Flusslandschaft 1976

Umwelt

Jean Baudrillard: „Der Unfall ist überall … er ist nicht mehr die Ausnahme einer triumphalen Rationalität, er ist die Regel geworden.“1

„Die Regierung von Oberbayern erließ am 9.9.1975 den Planfeststellungsbeschluss und erklärte am 5.2.1976 dessen sofortige Vollziehbarkeit für die Teilstrecke der A 99 von Freimann durch das Har-
telholz nördlich der Siedlung Hasenbergl bis zur Sommerweide, des Autobahndreiecks M.-Feldmo-
ching und des Teilstücks bis zur Ausfahrt Oberschleißheim der A 92 nach Deggendorf. Dabei waren die Einsprüche der Feldmochinger teilweise erfolgreich. Sie hatten insbesondere 2,4 km Lärm-
schutzwand (vor allem im Bereich der Untermühle) durchgesetzt, zu wenig, wie sich später im Nor-
den des Altdorfs herausstellen sollte. Die Stadt verzichtete gleichzeitig auf den Bau der teilweise nur etwa 1 km südlich parallel geplanten Tangente 6 Nord von nicht weniger als 36 m Breite von Freimann über den Harthof und die Faganastraße in Feldmoching nach Ludwigsfeld und ebenso auf den Bau einer Verbindung der A 92 zwischen Feldmoching und dem Hasenbergl bzw. der Ler-
chenau und dem Lerchenauer See hindurch (A 921, früher A 120 bzw. B 11 a) mit der Landshuter Allee. Auf diese Weise war statt dem Autobahnkreuz nur ein Autobahndreieck notwendig, das nah an das Bahngleis München-Landshut gelegt und damit weniger Grund benötigte und weniger Landschaft zerstört wurde. Die Teilstücke der A 99 und der A 92 wurden im Herbst 1978 in Betrieb genommen (die Fortführung von Oberschleißheim zum AK Neufahrn am 6.12.1980). Zusammen mit der B 471 diente diese Strecke als provisorische Nordumgehung Münchens. Ab 1990 folgte der Bau der Verlängerung der A 99 vom AD M.-Feldmoching bis zum Allacher Forst mit der Anschluß-
stelle M.-Ludwigsfeld. Dieses 4,2 km lange und 139 Mio. DM teure Teilstück wurde Ende Dezem-
ber 1992 unter Protesten von Umweltschutzgruppen dem Verkehr übergeben. In diesen Abschnitt flossen allein 5 Mio. DM für ökologische Ausgleichs- und 33 Mio. DM für Lärmschutzmaßnah-
men.“2

Die Firma Icmesa, eine Tochter des schweizerischen Konzerns Roche, produziert 20 Kilometer nördlich von Mailand Trichlorphenol, unter anderem ein Grundstoff für das im Vietnamkrieg ein-
gesetzte Entlaubungsmittel Agent Orange. Die Produktionsbedingungen sind fragwürdig, die kaum ausgebildeten Arbeiter hohen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Am 10. Juli 1976 bewirkt eine chemische Kettenreaktion den Austritt von ein bis drei Kilogramm des hochgiftigen 2,3,7,8-Tetrachlordibenzodioxin an die Umwelt. Die Giftwolke senkt sich auf ein einmalsechs Kilometer großes Gebiet, vor allem auf die Gemeinde Seveso. Tiere sterben, Hunderte Menschen erkranken schwer, einige sterben, in den folgenden Jahren steigt die Krebshäufigkeit. Die Firmenleitungen wiegeln zunächst ab, können dann aber das Ausmaß der Seveso-Katastrophe nicht länger ver-
schleiern. – Ökologen warnen seit Jahren davor, dass die im Kapitalismus vorherrschenden Grün-
de wie Kosteneffizienz oder Renditeerwartungen zu Sparmassnahmen an Sicherheitsvorkehrungen und Arbeitsbedingungen führen. Die Katastrophe von Seveso wird ein zentraler Beleg für die Argu-
mentationslinien kapitalismuskritischer Ökologen.

Carl Amery wird zu einem führenden Aktivisten, der die „Grenzen des Wachstums“ thematisiert.3


1 Jean Baudrillard, crash (Besprechung und Interpretation von J.G. Ballards „Crash“, Paris 1974) in traverses 4/1976, 25.

2 Volker D. Laturell, Feldmoching – Hasenbergl. Das Stadtteilbuch für den 24. Stadtbezirk mit den Ortsteilen Eggarten, Fasanerie, Feldmoching, Harthof, Hasenbergl, Lerchenau, Siedlung am Lerchenauer See und Ludwigsfeld, München 2000, 60.

23 Siehe „Die Chance des Ökosozialismus“ von Carl Amery .