Flusslandschaft 1980

Umwelt

Umweltminister Dick meint: „Wer in der Demokratie ‚Alles oder nichts’ fordert, dem kann es passieren, dass er dann tatsächlich auch ‚nichts’ erhält. Damit ist weder ihm noch seiner Sache gedient.“1

Die „Bürger gegen Gas und Gift“, die in Moosach und Milberthofen tätig sind, protestieren gegen die Pläne, ein Kohlekraftwerk zwischen Borstei und Olympiastadion zu errichten. Außerdem stinkt ihnen immer noch die Firma Bärlocher und die BMW-Lackiererei.2 – Am Samstag, 19. Juli, de-
monstrieren sie ab 10.15 Uhr vom Odeonsplatz zum Stachus, wo sie auf einer Kundgebung gegen die giftigen Ausdünstungen der Betriebe im Münchner Norden protestieren.

Die Bundesbahn verweigert am 2. Juni die Benutzung ihres Geländes im Münchner Norden für eine Demonstration gegen den geplanten Rangierbahnhof.3

Bernd Schreyer und Stephan Spiess organisieren für den 8. Juni zusammen mit der Aktion „Auto-
freier Sonntag“ eine als Sternfahrt angelegte Radldemo. Die „AG Vorfahrt für Menschen“ setzt sich für eine Radfahrer-freundliche Stadt ein. Kontaktadresse: Heinz Suhr, Königinstraße 83, 8000 München 40. Tatsächlich verursachen an diesem Tag 2.500 Radfahrerinnen und Radfahrer in der Innenstadt ein Verkehrschaos.4

Nesselwanger Bürger demonstrieren am 16. Juli für den Weiterbau der Autobahn vor ihrem Ort.5

22. August: „Ein 39jähriger Mann protestiert auf spektakuläre Weise gegen die Parkplatznot in der Innenstadt: Mit einem Hungerstreik in der Fußgängerzone will er erreichen, dass die Stadt alle Parkuhren abschafft und für Anwohner Parklizenzen ausgibt. Bei der Durchsetzung seiner Forde-
rungen soll ihm auch eine Unterschriftensammlung helfen, an der sich bis heute schon 1.000 Pas-
santen beteiligten. Der 39jährige ist Vorsitzender einer am 1. Juli gegründeten ‚Bürgerinitiative zur Lösung der Verkehrsprobleme in der Bundesrepublik Deutschland e.V.’. Zu seinem Schritt sieht er sich durch eigene Erfahrungen mit der Parkplatz-Misere getrieben. Rund um seine Wohnung am Sendlinger-Tor-Platz fand er keinen ganztägigen Stellplatz. Notgedrungen stellte er seinen Wagen an Parkuhren ab, und weil er nicht jede Stunde ein Zehnerl einwerfen konnte, hagelte es Strafzettel … In 5 Jahren kassierte er für Falschparken in der Nähe seiner Wohnung 300 Strafzettel und 150 Bußgeldbescheide, 70 Tage Erzwingungshaft, 8.000 DM Geldstrafe, 60 Punkte bei der Verkehrs-
sünderkartei in Flensburg.“6

6. September: „Rund zweihundert Personen beteiligen sich bei der Demonstration des ‚Kritischen Energieforums’, das gegen den Kurs der derzeit in München stattfindenden Weltenergiekonferenz zu Felde zieht. Nach einem Fahrradcorso durch die Innenstadt kritisiert der Schriftsteller Carl Amery bei einer Schlusskundgebung am Sendlinger-Tor-Platz die ‚übertriebene und schädliche Energiefreisetzung’ aufgrund zu hoch angesetzter Zukunftsprognosen.“7 Volker, der bei der Demo mitfährt, später: „… Und die Polizei? Naja, an den Anblick hat man sich ja schon gewöhnt, man regt sich nicht mehr über die versteckten Mannschaftswägen, über Gummiknüppel und chemische Keule auf. Der Gedanke, dass bei einer Fahrraddemo Ordnungshüter auf Fahrrädern angemessen wären, kommt einem gar nicht. Ja, es stinkt einem schon, wenn so ein ‚Polizist’ mit 70km/h an den Fahrraddemonstranten vorbei rauscht, im Vollgefühl seiner Überlegenheit, doch auch das ist im Straßenverkehr alltäglich. Aber dann gerät ein Kind mit seinem Fahrrad vor die Räder eines vorbei rasenden Polizei-BMW und es wird zu Boden geschleudert. Man bekommt Wut, wenn man sowas sieht. Dem Kind ist zum Glück nicht viel passiert. Der Polizist wird um den Ausweis gebeten und antwortet: ‚Von mir bekommen Sie gar nichts!’ Kein Bedauern, keine Frage nach dem Kind …“8

Gegen den Flughafen im Erdinger Moos gibt es bis jetzt 30.000 Einsprüche, 5.700 Klagen sind vor dem Verwaltungsgericht anhängig. Am 26. Juli fand in der Franzheimer Schule im Erdinger Moos ein Sommerzeltlager statt. Daraus entstand ein „Widerstandscamp“, die vier Wochen lang beste-
hen soll. – Der Baubeginn droht im Moos. Im Oktober findet eine Demonstration gegen den Bau des Großflughafens München II statt.9 Noch bevor das Gerichtsverfahren in der 1. Instanz abge-
schlossen wird, hat die 17. Kammer des Verwaltungsgerichts am 31. Oktober den Sofortvollzug bestätigt. 2. November: „Gegen die umstrittene Genehmigung für den Baubeginn des Flughafens München II demonstrieren rund 150 Demonstranten auf den Straßen der Innenstadt. Ein Sprecher der ‚Grünen’ bezeichnet den Flughafen als ‚Jahrhundert-Projekt bayerischen Größenwahns’.“10 Einen Tag später ist offizieller Baubeginn für den Flughafen im Erdinger Moos. Am Dienstag, 4. November, demonstrieren 2.000 Menschen in Franzheim. Dann Mittwoch, 12. November im Flughafen München-Riem: „… Mit ihrem Kabarett ‚Begegnung im Warteraum’ war der kleinen Debütantengruppe ein Volltreffer geglückt. Hautnaher Kontakt mit den auf der Bühne wartenden Zuschauern (schönes neorealistisches Bühnenbild – Flughafenwartehalle), Flugtickets als Ein-
trittskarte, kein Vorhang, gedämpfte Atmosphäre, plötzlich Vogelgezwitscher und die Show lief an. Das war wirklich avantgardistisch für München. Als Reisende getarnte Schauspieler erheben sich inmitten der überraschten Zuschauer. Tod und Teufel treten auf, der Chor von wahrhaft griechi-
scher Dimension ertönt. Transparente entrollen sich wie von Geisterhand, es wird deklamiert, Pamphlete verteilt, diskutiert, gelacht und geschimpft. Die Publikumsreaktionen reichten von übersättigter Langeweile über liberales Scheininteresse bis zu erzürnten Beschimpfungen der
nie aus der Rolle fallenden Akteure. Dieser Erfolg muss einer Inszenierungsstrategie recht geben, wenn auch zu bemerken ist, dass die Schlußszene ohne die sonst landesüblichen Höhepunkte auskommen mußte. Von unsichtbarer Hand gedrängt verließen die Actricen und ihre männlichen Kameraden in schöner Eintracht den Saal und ließen die Zuschauer in heftige Diskussionen ver-
wickelt zurück …“11 Am 4. November beginnt um 9.00 Uhr eine Demonstration von 2.000 Men-
schen in Franzheim. Am 15. November schließlich findet in München eine weitere Demonstra-
tion mit etwa 5.000 Teilnehmern statt.12 Am 31. November rücken die ersten Baumaschinen an.13

Die Vereinigten Bürgerinitiativen der Region München (VBI) gründen im November den Stadt-
verband des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU).

Eine Jugendgruppe des Bund Naturschutz demonstriert am 8. November gegen die Verwendung von Streusalz.14

Günther Anders geht über das Marxsche Dictum hinaus: „Es genügt nicht, die Welt zu verändern. Das tun wir ohnehin. Und weitgehend geschieht das sogar ohne unser Zutun. Wir haben diese Veränderung auch zu interpretieren. Und zwar, um diese zu verändern, damit sich die Welt nicht weiter ohne uns verändert. Und nicht schließlich in eine Welt ohne uns.“15

Siehe auch „Kapitalismus“.


1 Zitiert in Blatt. Stadtzeitung für München 165 vom 8. Februar 1980, 3.

2 Vgl. Münchner Zeitung vom August 1980, 1 f. und Münchner Zeitung 4 vom November 1980, 1.

3 Vgl. Süddeutsche Zeitung 127/1980.

4 Vgl. Münchner Zeitung vom August 1980, 6.

5 Vgl. Münchner Merkur 163/1980.

6 Stadtchronik, Stadtarchiv München.

7 Stadtchronik, Stadtarchiv München; vgl. Süddeutsche Zeitung 207/1980.

8 Blatt. Stadtzeitung für München 180 vom 12. September 1980, 29.

9 Fotos: Stadtarchiv Standort ZB-Ereignisfotografie-Politik-Demonstrationen. Vgl. dazu auch Oskar Vincenti, Die Flughafen„ver“planer —Erfahrungen und Erkenntnisse am Beispiel Flughafenplanung München II. Hg. im Selbstverlag, Eitting 1980.

10 Stadtchronik, Stadtarchiv München; vgl. Blatt. Stadtzeitung für München 80 vom 29. Oktober 1976, 10 ff., Süddeutsche Zeitung 254/1980 und 259/1980.

11 Blatt. Stadtzeitung für München 185 vom 21. November 1980, 14 f.

12 Foto von Winfried Kretschmer: Demonstration gegen den bayerischen Weltflughafen im Erdinger Moos, 15. November 1980, Verlag Hias Schaschko.

13 Zur Chronologie der Ereignisse siehe „Erdinger Moos: Laufend Ereignisse“.

14 Vgl. Süddeutsche Zeitung 260/1980.

15 Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen. Teil 2, München 1980, 5.