Materialien 2023
Querfront? Ein Briefwechsel
EF schreibt am 14. Oktober an Mitglieder von Jüdisch-Palästinensische Dialog-
gruppe und Palästina spricht:
„Aus dem Freundeskreis wurde ich gebeten, Euch kurzzuschließen. MI ist sehr engagiert in Fragen Versammlungsfreiheit; dafür hat er in der Coronazeit aktiv gekämpft und ist dafür mit seiner Gruppe ‚München steht auf‘ sehr diskriminiert worden. Sehr engagiert auch für gerechten Frieden. MI möchte sich mit Euch gerne beraten und Kontakt aufnehmen. Ich habe mir erlaubt, ihm hier-
mit Eure Mailadressen zu übermitteln.“
MI schreibt am 15. Oktober an Mitglieder der Friedensbewegung und an Mitglieder von Jüdisch-Palästinensische Dialoggruppe und Palästina spricht:
„Ich vermute wir kennen uns nicht. Ich bin Sprecher von ‚München-steht-auf’ (MSA). Wir sind gegen die Coronamaßnahmen und die Impfpflicht auf die Straße gegangen. Wir haben uns immer von Gewalt, Hass und Extremismus abgegrenzt. Es hieß über uns immer wir seien rechtsextrem und antisemitisch. Ich bin selber, nach allem was ich weiß, Jude nach Abstammungsregeln. – Vor allem in der Zeit, als es auf die Impfpflicht zuging, also als es für uns ans Eingemachte ging, hat man uns systematisch das Versammlungsrecht entzogen. Nun droht gerade die Vernichtung des Gazastreifens und es geht für diejenigen, die sich ein freies Palästina wünschen, wieder, vielleicht mehr denn je, ans Eingemachte. Es heißt, es seien lauter Hamasfans und Antisemiten. Das Ver-
sammlungsrecht wird entzogen. – Ich habe mir die Versammlung am 13.10. am Odeonsplatz recht genau angesehen. Da waren friedlich handelnde Menschen, die ihre Sicht der Dinge zum Ausdruck bringen wollten. Genau das wofür das Versammlungsrecht eigentlich da ist. Ich fühlte mich sehr an den Winter 21/22 erinnert. – Deutschland tritt die Grundrechte mit Füßen. Die Berichterstattung über Muslime im Mainstream ändert sich schlagartig. Ich bin besorgt um den inneren Frieden. – Ich bin der festen Überzeugung das Menschen mit gemeinsamen Interessen über viele Lager und Grenzen hinweg miteinander für ihre Interessen eintreten sollten. Der innere Frieden ist sicherlich ein gemeinsames Interesse. Die Versammlungsfreiheit ebenso. – MSA hat sich transformiert. Hin zu einer Initiative die für ein friedliches und freies Deutschland der Menschenwürde eintritt (Web-
site müssen wir mal anpassen). Für ein Land das die Werte des GG tatsächlich lebt. Wir verstehen uns als umfassende Friedens- und Demokratiebewegung. Wir sind immer noch mit über 300 Men-
schen wöchentlich auf der Straße. – Wir haben den Kampf um die Versammlungsfreiheit schon einmal friedlich durchgekämpft und würden die Palästinasolidarischen gerne in ihrem Kampf für selbige unterstützen. Der Entzug der Versammlungsfreiheit an sich ist ein Akt der Eskalation und Provokation. Ich denke man will damit erreichen, dass die Betroffenen mit Gewalt reagieren. Das wiederum hätte schreckliche Konsequenzen. Der Frieden hier geht uns alle unmittelbar an. – Lasst uns zusammen für die Versammlungsfreiheit und den Frieden demonstrieren. Juden, Deutsche, Palästinenser. Jeder mit seiner Identität. Auch als Signal für Völkerverständigung. Als Signal, dass hier Menschen friedlich miteinander leben und das Aufhetzen nicht hinnehmen wollen. Das wir Frieden sein können. Wir wollen da auch nichts kapern. Es muss beileibe keine MSA-Veranstal-
tung sein. Wir würden es gerne nach Kräften unterstützen. Die Versammlungsfreiheit ist uns ein Kernanliegen, eine Herzensangelegenheit. Wir würden da gerne Zeitnah handeln und sind auch dazu in der Lage schnell zu organisieren und zu mobilisieren.“
MG schreibt am 16. Oktober um 10.02 Uhr an EF und an das Münchner Friedens-
bündnis:
„Gestern erst hat MI wieder gesagt, dass er mit Rechten und Linken zusammen demonstrieren will: https://youtu.be/8U2r04ldpl8?t=3705.“
EF schreibt am 16. Oktober um 11.59 Uhr an MI und IP:
„Vielleicht könnte man das mal klären, ob man den Höcke-Flügel da auch einschließt oder ob man nur viele Protestwähler zu demokratischen Parteien zurückholen will?“
MI schreibt am 16. Oktober um 16.01 Uhr an EP:
„Das mit den Parteien ist mir herzlich wurscht. Die vertreten uns ja am Ende doch nicht. Wir distanzieren uns von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, von Gewalt und Extremismus. Damit dürfte ein ‚Flügel’ eigentlich außen vor sein. Unter ‚rechts‘ versteht der eine dies, der andere das. Ich sag es mal so. Wer marktliberal ist, oder sonst eine Franz-Josef-Strauss Linie fährt, den will man doch nicht ausschließen, wenn es um Frieden geht. Die meisten Konservativen, selbst die ohne Parteiheimat, verstehen sich selber als ‚rechts’. Wenn man also ‚Rechte’ ausschließt, trifft das ja mindestens ein Drittel der Menschen. Nazis und Ausländerhass wollen wir nicht haben. Das ist doch selbstverständlich. Im übrigen verlieren wir gerade ohnehin die letzten, die ich als unappetit-
lich ansehe, weil wir uns klar zum Demonstrationsrecht der Palästinenser bekennen.“
EP schreibt am 16. Oktober um 18.09 Uhr an MG und weitere Friedensbewegte:
„Ich sehe das im Prinzip auch so, wenn wir nicht mit einem jämmerlichen Rest-Häufchen übrig-
bleiben wollen. Der Frieden kommt gerade unter die Räder, daher müssen wir uns mit aller Kraft zusammen dafür einsetzen.“
IA schreibt am 17. Oktober an EP und an das Münchner Friedensbündnis:
„Ich bin Dir, EP, sehr dankbar, dass Du mich in diese Debatte einbeziehst. Die Frage des Friedens und einer wieder starken Friedensbewegung angesichts der bellizistischen Politik unserer Regie-
rung ist brennender denn je. Ich habe in meiner Rede beim Internationalen Aktionstag am 3. Okt. auf dem Odeonsplatz an unsere kraftvolle Zusammenarbeit in den 80ern und dann weiter nach dem Mauerfall erinnert – an die großen Demonstrationen zum Irak- und Afghanistankrieg, immer toll organisiert von unserem Claus. Ihr im Friedensbündnis habt bis zum heutigen Tag kontinuier-
lich weitergearbeitet und organisiert – die Reihen haben sich altersbedingt gelichtet. Am Odeons-
platz habe ich am Beispiel der Mahnwache FREE ASSANGE deutlich gemacht , wie unsinnig eine Spaltung ist, ebenso wie die am 3. Oktober. So habe ich es begrüßt, dass Rainer Braun auf beiden Veranstaltungen gesprochen hat und das mit ermutigenden Perspektiven (25.11. in Berlin). Die Misstrauischen unter uns sollten inzwischen entdeckt haben, dass die ‚Zeit der Verleumder‘ zu Ende geht und die Wahrheit ans Licht kommt (und frei macht !). So habt Ihr vielleicht in der FAZ vom 6.10. im Wirtschaftsteil ‚Amerika rechnet mit Covid-Politik ab‘ gelesen. Es ist für mich uner-
träglich, wie Günter Verheugen, Jürgen Todenhöfer, Ulrike Guerot und viele, die sich für Palästina einsetzen, diffamiert werden – Ihr wisst, wie es passt: ‚rechtslastig’ oder antisemitisch. Der Brief von MI überzeugt mich in jeder Hinsicht. Ich wäre glücklich, wenn ich das Zusammenwachsen (ohne Parteien!) von ‚München steht auf‘ mit uns vom Friedensbündnis erleben kann. Ich grüße Euch mit dem Friedensappell von Daniel Barenboim: ‚Wir beginnen und enden alle noch so kon-
troversen Diskussionen mit dem grundsätzlichen Verständnis, dass wir alle gleichwertige Men-
schen sind, die Frieden, Freiheit und Glück verdienen. Wir müssen wollen und werden daran glauben, dass Musik uns in unserer Menschlichkeit einander näher bringen kann.‘ Mit diesem Vertrauen grüßt Euch Euer ältestes Mitglied.
EP schreibt am 18. Oktober in einem Rundbrief an Friedensbewegte:
„Für Euch zum Nachdenken!“
MV schreibt am 19. Oktober um 14.56 Uhr in einem Rundbrief an Friedensbewegte:
„Die ‚Querdenker‘-Bewegung, die bekanntermaßen während der Pandemie mit Erfolg gegen die Coronamaßnahmen mobilisierte, hat ein neues Thema gefunden: Angeblich geht es ihr nun um den Frieden. Schon jetzt ist abzusehen, dass sie den neuerlichen Ausbruch der Gewalt zwischen Israel und der Hamas ebenso für die Weiterverbreitung ihrer Verschwörungsnarrative nutzen wird, wie sie es bereits mit der Asyl- und Flüchtlingspolitik, der Pandemie und dem Ukraine-Krieg getan hat. – Das AntiSiko-Bündnis hat beim ersten Bündnistreffen für die Kampagne gegen die NATO-Sicherheitskonferenz 2024 seinen Bündniskonsens erneuert. – Dieser schließt im Wesentlichen eine Offenheit nach rechts aus. Es ist aufschlussreich, dass diejenigen, die unter dem Label ‚Mün-
chen steht auf’ mit Identitären, Reichsbürgern, Neonazis und den Derivaten von PEGIDA mar-
schieren zu einer Abgrenzung gegenüber der AfD erklärtermaßen nicht bereit sind. Das Thema Frieden ist für sie lediglich ein Vehikel für ihre populistische Propaganda. – Der Hinweis auf ‚die’ Corona-Politik ‚der US-Regierung’, welche unter Trump bekanntlich aus Nichtstun bestand, was schlicht ignoriert wird, mit der nun angeblich in der FAZ ‚abgerechnet’ werde, beweist, dass die geistigen Mütter und Väter der Steht-auf-Bewegung von ihren altbekannten Narrativen noch immer nicht lassen können – verständlich, denn diese bilden die geistige Basis ihres ‚Erfolgs‘. Mir ist bewusst, dass innerhalb der klassischen Friedensbewegung einige mit den Verschwörungsnar-
rativen der ‚Querdenker’ sympathisieren. – Es sollte ihnen zumindest zu denken geben, dass sie sich damit zumindest in Bezug auf die USA auf die Seite eines Donald Trump und eines Ron De-
Santis begeben und in Bezug auf Deutschland einem Tino Chrupalla, einer Alice Weidel und einem Björn Höcke den roten Teppich ausrollen. – ‚München steht auf‘ ist erklärtermaßen nicht bereit, sich gegenüber der AfD und anderen Antidemokraten abzugrenzen. Um zu beweisen, dass dieses Vorgehen richtig und gesellschaftlich notwendige sei, verweisen die Befürworter:innen von MSA darauf, dass an deren Veranstaltungen deutlich mehr Menschen teilnähmen als an den Protesten der Friedensbewegung. – Doch was wird damit wirklich bewiesen? – Es ist die Tatsache, dass die Rechte in diesem Land im Begriff ist, die Deutungshoheit im öffentlichen Diskurs zu übernehmen bzw. diese bereits übernommen hat. Die Landtagswahlen haben gezeigt, dass all diejenigen, die sich den rechtspopulistischen Narrativen nicht anschließen, inzwischen einer gesellschaftlichen Minderheit angehören. Betrachten wir die Ergebnisse der letzten Wahlen, wird klar, dass zumin-
dest in Bayern gut 75 % der Bevölkerung der CSU und Parteien rechts davon ihre Stimme gegeben haben. Es ist eine alarmierende und bedrückende Tatsache , dass die Mehrheit in dieser Gesell-
schaft rechtspopulistisch bis rechtsextrem tickt. Das hat weitreichende gesellschaftliche Ursachen, doch vor allem ist zu spüren, dass diese Entwicklung schwer zu ertragen ist. Die Verlockung, auf einen Zug aufzuspringen, nur um der Minderheitenrolle zu entfliehen, ist angesichts der Lage ver-
ständlicherweise groß. Gleichzeitig muss aber auch klar sein, dass das Erstarken der Rechten in der Gesellschaft durch Appeasement nicht mehr zu stoppen ist. Damit verbietet sich das Unterlassen einer klaren und expliziten Abgrenzung gegenüber der AfD. – Das gilt nicht nur für die Friedens-
bewegung, sondern die gesamte gesellschaftliche Linke. – Uneingeschränkte Toleranz führt zum Verschwinden von Toleranz. – Die Unbekümmertheit, mit der die Befürworter:innen und Organi-
sator:innen von MSA bereit sind, mit Vertreter:innen der AfD und anderer rechter Strukturen auf die Straße zu gehen, lässt zwei mögliche Schlüsse zu: Entweder sind sie sich des Paradoxes der To-
leranz nicht bewusst oder sie verfolgen eine Strategie, hinter der sich die endgültige Zerstörung der klassischen Friedensbewegung, der gesellschaftlichen Linken und der demokratischen Öffentlich-
keit verbirgt. – Friedenspolitik schließt imperialistische und nationalistische Positionen aus, eben-
so wie xenophobe, rassistische und homophobe Haltungen, ganz im Sinne des vom AntiSiko-Bündnis erneuerten Bündniskonsenses. Viele Einstellungen, die innerhalb von MSA ihren Platz finden, bilden den Nährboden eines erstarkenden Faschismus und sind als solche für die AfD konstitutiv. – Wer also vorgibt, für den Frieden einzutreten, ohne sich gegen die AfD abzugrenzen, genau das trifft auf die Organisatoren von MSA zu, macht sich langfristig selbst zur Gefahr für den Frieden. – Ich persönlich sehe auf dieser Grundlage keine Möglichkeit der Zusammenarbeit.“
JB schreibt am 19. Oktober um 18.25 Uhr an MV:
„Vielen Dank für Deine Mail, der ich voll und ganz zustimme. Für mich gilt – mit Linken immer, mit Rechten nie! Leider sehen das manche anders. Als jemand, der selbst stark von Postcovid betroffen ist, kann ich nicht verstehen, wie man mit Corona-Leugnern zusammenarbeiten will. R. und ich wurden wegen unserer Haltung zu Israel mundtot gemacht, aber wir hätten nie mit Rechten, auch wenn sie Israel kritisieren, kooperiert. Es ist eine Illusion zu glauben, dass eine solche Zusammenarbeit funktionieren kann. Ich schicke Dir den ausgezeichneten Beitrag von Amira Hass zu (die sich nie instrumentalisieren lassen würde) und meinen eigenen Beitrag zum Krieg zwischen Israel und Hamas.“
MI schreibt am 19. Oktober um 19.45 Uhr an MV:
„Das sind ja sehr schön theoretisch ausgeführte Sätze. Ich beschäftige mich jedoch lieber damit mit Menschen umzugehen, Frieden zu machen und die Mitmenschlichkeit zu fördern, wo ich das ver-
mag. – Abonnieren Sie doch einfach mal unseren Telegramkanal und sehen Sie sich an was dort geschieht. Oder noch besser, nehmen Sie doch einfach mal ganz anonym an einem Mittwochsum-
zug teil. Fühlen Sie das Miteinander und die Art der Energie die wir leben. Wir sind (fast) jeden Mittwoch auf der Straße. Für ein freies und friedliches Deutschland der Menschenwürde, für die Werte des Grundgesetzes, den freien Einzelnen und den mündigen Bürger. Ein Leitspruch ist dort: ‚Münchner aller Länder, aller Kulturen, Religionen und politischen Lager vereinigt euch. Für den Frieden.‘ Trauen sie sich einfach mal rein und bilden sie sich ein eigenes Urteil. Nur Mut. – Ich bin das ganze Kategorisieren, Ausgrenzen und Theoretisieren reichlich leid. Wir brauchen uns auch nicht rechtfertigen oder verteidigen. Es muss auch nichts zusammenwachsen, was nicht will. Das ist ok. Dieses ganze Wirrwarr an E-mails entstand eigentlich nur, weil wir und für das Versamm-
lungsrecht der Palästinenser einsetzen wollten. Nicht mehr und nicht weniger.“
MV schreibt am 20. Oktober an MI:
„Sachlichkeit scheint nicht Ihre Stärke zu sein. Ihre Entgegnung offenbart eine süffisante Arroganz, die auf eine narzisstische Akzentuierung schließen lässt. Diese erklärt möglicherweise ihre Stellung innerhalb von MSA, einem mit rationalen Argumenten geführten Diskurs stehen derartige Zu-
standsbilder aber im Wege. Solange MSA sich nicht gegen die AfD und andere rechte Gruppierun-
gen abgrenzt, bleiben Worte wie ‚Menschenwürde’, ‚Frieden’, ‚Freiheit’ und ‚die Werte des Grund-
gesetzes’ aus ihrer Feder nichts als leere Worthülsen. Möglicherweise wird es Ihnen gelingen, wei-
terhin bei Verirrten und im rechten Spektrum zu mobilisieren, doch einen Beitrag für ‚freies und friedliches Deutschland der Menschenwürde‘ werden Sie keinesfalls leisten … In diesem Sinne wer-
de ich in meinen Kreisen weiterhin davor warnen, mit Ihnen und Ihresgleichen Aktionsbündnisse einzugehen.“