Flusslandschaft 1984

Medien

Öffentlich-rechtliche Rundfunk- und Fernsehanstalten stehen seit langem in der Kritik. Die ARD mit ihren 23.000 Angestellten verweist auf einen Jahresumsatz von 5,8 Milliarden DM. Wer aber bestimmt über die Inhalte der öffentlich-rechtlichen. Da gibt es weder eine Intendantin noch eine Programmdirektorin, im ZDF-Fernsehrat tummeln sich drei Frauen unter 68 Männern, im Ver-
waltungsrat sind es nur Männer. Vergleichbar geht es in der ARD zu. Entscheidend aber ist für eine Karriere in den öffentlich-rechtlichen der Besitz eines passenden Parteibuchs. Ob es mit der Ein-
führung des dualen Rundfunksystems (öffentlich-rechtlich und privat) besser wird?

Es gab Proteste gegen seine Einführung – vergeblich. Im Januar starten die privaten Fernsehsen-
der RTL und SAT 1. Um dem bayrischen Verfassungsartikel 111 entgegenzukommen, beschließt der Landtag die Gründung der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), die über private Sender die Aufsicht zu führen hat. Der Widerstand gegen eine kabelgesteuerte optische und akusti-
sche Vermüllung von Hirn und Seele wächst. An einer Haidhauser Hauswand ist zu lesen: „Seht euch in die Augen, nicht in die Glotze!“1

Der Ortsverband Altstadt-Lehel der GRÜNEN versammelt sich im November in einer Wirtschaft, um sich auf die kommende Bundesversammlung vorzubereiten. Da wird die Türe aufgestoßen; he-
rein stürmt ein Fernsehteam des Bayerischen Rundfunks mit laufender Kamera, Scheinwerfer und Mikrofon. Die Versammlungsleitung macht den Filmern Bruno Leder und Paul Mautner klar, sie sollen verschwinden. Diese daraufhin: Dies sei eine öffentliche Veranstaltung, sie könnten hier fil-
men. Es kommt zum Tumult, die Kamera hält drauf. Schließlich gehen die Fernsehleute und dro-
hen, das alles werde im nächsten Bericht gesendet werden. P.S.: Leder hat schon in der Vergangen-
heit Fakten verfälscht und sehr einseitig berichtet. „Erst vor wenigen Tagen war Mautner vom ‚Un-
abhängigen Arbeitskreis für Frieden und Abrüstung‘ der ‚Friedensgeier‘ für seine ‚Vorurteile schaf-
fende, ja geradezu gehässige Berichterstattung‘ in seinem Film über die Friedensbewegung ‚Akti-
onsfeld Atomwaffen‘ verliehen worden.“2

Die Einführung des Kabelfernsehens wurde vom 25. Dezember 1983 auf den 1. April 1984 verscho-
ben. In der Reihe „Literatur im Marstall“ liest Andreas Altmann am Donnerstag, 14. Juni, aus sei-
nem wuchtig formulierten Kommentar zum Zeitgeschehen. Auf dem Ankündigungsflugblatt heißt es: „Um gleich vorweg Missverständnisse auszuräumen; Orwell kommt nur am Rande vor. Es geht vielmehr um einen – „brillant formulierten“ (SZ) – Kommentar zum Zeitgeschehen. Hin- und her-
gerissen zwischen bodenlosem Pessimismus und der reinen Freude an diesem einen, einzigen Le-
ben, das wir haben, sucht der Autor nach einem Weg, der sinnlicher ist, lustvoller, aufregender als die menschenleeren Utopien hochbegabter Technokraten-Zombies. Das Leben ein Dreck. Die Lie-
be ein Witz. Der Friedfertige ein Depp. Hoch lebe das Bruttosozialprodukt.“3

(zuletzt geändert am 27.6.2021)


1 Siehe „Klage gegen ‚Kabelgroschen’“ und „Privatfunk in Bayern – ein Trick macht’s möglich“.

2 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung

3 Archiv der Münchner Arbeiterbewegung. Siehe „1984“ von Andreas Altmann.