Flusslandschaft 1980

Frieden/Abrüstung

Es müssen geübte Bergsteiger sein, die wissen, wie man sich abseilt. Seit Jahren ist auf der Ruine des Armeemuseums in riesigen Buchstaben „Nie wieder Krieg“ zu lesen. Und die Schrift wird re-
gelmäßig aufgefrischt.1

„Nahezu die Hälfte unserer Bevölkerung glaubt laut Umfragen an die Möglichkeit eines Krieges. Die Leute sind betroffen, aber sie rühren sich kaum. Wie können Menschen in Passivität und zu-
mindest äußerlicher Gelassenheit auf demoskopischen Fragebögen bejahen, dass ein großer Krieg bevorstehen könnte? Warum reagieren wir so, als handele es sich hier um ein unbeeinflussbares Naturereignis, obwohl in dieser Angelegenheit doch alles, was geschieht, in der Macht menschli-
cher Berechnung und Entscheidung liegt?“2 So Horst-Eberhard Richter im Mai diesen Jahres.

„RUNTER VON DEM PULVERFASSRAUS AUF DIE STRASSE! ‚Lasst uns das tausendmal Ge-
sagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zuwenig gesagt wurde! … Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kom-
men ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.’ (Bert Brecht 1952) Wir, eine ‚friedliche Vereinigung’ von inzwischen 80 – 100 Leuten, haben keine Lust, in einem augenblicklich allerseits vorbereiteten 3. Weltkrieg zu verrek-
ken oder die Vernichtung anderer Völker zu unterstützen. Daher fordern wir: l. Keine weitere Auf-
rüstung! Gegen Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen und 3% Rüstungssteigerung in der BRD! 2. Amerikanisches Eingeständnis der verfehlten Iranpolitik (Schah-Unterstützung!) Friedli-
che Lösung der Geiselaffäre! 3. Sofortige Distanzierung von jeder Kriegsvorbereitung! Lasst es uns in diesem Sinne den Kriegsvorbereitern in Ost und West zeigen: Alle Menschen wollen Frieden, die Staaten rüsten. Runter von dem Pulverfass! Raus auf die Straße! Gegen den 3. Weltkrieg! – 21. – 23. Mai: Aktionstage am Marienplatz mit Infoständen, Musik etc. – 24. Mai: Demonstration, 10 Uhr Odeonsplatz über Stachus und Sendlingertor-Platz zum Marienplatz zur Abschlusskundge-
bung. Das soll eine Demo sein, zu der alle was beitragen: Verkleidet euch, macht selber Schilder und Transparente …“3

Am 21. Juni findet der „Tag der Bataillone“ statt. Die Frauen für den Frieden (FfF) und die Deut-
sche Friedensgesellschaft
(DFG/VK) protestieren. Im militärbegeisterten Publikum ist zu hören: „Die gehören alle mit Benzin übergossen und mit Panzern überrollt!“ Ein Mann meint: „Ich freu’ mich schon drauf, wenn die Russen kommen und euch vergewaltigen!“4


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Ende Juni informiert der Arbeitskreis Friedenswoche über München als Rüstungszentrum: „… Nach Schätzungen des Arbeitskreises sind hier ca. 35 Unternehmen im Rüstungsbereich tätig. Etwa jeder siebte Arbeitsplatz in der Münchner Industrie ist von der Rüstung abhängig. Außerdem wird angenommen, dass ca. 1/3 aller Rüstungsaufträge der Bundesregierung in den Wirtschafts-
raum München vergeben werden. Damit ist München das größte Rüstungszentrum der Bundesre-
publik mit einem geschätzten Jahresumsatz im Rüstungsbereich von annähernd 10 Milliarden DM. 13.000 Soldaten sind in zehn Kasernen stationiert einschließlich der Hochschule der Bundeswehr. Dazu kommen 5.000 Mitarbeiter des Bundesministeriums, drei Kasernen der US-Army mit etwa 5.000 Soldaten, vier Militär-Flugplätze und zwei Schießplätze …“6 Der Arbeitskreis fordert dazu auf, Pläne zur Umstellung auf Zivilproduktion zu entwickeln.

Zum Antikriegstag am 1. September versammeln sich 2.000 Menschen im Zircus Krone an der Marsstraße 43.

Die Initiative für Gerechtigkeit, Frieden und Abrüstung fordert ein gesetzliches Verbot der Her-
stellung und des Verkaufs von Kriegsßpielzeug. Am 4. November sendet sie an den Bundesjustiz-
minister Hans-Jochen Vogel deshalb einen Brief, dem sie ausgefüllte Unterschriftenlisten beifügt.7

„Einladung – Das Einreihen, deutscher Volkssport Nr. 1, wird am 6. November auf dem Königs-
platz von treudeutschen Jungrekruten vorgeführt. Militärischen Wichs zu demonstrieren, war schon immer ein Leichtes in Zeiten, in denen Kriegsgefahr täglich durch die Medien zieht, und viel weiter haben die Herrscherden in weltpolitischen Krisenzeiten sowieso nie gedacht – höchstens einen Schritt. Damit der Popanz nicht ganz so reibungslos abläuft, wie es die perfekt inszenierte, nach Anerkennung herrschende Kriegskunst erfordert, wären ein paar Störer bei der Feierlichkeit sicher ganz wünschenswert. Angesichts der zynischen Moral der Herrschaften könnten wir uns und unsere pazifistische Moral eigentlich vergessen. Und besagte Herrschaften werden auch die Gegendemo auf dem Marienplatz wohlwollend begutachten, die DKP wird Fahnen schwenken und lauthals skandieren ‚Der Faschismus ist ein Dreck, der Faschismus, der muss weg’ und alles ist gegessen. Angemeldeter Widerstand. Wir sollten da sein, wo wir noch Sand in den Gewaltmühlen des Staates sind. Vielfältig, wie unser Widerstand auch sein mag. Sei’s drum, das Pflaster ist mit uns.“8

An 350 Orten in der Bundesrepublik, auch in München, finden im November Veranstaltungen im Rahmen der „Friedenswochen“ statt. Es wird der „Krefelder Appell“ gegen die Realisierung des NATO-Doppelbeschlusses gestartet. 28. November: „Ehemalige Frontkämpfer aus 48 Staaten erneuern in München ihr Gelöbnis, sich mit allen Kräften gegen Krieg und Gewalt sowie gegen die Entwürdigung des Menschen zu wenden. Bei einer Feier zum 30jährigen Bestehen des Weltfront-
kämpferverbandes (WFK) im Herkulessaal der Residenz wird die Entschlossenheit betont, für eine Welt in Frieden und Freiheit einzutreten, für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, für die Ein-
haltung der Menschenrechte und für eine weltweite Abrüstung.“9

Siehe auch „Frauen“.

(zuletzt geändert am 28.9.2024)


1 Foto von Nana Ochmann: Armeemuseum, Verlag Hias Schaschko.

2 Zit. in https://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=112471

3 Blatt. Stadtzeitung für München 172 vom 23. Mai 1980, 24.

4 Blatt. Stadtzeitung für München 177 vom 1. August 1980, 17.

5 Flugblattsammlung und Plakatsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

6 Blatt. Stadtzeitung für München 174 vom 20. Juni 1980, 13.

7 Siehe „Betr. Kriegsspielzeug“ von Hans-Jochen Vogel.

8 Blatt. Stadtzeitung für München 183 vom 24. Oktober 1980, 28.

8 Stadtchronik, Stadtarchiv München.