab es keine „Systemkonkurrenz“ mehr gegenüber dem Westen, sondern eine Konkurrenz von Kapita-
lien, jeweils gestützt von Staaten.

Es war ein Zusammenbruch, der große Teile der Bevölkerung verarmte und wenige bürgerlich Son-
derinteressenten mit herausragenden Reichtümern ausstattete (sogenannte Oligarchen). Deren Aktivität war unterschiedlich: Transfer der Kapitalien ins „neutrale“ & westliche Ausland oder Ver-
bleib im Land. Beide versuchten auf ihren zur Verfügung stehenden Wegen die jeweils aktuelle po-
litische Situation zu ihrem Vorteil zu beeinflussen oder gar zu lenken, verdeckt oder „robust“.

Die Alternativen der Handlungen in der Wirtschaft sind vielfältig, Löhne drücken, gesellschaftlich verfemen, verdeckt handeln, medial reagieren, Begriffe denunzieren, staatlich Einfluss nehmen lassen – vor allem die Investitionen lenken und technische Bereiche fördern (Rohstoffabbau, Ener-
giebereitstellung, Wasserkontrolle, Nahrungsmittelsteuerung, Medienförderung, Künstliche Intel-
ligenz, usw.). Solche historischen Entwicklungen geben den Stand der realen sozialen Verhältnis-
se wieder, besonders der Finanzmächte zu der normalen Bevölkerung, die unter wachsender öko-
nomischer Instabilität und zunehmender sozialer Ungleichheit leidet.

Als erste Republik der Sowjetunion trat die Ukraine am 24. August 1991 aus, andere folgten. Der Konflikt um den Einfluss auf die Politik und andererseits um die Bevölkerung steigerte sich in der Ukraine ab 2014 zum Putsch im Präsidentenamt und Parlament. Im Zarenstaat konnten sprachli-
che und kulturelle Differenzen keine systemsprengende separaten Identitäten schaffen, auch nicht im sowjetischen Staat. Ohnehin sind staatliche Grenzen sowie innerstaatliche keineswegs dek-
kungsgleich mit sprachlichen und kulturellen Grenzen. Dagegen wurden die alten innersowjeti-
schen Grenzen nach 1990 von nationalistischen Politikern hervorgehoben, um wirtschaftliche und staatliche Einheitlichkeit in ihrem ideologischen Sinn einzufordern. Zum Beispiel wollten sie ihre Erzählungen zur Geschichte der Ukraine über sprachliche und kulturelle Grenzen hinaus ausdeh-
nen.

Eilig abgehaltene Referenden um die Zugehörigkeit zum Staat Ukraine ergab die Ablösung der Krim und verstärkten die Forderungen vom Donbass nach erweiterter Selbstverwaltung, weil sie sich seit Jahren als benachteiligt beurteilten. Diese Absetzbewegungen widersprachen der zentrali-
sierten Verwaltung des Gesamtstaates und dem Verlangen von Oligarchen und internationalen Fi-
nanzinvestoren. Die kulturelle Selbstverwaltung anstrebenden Staatsteile wurden durch militäri-
sche Akte zerrüttet, die bis 2020 von der OSZE beobachtet und deren Opfer festgestellt wurden.

Innerhalb Russlands gewann Putin mit seiner Partei die Wahlen und blockierte einen Teil des Werteabflusses (Rohstoffe und Arbeitsergebnisse) ins Ausland. Diese geringe Ordnung aus der vorhergehenden Unordnung verschaffte ihm dauerhafte Gegner bei den Investoren der Weltwirt-
schaft, die staatliche Grenzen möglichst vermeiden wollen.

Menschen mit starken Rechten als Staatsbürger und gleichen Rechten als lebendiger Mensch stören nur die Geschäfte.

„Sicherheit ist unteilbar, und die Sicherheit jedes Teilnehmerstaates ist untrennbar mit der aller anderen verbunden“ (Charta von Paris für ein neues Europa, 1990) und das gilt auch für Gesell-
schaften und Personen.

Krieg ist die unmenschliche Alternative.

Frieden kennt keine menschliche Alternative !

Ich bedanke mich für die Kritiken und Vorschläge.
Mit friedlichen Grüßen
Werner Schmidt-Koska
Vorläufig abgeschlossen am 14. März 1923


Zugeschickt am 15. März 1923

Überraschung

Jahr: 2023
Bereich: Internationales