Flusslandschaft 1977

Alternative Szene

Es ist verwirrend: Wenn du ein antiautoritärer, schwuler, linksradikaler Verteidiger der Bürger-
rechte, Atomkraftgegner, Antiimperialist und Anarchist bist, musst du dich manchmal notge-
drungen für Prioritäten entscheiden. Wie du’s machst, ist falsch.1

Simon gilt als erster Münchner Punker. „Pack“ gilt als die erste Punk-Band. Eine neue „Bewegung“ ist im Anrollen, anarchistisch, aggressiv und mit ironischem Witz. Nur ist das alles nicht eindeutig. Wer sich zur alternativen Szene zählt, trägt meistens ein gehöriges Paket an Widersprüchen mit sich rum. Geprägt von den patriarchalischen, den bürgerlichen Konventionen verpflichteten Kind-
heits- und Jugendjahren haben sich nur Teile der Generationen um die Jahrgänge 1945 bis 1950 aus ihrer Welt einen Weg zu einer alternativen Welt wie mit einer Machete durch den Urwald ge-
schlagen. Jetzt bewegen sie sich in der „neuen Welt“, in der Subkultur, der Gegengesellschaft, sind Repräsentanten einer neuen Zeit, während in ihren Knochen immer noch die ansozialisierte Cho-
reographie des Fühlens, Denkens und Handelns der ersten Nachkriegsjahrzehnte steckt. Besonders deutlich wird dies, wenn in den Wohngemeinschaften einerseits propagiert wird, dass kein Mann einer Frau und keine Frau einem Mann gehöre. Wer trotzdem Eifersucht verspürt, fühlt sich wahr-
haft zerrissen und als Versager. Die alternative Szene versucht es anders zu machen als die Eltern-
generation und scheitert oft am eigenen Unvermögen.

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Gerhard Seyfried, der Zeichner der Szene, amüsiert sich nicht nur über Kapitalisten, Richter, Staatsanwälte, Polizisten, Hausmeister … er zeigt auch die Szene selbstironisch in all ihren Widersprüchen.

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„Aber es gibt zweierlei Pack: das oben, kaum am Leben, plärrend schon, doch verdörrt und verdustert. Leer wie ein ausgetrunkener Weinschlauch. Und dann das andere: das von unten, dreckig gewiss, aber wie! Offenherzig, aber auch lauernd: will zugreifen. Trockenes Pack: wie
euch die Kugeln um die Ohren pfeifen werden!“ Ernst Bloch, der am 4. August in Tübingen stirbt.4

Die neue Produktion der „Knatterminen“ im Theater k in der Kurfürstenstraße 8 in Schwabing heißt „Auf der Hatz“ und wird vom Sigi sehr gelobt.5

(zuletzt geändert am 18.5.2021)


1 Siehe „Kalendergespräche“ von Lucy Olbrich.

2 Blatt. Stadtzeitung für München 100 vom 29. Juli 1977, Rückseite.

3 Das Plakat ist in Berlin auf Initiative einer Wohngemeinschaft im Wedding entstanden. Plakatsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

4 Siehe „Für Ernst Bloch“.

5 Siehe Sigis „Knatterminen“.

Überraschung

Jahr: 1977
Bereich: Alternative Szene

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