Materialien 2023

Weiß die Polizei da, was sie tut?

Beschlagnahme eines satirischen Plakats bei der Solidaritätsdemo vor der Münchner Stadtbibliothek gegen die AfD am 13. Juni 2023, Verstoß gegen Art. 5 GG (Freiheit der Kunst) und Art. 8 GG (Demonstrationsfreiheit), widerrechtliche Gewaltanwen-
dung

Während der gestrigen Solidaritätsdemonstration von „München ist Bunt“ wurde ich am Rosen-
kavalierplatz von der Polizei festgenommen, weil ich ein von mir entworfenes satirisches Plakat trug, auf dem der Wiedergänger Adolf Hitler mit der Sprechblase „Hallo, Freunde, ich war nur eben mal weg“ zu sehen ist. Der Grund der Demonstration gegen die AfD war ein Plakat dieser Organisation, das nicht nur in meinen Augen den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Die SZ berichtete darüber.

Nach dem sehr unerfreulichen Vorfall stelle ich drei Fragen:

1. Kennt die Münchner Polizei den Paragrafen 86a des Strafgesetzbuchs überhaupt? Ich glaube nicht, sonst hätte sie mich, der ich im Heimgehen von der Solidaritätsdemo gegen die AfD begrif-
fen war, nicht überfallartig in eisernem Griff abführen, zu einem bereitstehenden Polizeiauto schleppen und dort körperlich („Arme aufs Polizeiauto, Beine auseinander!, wenn Sie nicht spuren, ketten wir sie fest.“) untersuchen dürfen. Der § 86a STGB stellt das Zeigen verbotener Kennzeichen (das Hakenkreuz, s.a.unten) in der Öffentlichkeit unter Strafe. Mein Plakat zeigte aber kein Haken-
kreuz, sondern den Wiedergänger Adolf Hitler, der seine Freunde von der AfD grüßt. Es handelt sich um ein Cartoon mit antifaschistischer Aussage. Bemerkenswert im übrigen: Der Grund der Festnahme (§86a) wurde mir erst nach dem gewaltsamen Abführen und auf ausdrückliche Nach-
frage mitgeteilt.

2. Kennt die Münchner Polizei das Grundgesetz Artikel 5? Weiß die Münchner Polizei, was Freiheit der Kunst bedeutet? Ich glaube, sie kennt wenigstens den Artikel 5 nicht, oder – schlechter – der Artikel interessiert sie nicht, sonst hätte sie das von mir entworfene satirische Plakat nicht be-
schlagnahmen dürfen, und schon gar nicht unter den oben geschilderten Umständen.

3. Was versteht die Münchner Polizei unter Gefahrenabwehr? Nach der Festnahmeprozedur erteil-
te mir der verantwortliche „Polizeiführer“ (so stellte er sich mir vor) ohne Begründung einen Platz-
verweis, d.h. es wurde mir die weitere Teilnahme an der Demonstration verboten. Ein Platzverweis darf aber nur zur Gefahrenabwehr erteilt werden. Welche Gefahr ging von mir aus? Ich halte den Platzverweis für einen schweren Verstoß gegen Artikel 8 GG der Demonstrationsfreiheit.

Ich fürchte, es handelt sich bei diesem Vorgehen nicht einfach um Unwissen und Ignoranz, son-
dern um ganz bewusstes Handeln. Es ist ein bedenklicher Zustand.

Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.

Günter Wangerin

Anhang

Strafgesetzbuch § 86a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Or-
ganisationen
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. im Inland Kennzeichen einer der in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 oder Absatz 2 bezeichneten Par-
teien oder Vereinigungen verbreitet oder öffentlich, in einer Versammlung oder in einem von ihm verbreiteten Inhalt (§ 11 Absatz 3) verwendet oder
2. einen Inhalt (§ 11 Absatz 3), der ein derartiges Kennzeichen darstellt oder enthält, zur Verbrei-
tung oder Verwendung im Inland oder Ausland in der in Nummer 1 bezeichneten Art und Weise herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt.
(2) Kennzeichen im Sinne des Absatzes 1 sind namentlich Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen. Den in Satz 1 genannten Kennzeichen stehen solche gleich, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind.
(3) § 86 Abs. 4 und 5 gilt entsprechend.

Zwar im vorliegenden Fall nicht relevant, weil ja kein Hakenkreuz abgebildet war, aber trotzdem von Interesse: Einschränkung: das Hakenkreuz darf gezeigt werden, wenn die Handlung (das Zeigen des Hakenkreuzes) der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstat-
tung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.


zugeschickt am 14. Juni 2023

Überraschung

Jahr: 2023
Bereich: Schwule/Lesben