Flusslandschaft 1982

Gewerkschaften/Arbeitswelt

DGB

- Agfa-Gevaert-Kamerawerk
- Beamtinnen und Beamte
- BMW
- Bundesbahn
- Bundespost
- Hacker-Pschorr
- Hotel- und Gaststättengewerbe
- Siemens
- Stadtverwaltung
- Triumph International
- Zivilbeschäftigte bei den US-Streitkräften


DGB

Die Stimmung ist gedrückt.1 Das Erste-Mai-Motto des DGB „Arbeit für alle in Frieden und sozialer Sicherheit“ reißt niemanden vom Hocker. Die Demo zum Ersten Mai wird abgesagt. Und die Be-
teiligung bei der Kundgebung auf dem Marienplatz ist eher mager. Da braucht es manch aufmun-
terndes Wort von kritischen Künstlern:

2

Am 6. März waren Bundestagswahlen. Die alte SPD-FDP-Koalition war auch die neue. Am 1. Ok-
tober aber stürzt Bundeskanzler Helmut Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum. Oppositionsführer Kohl meint: „Wir müssen das Wir wieder deutlicher begreifen. Und das Ich muss in das Wir eingebracht sein. Das ist eine geistig-moralische Herausforderung.“ Die neue Koalition aus CDU/CSU und FDP unter Bundeskanzler Helmut Kohl wird am 4. Oktober vereidigt. Vom 23. bis zum 26. Oktober finden viele Aktivitäten gegen die neue Regierung statt. Zur zentralen Kundgebung am 23. Oktober in Nürnberg fahren auch viele Münchnerinnen und Münchner. Bei „unsozialen Einsparungen“ droht der DGB mit einem Dauerkonflikt. – Solange die Gewerkschaften existieren, streiten sich in ihnen zwei Positionen. Die eine warnt vor unüberlegten und voreiligen Aktionen und baut auf Verhandlungen, die andere will, dass die geballte Macht der Gewerkschafts-
bewegung endlich ihre schon lange erhobenen Forderungen durchsetzt. Die einen grantln3, der Münchner Gewerkschafter Knut Becker schreibt ein Gedicht.4

Im Stadtrat wird der städtische Haushalt für das Jahr 1983 beraten. In der Aussprache rückt CSU-Fraktionsvorsitzender Delonge die Gewerkschaften in die Nähe von Demagogen und Extremisten der 30er Jahre. Da erheben sich einige Gegenstimmen. Der ÖTV-Kreisvorstand beschließt im De-
zember, solange mit der CSU-Fraktion nicht mehr offiziell zu sprechen, bis sich Delonge entschul-
digt hat. OB Kronawitter sieht die Kritik mancher Gewerkschafter als Gefährdung der „Gemein-
samkeit aller Demokraten“, woraufhin DGB-Kreisvorsitzender Alois Mittermüller ihm schreibt: „Normalerweise hätten Sie als Leiter der Stadtratssitzung, bei der Herr Delonge seine ungeheuer-
lichen Vorwürfe gegen die Gewerkschaften los ließ, Herrn Delonge dafür eine Rüge erteilen müs-
sen. Nichts dergleichen geschah. Jetzt greifen Sie, Herr Oberbürgermeister, unverständlicherweise die Gewerkschaften an. Sie fordern sogar, wir sollten Verdächtigungen aus der Welt schaffen. Wel-
che Verdächtigungen? Herr Delonge wirft doch die Gewerkschaften mit Pflastersteinwerfern und extremistischen Radikalen der 30er Jahre in einen Topf. Was heißt das denn? Ich glaube, Sie sind sich darüber gar nicht im klaren. Ich bitte sie, dafür zu sorgen, dass ein Gespräch des DGB mit Herrn Delonge unter Ihrer Führung zustande kommt. Bei dem Gespräch ist Gelegenheit für Herrn Delonge, seine Beleidigungen und Verdächtigungen gegen die Gewerkschaften zurückzunehmen.“5

Siehe auch „Alternative Ökonomie“ und „Bundeswehr“.

AGFA-GAVAERT-KAMERAWERK

15. November: „Fünftausend Demonstranten versammeln sich im Stadion an der Grünwalder Straße in Giesing, um gegen die drohende Stilllegung des Münchner Agfa-Gevaert-Kamerawerks und die Personalreduzierung in verschiedenen bayerischen Zweigwerken zu protestieren … Der Betriebsratsvorsitzende … erklärt, dass schon 1981 gewinnträchtige Produktionsstätten nach Bel-
gien verkauft worden seien, die Verlustgesellschaften dagegen habe man ‚der deutschen Agfa ange-
hängt’." Nahezu viertausend Arbeitplätze waren in Gefahr. Im Dezember 1982 verurteilte der Lan-
desausschuss der bayerischen SPD die geplante Werksstilllegung. „Die Behauptung, der Betrieb habe ständig hohe Verluste gemacht, sei lediglich ein ‚Vorwand für unternehmerische Willkür’ … Der eigentliche Grund für die Stilllegung des Münchner Betriebes sei die beabsichtigte Verlegung der Kameraproduktion in asiatische Niedrigstlohnländer.“6

BEAMTINNEN und BEAMTE

Am 15. Juni veranstaltet der DGB eine Kundgebung auf dem Marienplatz mit 5.000 Teilnehmern gegen die Verzögerung der Besoldungserhöhung für Beamte. Die Redner betonen, dass sich Arbei-
ter, Angestellte und Beamte nicht auseinanderdividieren lassen dürfen.7

BMW

Protest und Disziplinierung um 1982 oder Wie der Kreis sich schließt – Herbert Seebauer ist der Vorsitzende der Münchner Gewerkschaftsjugend. Die Jungen sind recht aufmüpfig, lesen Marx und sein „Kapital“ und fordern radikales politisches Handeln. Die Gewerkschaftsjugend bei BMW verziert die Spinde und Arbeitsplätze mit Aufklebern und lässt sich von den Ausbildern nichts gefallen. Die BMW-Oberen sind sauer und marschieren zum Betriebsratsvorsitzenden Kurt Gol-
da: „So geht’s nicht!“ Golda wiederum marschiert zum IG Metall-Vorsitzenden im Münchner Ge-
werkschaftshaus und schreit: „So geht’s nicht!“ Der IG Metall-Vorsitzende eilt zum DGB-Kreis-
vorsitzenden Alois Mittermüller und brüllt: „So geht’s nicht!“ Mittermüller bestellt Seebauer ein und scheißt ihn zusammen. Robert Seebauer ist der Vorsitzende der Gewerkschaftsjugend.

BUNDESBAHN

Automatisierung und Zentralisierung der Signalanlagen führten in der Vergangenheit zu erhebli-
chen Personaleinsparungen. 1958 hatte die DB mit 516.000 Menschen ihren höchsten Personalbe-
stand, bis Ende 1982 hat sie über 200.000 Kräfte eingespart.

BUNDESPOST

Bundespostminister Gscheidle will keine neuen Postbeamten einstellen. Dagegen regt sich Pro-
test.8

HACKER-PSCHORR

29. Januar: „Aus Sorge um die Erhaltung ihrer Arbeitsplätze treten fast dreihundert Mitarbeiter der Hacker-Pschorr-Brauerei in den Warnstreik. Bei einer Betriebsversammlung wird die Beleg-
schaft durch den Betriebsrat über Gespräche mit Brauerei- und Bauunternehmer Schörghuber in-
formiert. Nach Schörghubers Angaben sei eine ‚Betriebsverlagerung der Hacker-Pschorr-Brauerei zu Paulaner nicht aufhaltbar.’ Auf Fragen nach etwaigen Entlassungen habe Schörghuber keine konkrete Antwort gegeben.“9

HOTEL- und GASTSTÄTTENGEWERBE

„Arbeitsbedingungen verbessern – NGG-Mitglieder kampfbereit. Am 25. März 1982 war es soweit – ca. 150 NGG-Mitglieder aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe demonstrierten vor dem Ge-
bäude des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbandes für bessere Arbeitsbedingungen. Mit die-
ser Aktion unterstrichen sie unter anderem ihre Forderungen nach der 40-Stunden-Woche, nach mehr Urlaub und einer Jahressonderzahlung. Auf Transparenten und in Sprechchören bekundeten sie ihren festen Willen die rückständigen Arbeitsbedingungen in diesem Gewerbe nicht mehr län-
ger kampflos hinzunehmen. Es ist erfreulich, dass auch die Arbeitnehmer des Hotel- und Gaststät-
tengewerbes endlich erkannt haben, dass sie nur durch gemeinsames Handeln ihre Situation ver-
bessern können. Die Gewerkschaft Nahrung – Genuss – Gaststätten wird die Kollegen und Kolle-
ginnen bei der Durchsetzung ihrer Forderungen weiterhin voll unterstützen. H.H.“10 – Einstündi-
ger Warnstreik vor den Augustiner-Gaststätten in der Neuhauser Straße 16 in der Innenstadt.11

SIEMENS

Siemens verlagert die groben Arbeiten der Halbleiterfertigung nach Malaysia. Es kommt zur Kurzarbeit, etwa 600 Kündigungen werden verschickt. Am 13. September ist auf einem Trans-
parent bei einer Demo zu lesen: „Macht Schluss mit der Verlagerung von Arbeitsplätzen in Niedriglohnländer.“

STADTVERWALTUNG

Achthundert Bedienstete der Stadtverwaltung protestieren am 26. März gegen ein zu geringes Tarifangebot.12

TRIUMPH INTERNATIONAL

13. September „Auf dem Königsplatz demonstrieren rund fünfhundertachtzig Näherinnen
gegen den Abbau ihrer Arbeitsplätze bei dem Mieder- und Wäschewarenhersteller Triumph-International in mehreren Werken des Unternehmens in München … Die Teilnehmerinnen … fordern ein Gesamtkonzept für die Zukunft des Konzerns, der in der Vergangenheit die Anzahl seiner inländischen Mitarbeiter von zwölftausend auf viertausend reduziert hat.“13

ZIVILBESCHÄFTIGTE bei den US-STREITKRÄFTEN

Zivilbeschäftigte bei den US-Streitkräften protestieren am 4. Mai gegen ein zu geringes Tarif-
angebot.14


1 Siehe „Noch mehr Arbeitslose“.

2 Guido Zingerl in: Deutscher Freidenkerverband e.V. Ortsgruppe München, Veranstaltungs-Programm 1983, München 1982, 1.

3 Siehe „‚Habe d’ Ehre Herr Schmidt’“.

4 Siehe „Vom Aufstehn“ von Knut Becker.

5 Zit. in: wir. Informationen für Münchner Gewerkschafter DGB Kreis München 2/1983, 3.

6 Stadtchronik, Stadtarchiv München. Vgl. Süddeutsche Zeitung 264/1982.

7 Vgl. Süddeutsche Zeitung 135/1982.

8 Siehe „Ich arbeitete auf allen Ebenen …“ von Christine Saurer.

9 Stadtchronik, Stadtarchiv München.

10 wir. Information für Betriebs- und Personalräte, Vertrauensleute, Jugendvertreter, hg. vom DGB-Kreis München 2/1982, 5. Vgl. Süddeutsche Zeitung 71/1982.

11 Foto mit Erika Dieling in: Ingelore Pilwousek (Hg.), Wir lassen uns nicht alles gefallen. 18 Münchner Gewerkschafterin-
nen erzählen aus ihrem Leben, München 1998, 44.

12 Vgl. Münchner Merkur 72/1982.

13 Stadtchronik, Stadtarchiv München; vgl. Süddeutsche Zeitung 211/1982.

14 Vgl. Süddeutsche Zeitung 102/1982.