Flusslandschaft 1986

Flüchtlinge

Der Bayerische Flüchtlingsrat (BFR) entsteht 1986 als ein überparteilicher Dachverband von Einzelpersonen, Initiativen und Organisationen der Flüchtlingssolidarität in Bayern. Er versteht sich als Teil der viel zu schwachen Lobby für Flüchtlinge, MigrantInnen und Illegalisierte und stellt sich mit aller Konsequenz gegen die herrschende Politik der Flüchtlingsabwehr. Er will ein Bleibe-
recht für alle bedrohten Gruppen und Einzelpersonen. Eine Rückkehr von Flüchtlingen dürfe nur selbstbestimmt erfolgen. Er tritt für die Wiederherstellung des Grundrechts auf Asyl ein. Seit 1991 gibt es den gemeinnützigen Förderverein „Bayerischer Flüchtlingsrat e.V.“. Er besteht 2009 aus etwa vierzig Initiativen und Gruppen in Bayern mit einer Geschäftsstelle in München. Der BFR publiziert zwei Zeitschriften zu Asyl-, Flucht- und Migrationsthemen und veranstaltet Seminare zu aktuellen Entwicklungen in diesen Bereichen. Der BFR bietet Beratung für Asylsuchende an und macht Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit.1

„Völkerwanderung unserer Zeit? Die Bundesrepublik Deutschland ist ,mittlerweile zum Haupt-
fluchtland in Europa geworden’, stellte Bayerns Innenminister Dr. Karl Hillermeier kürzlich fest. Auf rund 100 Einwohner komme bereits ein Flüchtling. Der Strom der Asylsuchenden, die in der Bundesrepublik Deutschland eine Bleibe zu finden hoffen, ist in letzter Zeit in der Tat wieder ge-
waltig angestiegen und hat sowohl in der Bevölkerung als auch unter den Politikern eine heftige Diskussion ausgelöst. Kaum ein Tag in den letzten Monaten, an dem nicht ein neuer Vorschlag zur Lösung des Asylantenproblems angeboten und von anderer Seite gleichzeitig wieder verworfen worden ist. Im Grunde ist man sich zwar darüber einig, daß zur Eindämmung der Asylantenflut etwas getan werden müsse. Über das Wie gehen die Meinungen allerdings zum Teil recht weit auseinander. Die Maximalisten fordern eine Änderung des Grundgesetzes, die Minimalisten leh-
nen solche Bestrebungen rundweg ab. Sie fordern, zunächst einmal die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Dies tun bereits die Asylbewerber, die auf diese Weise ein Aufenthaltsrecht von drei Jahren und mehr erwirken …“2

„… Durch den Bauernprotest und den nicht kleinzukriegenden Widerstand gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf aufgeschreckt, hat die CSU schnell ihre ‘Chance’ in der öffentlichen Diskussion um die Behandlung von Asylbewerbern erkannt. Der Appell an die patrio-
tische Grundsubstanz in der Seele des einfachen Mannes auf der Straße, das geschickte Schüren von Fremdenfeindlichkeit und das Kanalisieren von Emotionen – seien sie noch so abstrus begrün-
det – auf den politischen Gegner war schon immer eine ‘Stärke’ der CSU. Das Wasser in der Asyl-
frage zum Kochen zu bringen, von dem der Bayerische Staatsminister für Bundesangelegenheiten, Schmidhuber, sagte, dass es noch nicht heiß genug sei, fällt einer Partei wie der CSU weiß Gott nicht schwer. Strauß, Tandler und Fellner heizen dabei auf bundesdeutscher Ebene das Wasser im ‘Dampfkessel Asyl’ auf und in den Bezirken und Kommunen, denen die Landesregierung die Asyl-
berechtigten schön dezentral zuweist, sorgen dann die unteren CSU-Gliederungen mit ihrem Um-
feld für die entsprechende Hitze. Ob allerdings die von der CSU stark für ihre Wahlziele instru-
mentalisierte Asyl-Diskussion die Fragen nach der Zukunft der Landwirtschaft und der Energie-
politik überlagern kann, steht dahin …“3

Am 16. Dezember kommt es um 3 Uhr morgens zu einer Razzia in der Sammelunterkunft für Flüchtlinge in der Hessstrasse, am Tag danach zu einer spontanen Protestdemonstration; fünfund-
zwanzig Menschen werden verhaftet und erkennungsdienstlich behandelt. Aber kurze Zeit später, am folgenden Tag, demonstrieren zweihundert Menschen.4

(zuletzt geändert am 18.4.2025)


1 Vgl. www.sub-bavaria.de.

2 Der Staatsbürger. Beilage der Bayerischen Staatszeitung 10 vom Oktober 1986, München, 1.

3 Carl-Wilhelm Macke, „Was ist zumutbar?“ In: links. Sozialistische Zeitung 199 vom Oktober 1986, 8.

4 Siehe „Großrazzia im Sammellager“. Vgl. Süddeutsche Zeitung 290/1986 und Spion. Zeitung für München 52 vom Februar 1987, 5.