Flusslandschaft 2025
Rechtsextremismus
Noch im November 2024 forderte CDU-Chef Friedrich Merz alle Bundestagsfraktionen auf, keine Anträge zur Abstimmung zu stellen, bei denen es zu Mehrheiten mit der AfD kommen könnte. Es müsse vorher sichergestellt werden, dass es Mehrheiten ohne AfD gibt. Am 29. Januar 2025 meint er bei der Abstimmung über seinen umstrittenen „5-Punkte-Plan“ für eine verschärfte Migrations-
politik im Bundestag: „Jetzt wird entschieden, und zwar mit den Mehrheiten, die der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland entsprechen. Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen. Sie bleibt richtig.“ Und so verhilft die AfD Merz zur Mehrheit. Don-
nerstagabend, 30. Januar: 10.000 Menschen demonstrieren spontan vor der CSU-Zentrale. Sie fordern von der CSU, die sogenannte „Brandmauer“ zur AfD aufrechtzuerhalten und nicht mit dieser zu kooperieren – auch nicht formell, um Mehrheiten zu erzielen. Für Samstag, 8. Februar, kündigen die Veranstalter eine weitere Demonstration auf der Theresienwiese an.


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Auch in Stadtteilen werden Bürgerinnen und Bürger aktiv. In Neuaubing heißt es »Schämt Euch!«
Am 8. Februar demonstrieren laut Veranstalter rund 320.000 Menschen auf der Theresienwiese unter dem Motto „Demokratie braucht Dich“. Ursprünglich wurden 75.000 Teilnehmer erwartet.2
Donnerstag, 13. Februar: Ein islamistischer Fanatiker fährt gegen 10.30 Uhr am Stiglmaierplatz mit einem Auto von hinten in einen Demonstrationszug der Gewerkschaft ver.di; fast 30 Menschen werden verletzt, eine Mutter mit ihrem Kind stirbt. Die Tat befeuert alle, die eine weitere Verschär-
fung der Maßnahmen gegen Geflüchtete fordern.



Sonntag, 16. Februar: Die AfD hält am späten Vormittag mit 70 Teilnehmern eine Mahnwache am Königsplatz ab. Parallel findet eine Gegendemonstration von 600 Menschen statt. Diese sprechen sich gegen die „Instrumentalisierung der Opfer von Gewalttaten für rassistische Mobilisierungen“ aus. Etwa 350 von ihnen ziehen zur AfD-Versammlung. Es kommt zu heftigen Auseinandersetzun-
gen; acht Personen werden festgenommen. Schließlich wollen AfDler zum Tatort, um dort Blumen niederzulegen. Eine Menschenkette um den provisorischen Gedenkort verhindert dies.
Am Dienstag, 18. Februar, müssen auf dem Marienplatz auch andere leiden: Der FDP-Chef, der sich ebenfalls für schärfere Maßnahmen gegen Geflüchtete ausspricht, redet vor 350 Leuten. 20 Antifas protestieren: „Lindner verpiss’ Dich, keiner vermisst dich!“ und „Schäm Dich!“ Auf ihrem Transparent ist zu lesen: „Krieg, Rassismus, Sozialabbau? Nicht mit uns!“ Lindner bezeichnet die Demonstranten als „linken Karneval“.


Etwa 3.500 Menschen befinden sich am 2. März auf dem Odeonsplatz. Auf Plakaten ist unter anderem zu lesen: „Für Demokratie und Menschlichkeit“, „Kein Mensch ist illegal“ und „Die Mutter aller Probleme: Populismus+Hetze“


Die 30jährige Hanna S. soll gemeinsam mit anderen Antifaschisten im Februar 2023 in Budapest Teilnehmer eines Treffens europäischer Neonazis attackiert und verletzt haben. Sie wurde am 6. Mai 2024 in Nürnberg festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Im Febru-
ar 2025 wird sie in die JVA Stadelheim gebracht, wo ihr der Prozess gemacht wird. Die Bundesan-
waltschaft begründet ihren Mordvorwurf unter anderem damit, dass dabei auch Schlagstöcke und ein kleiner Hammer zum Einsatz kamen. Für Verteidiger Peer Stolle ist das völlig überzogen. Wäh-
rend Rechtsextreme seit 1990 über 200 Menschen ermordet hätten, sei ihm kein einziger Fall be-
kannt, bei dem Linke einen Neonazi getötet hätten. Außerdem seien die Verletzungen, die die Op-
fer davongetragen hätten, eher gering gewesen. Fragwürdig sei auch, dass die Bundesanwaltschaft überhaupt den Fall übernommen habe. „Solche Körperverletzungstaten werden normalerweise vor Amtsgerichten oder vielleicht auch mal vor einem Landgericht verhandelt.“ Anders als von der Bundesanwaltschaft behauptet, handle es sich auch nicht um eine staatsgefährdende Tat. Vielmehr werde die Angeklagte künstlich zu einer gefährlichen Person hochstilisiert. Das zeige sich auch an der Wahl des Gerichtsaals. Mittwoch, 19. Februar: Für den ersten Prozesstag ruft die Bewegung Demokrateam zu einer Kundgebung an der Stettnerstraße um 7.30 Uhr (zwei Stunden vor Pro-
zessbeginn) unter dem Motto „Kundgebung Free Hanna – Wir sind alle Antifa!“ auf. Rund 100 Unterstützerinnen und Unterstützer von Hanna S. sind aus ihrer Heimatstadt Nürnberg nach München gekommen. – Am 15. März findet eine weitere Solikundgebung vor der Frauenabteilung der JVA von 13 bis 21 Uhr an der Ecke Tegernseer Landstraße/Stadelheimer Straße statt.3
Im Dezember 2024 fand sich Wahlwerbung für die AfD auf der Homepage des Freidenker-Landes-
verbandes Niedersachsen. Am 1. März 2025 findet die Landesmitgliederversammlung der bayri-
schen Freidenker in Nürnberg statt. Renate Schiefer, Vorsitzende der Münchner Freidenker bean-
tragt hier in einer kurzen Rede, der Landesverband möge sich klar von der AfD als faschistischer Partei distanzieren und Sympathiebekundungen für die AfD und vor allem von Mandatsträgern der Freidenker öffentlich publizierte verurteilen und konsequent sanktionieren. Sie kommt nicht mehr dazu, ihren Antrag zu begründen. Eine Mehrheit der Anwesenden stimmt für Nichtbefas-
sung. Am 5. März erklärt Renate Schiefer ihren Austritt aus dem Verband.
Am Samstag, 22. März, fordern auf der Theresienwiese 150 Demonstrantinnen und Demonstran-
ten „Schutz der Bevölkerung“, „flächendeckende Grenzkontrollen“ und „keine weiteren Milliarden für die Ukraine“. Rund 100 GegendemonstrantInnen versammeln sich unter dem Motto „Keine rechte und vor allem rechtsextreme Propaganda auf der Theresienwiese!“
200 Anhänger von „Gemeinsam für Deutschland“ demonstrieren am Samstag, 26. April, immer wieder gestört und behindert von etwa 1.000 Gegendemonstranten.4

Bis zu 3.200 Menschen demonstrieren auf dem Königsplatz.
In der zweiten Mai-Woche tauchen am Willi-Graf-Gymnasium Flugblätter der „Identitären Bewegung“ mit dem Slogan „Lehrer hassen diese Fragen“ begleitet von ausländerfeindlichen Aussagen und der Aufforderung, sich der rechtsextremen Bewegung anzuschließen, auf. Am Mittwochnachmittag, 14. Mai, hängen gegen 13 Uhr Mitglieder der Identitären ein Transparent gegenüber der Schule auf. Sie zünden Pyrotechnik mit blauem Rauch und rufen rechte Parolen.
Ganz so einfach ist das nicht. Immer wieder auf die Straße gehen und sich gegen Rechts zu stellen, das kostet Zeit und Kraft. Manchmal muss entschieden werden, ob der Protest hier oder dort stattfinden soll. Es gibt Debatten, warum hier und wie dort? Und warum überhaupt?5
Samstag, 4. Oktober, gegen 15 Uhr auf der Wiesn: Massen quetschen sich durch Budenstraßen, Massen stehen auf der Freitreppe vor der Bavaria, Handys machen Fotos. Es schaut so aus, als ob da ein paar Mannsbilder eine größere Fotoaktion planen. Sie verteilen weiß-blaue Papierbögen und meinen auf Nachfrage, man sei für eine „Fotoaktion zum letzten Festwochenende der Mediengrup-
pe Arabelle FM“ tätig. Dann versuchen sie ein Transparent über den Treppenabsatz zu spannen. Auf Nachfrage nach dem Inhalt, wird dieses verdeckt. Dann aber ist eine Parole mit dem Wort „Re-
migration“ zu lesen. Es kommt zu einer Rangelei. Klar wird, „Identitäre“ benötigen lederhosige und verdirndelte StatistInnen für ihre Propaganda. Die Polizei kommt zu spät; nur das Transpa-
rent kann sie beschlagnahmen. Der Staatsschutz ermittelt.
Das Gebäude der studentischen Verbindung Danubia befindet sich in der Potsdamer Straße. Ab Freitagabend bis Sonntag, 26. Oktober, sollen im Danubia-Haus wieder die »Schwabinger Gesprä-
che« stattfinden, ein Vernetzungs- und Vortragsevent mit Rednern der extremen Rechten. Antifa-Gruppen haben zum Gegenprotest aufgerufen.
Bundeskanzler Merz sieht schon seit Wochen genau hin und raunt in den Leitmedien geheimnis-
voll und wiederholt, er habe ein Problem mit dem »Stadtbild«, dem bundesdeutschen, also auch mit dem hiesigen. Fein, freuen sich da die skeptische Stadtsoziologin und der aufgeweckte Giesin-
ger Stadtindianer, die betrübt die Transformation alten Baubestands in gesichtslose Architekturen feststellen, die zusehen müssen, wie die öffentlichen Räume schrumpfen, die arbeitsplatzsuchende Blechlawinen und mit Arbeitsplatzfliehenden vollgestopfte U- und S-Bahnen registrieren und die vor dem Trommelfeuer kommerzieller Werbung Ausreiß nehmen. Nur das ist halt ein Mißver-
ständnis. Friedrich der Große sieht da ganz etwas anderes. Ihm fallen Hautfarben, Haarschnitte, Physiognomien, Redewendungen, Gesten, Verhaltensweisen, ja auch Kleidungsstücke auf, die es früher, ganz früher hier überhaupts gar nirgendwo nicht gab, zumindest wars nicht so sichtbar, gegeben hats das schon, aber sporadisch, nicht so penetrant. Da nicken manche Stammtischgrößen mit dem Schädel: »A Überfremdung is des, des is nimma unsa Land. S dauert nimmer lang, dann gibts koa Bier mehr, sondern nur no a Glasl Çay, dann ruft bei uns da Muezzin zum Gebet und mia hamma an Kameltreiber als Kanzler.« Zum Glück ermittelt nicht der Staatsschutz. — Immerhin kommen am 2. November 250 Leute bei Dauerregen zur Stadtbild-Demo auf den Odeonsplatz.6
Samstag, 1. November, 3. Liga: Beim Spiel zwischen den Sechzigern und Tabellenführer Energie Cottbus (3:0) wird Gäste-Spieler Justin Butler in der 71. Minute mit einem Becher beworfen, dazu gibt es Affenlaute eines Zuschauers. Daraufhin unterbricht Schiedsrichter Oldhafer die Begegnung für einige Minuten. Der Rassist wird von Ordnern aus dem Stadion geführt. Sprechchöre werden laut: „Nazis raus!“ Dann geht das Spiel weiter. Später meldet sich 1860 München in einer Presse-
mitteilung zu Wort: „Die Löwen sprechen sich mit allen Mitgliedern ausdrücklich gegen die Dis-
kriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Religion, ihrer ethnischen Herkunft, ihrer sexuellen Identität, ihres Alters oder aufgrund einer Behinderung aus.“ Der Verein stehe für Gleichberechtigung, Vielfalt und Toleranz. Man wolle sich deshalb jetzt um eine Aufarbeitung des Vorfalls bemühen und den Zuschauer „mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zur Rechen-
schaft“ ziehen. Cottbus-Trainer Wollitz hätte gerne gehabt, dass das Spiel abgebrochen wird, „um ein Zeichen zu setzen“.
Before ist die Beratungsstelle für Betroffene von rechter und gruppenbezogen menschenfeindlicher Gewalt und Diskriminierung in München und unterstützt Betroffene, deren soziales Umfeld, sowie Personen, die Vorfälle bezeugen können. Ihr Angebot reicht von der Antidiskriminierungsarbeit bis zur Opferberatung, kostenlos, vertraulich und unabhängig von staatlichen Behörden.7
1 Fotos: Cornelia Blomeyer
2 Siehe
- die Bilder der Kundgebung „demokratie braucht dich! A“ von Cornelia Blomeyer und
- „demokratie braucht dich! B“ von Volker Derlath.
3 Siehe https://alleantifa.noblogs.org/post/category/solikreis-muenchen/.
4 Ein Sympathisant von GfD filmt: https://www.youtube.com/watch?v=K7rqrQASuxI
5 Neu erschienen ist: Anonym (Hg.), bis alle frei sind. Antifa-Debatten zu Staat, Patriarchat und drohendem Faschismus, 2 Bde., Berlin 2025.
6 Siehe die Bilder der Kundgebung gegen das Merz’sche „Stadtbild“ von Volker Derlath.
7 Siehe www.before-muenchen.de.