Flusslandschaft 1987
Kunst/Kultur
BILDENDE KÜNSTE
Gabi Dünnweber verlegt im ersten Stock der Glashalle des Kulturzentrums am Münchner Gasteig im Februar 1987 zwischen Rolltreppe, Fenster und Garderobe „Wundertüten“, 27 große Papier-
tüten, die innen mit Zeitungsartikeln über den Tschernobyl-Gau und seine Folgen beklebt sind. Schon eine Woche nach Ausstellungseröffnung beseitigen Handwerker die Installation.
Rupprecht Geiger stellt vor dem Gasteig oberhalb der Rosenheimer Straße sein Gerundetes Blau , Aluminium spritzlackiert, 600 × 700 × 200 cm, auf. Der Volkszorn kocht: „Was soi denn des! Des kann doch a jeder! A so a Schmarrn!“
Das Haus der Kunst plant eine Nibelungen-Ausstellung. Erich Kuby wird gefragt, ob er zum Aus-
stellungskatalog einen Beitrag liefert? Daraufhin dichtet Kuby im alten Stil: „Der Nibelungen Spie-
gelungen // Einst war es Pflicht, ins Haus der Kunst zu gehen, / um dort die Muskelmänner vom Breker stehn zu sehn. / Da hallt es in den Hallen germanisch heldenhaft / von Schwertgeklirr und Siegen am Urquell deutscher Kraft. // Der Bau hat überdauert, er steht noch, wo er stand, / lastlo-
se Säulen parkieren gereiht am Straßenrand; / … / Nun grabt ihr aus mit Prunk und Pracht, / was deutsche Kunst daraus gemacht; / ihr mögt es ohne Harm beschauen, / doch solltet ihr der Schau misstrauen! / Was ist das Lied der Nibelungen? / Nur Erbstück oder Spiegelungen? / Erkennt ihr in den Mörderscharen / nicht selbst euch aus ganz nahen Jahren?“ Kuby: „So schrieb ich den Katalogbeitrag in Nibelungen-Versen, von denen im Druck kaum etwas übrig geblieben ist. Der Veranstalter fand, es wäre vielleicht ganz witzig, das eigene Unternehmen im Katalog durch den Kakao zu ziehen, aber das könnte auch missverstanden werden.“1
KULTURGESCHICHTE
Die Ausstellung „Arbeitersänger und Arbeitersportler in München vor 1933“ ist vom 11. April bis 5. Juni in der Kassenhalle des Rathauses zu sehen; sie löst die Gründung des Archivs der Münchner Arbeiterbewegung aus.2
LITERATUR
Gisela Elsner hält mit ihrem neuen Roman „Die Zähmung“ der Gesellschaft einen Spiegel vor, Heinrich Vormweg resümiert: „… Eine Farce, mit Hohn und Spott und Bitterkeit sarkastisch aus-
geführt. Gesellschaftskritik als Satire, als Groteske. Wobei die Geschichte, wie gesagt, so nah dem Alltag einer von den Marktregeln um Halt und Inhalt gebrachten Kulturszene ausgemalt ist, dass der Realitätsbezug immer deutlich bleibt. Am Exempel einer ihrer empfindlicheren Stellen, näm-
lich ihres kulturellen Überbaus, zielt Gisela Elsner zudem auf die ganze Gesellschaft, in der sie lebt. Sie spielt vor, wie in ihr die Ideen bodenlos werden, die Künste sich korrumpieren und mit den Wertvorstellungen auch die einfachen Lebensbeziehungen verkommen. Maßlos übertrieben, das schauerliche Bild einer von allem Reichtum nur übertünchten Armut, gewiss. Doch auf die richtige Weise übertrieben. Zum Lachen gibt‘s bei dieser fatalen Zähmung eines leider gar nicht so Wider-
spenstigen dennoch nichts. Hier wird Zorn provoziert; falls man denn zu Zorn noch fähig ist. Gise-
la Elsner hat mit diesem jüngsten Roman in ihr schon aus etlichen Romanen und Erzählungen be-
stehendes Panorama vom Leben in einer orientierungslos gewordenen Welt ein wichtiges neues Teilstück eingefügt.“3
MUSIK
Auf ihrer Platte „Tschüss Bayernland“ von der Biermösl Blasn hört der erstaunte Zeitgenosse den Titel „Professor Zipfl liest – Im Wald is so stad“. Das erbost den Pädogogikprofessor und heiteren Verserlschreiber Helmut Zöpfl: „So existiert in Bayern eine sehr bekannte Gesangstruppe, von der man weiß, dass sie sich von der ultrarechten Seite quer durch Beet bis ganz nach links hinüberge-
sungen hat und da ihre ‚neue Heimat‘ gefunden hat, mit der sie (ganz offensichtlich im Gegensatz zum gleichnamigen Konkursunternehmen) recht gut verdient, gemäß dem alten Wort: Wo‘s mir gut geht, ist mein Vaterland.“4
THEATER
„An den Leiter des Bürgerhauses Ottobrunn, Herrn Burbach … Mit Empörung haben wir aus der SZ erfahren, daß Ihre Bemühungen, das verdienstvolle zeitkritische Stück von Rolf Hochhuth »Der Stellvertreter« in Ottobrunn zur Aufführung zu bringen, von der CSU-Fraktion dieser Gemeinde im Zusammenspiel mit dem katholischen Gemeindepfarrer sabotiert werden. – Rolf Hochhuth zeigt in diesem Drama, gestützt auf umfangreiche historische Studien, ganz klar das unheilvolle Schweigen des Vatikans und auch des hohen deutschen Klerus zum faschistischen Völkermord an den Juden. Für Papst Pius XII. war der verbrecherische Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Sowjetunion insofern berechtigt, als sich dieser Ausrottungs- und Eroberungskrieg gegen das sei-
ner Meinung nach satanische System des Bolschewismus als des Werks des Antichrists richtete. ln dieser verblendeten, von Haß gegen den Sozialismus geprägten Sicht des zweiten Weltkriegs war der Hitlerfaschismus gegenüber dem Sozialismus in der UdSSR das kleinere Übel. Deshalb erhob der Papst auch nicht seine Stimme, obwohl er doch damals noch von vielen als moralische Autori-
tät angesehen wurde, und obwohl er von der fabrikmäßigen Ermordung der Juden in den Vernich-
tungslagern in Polen wußte. – Rolf Hochhuths Stück macht also die verhängnisvolle Funktion des Antikommunismus und Antisowjetismus klar. Damit ist es unserer Meinung nach immer noch ak-
tuell. Für eine Politik der Hochrüstung und der Konfrontation braucht man als ideologische Recht-
fertigung das Feindbild der drohenden Gefahr aus dem Osten. – Wir Freidenker werten Ihre Ab-
sicht, dieses Stück auf die Bühne zu bringen, auch als einen Versuch, gerade in Ottobrunn, wo einer der wichtigsten Rüstungskonzerne der Bundesrepublik seinen Sitz hat, politisch aufklärerisch zu wirken. – Die CSU und der katholische Pfarrer haben das klar erkannt und versuchen nun, in-
dem sie Sie diffamieren, dies zu verhindern. Als mehr oder minder offene Vertreter der Rüstungs-
industrie unternehmen sie alles, um die geschichtliche Wahrheit, die eine lebenserhaltende Lehre für uns in der Gegenwart bedeutet, zu unterdrücken. – Der Freidenker-Verband als kulturpoliti-sche Organisation der Arbeiterbewegung wird das in seinen Kräften Stehende tun, um auf diesen Skandal in Ottobrunn hinzuweisen und ihn anzuprangern. Wir empfinden Hochachtung vor Ihrem Mut und versichern Sie unserer Solidarität. – Deutscher Freidenker-Verband e.V. Ortsgruppe Mün-
chen“5
(zuletzt geändert am 14.9.2025)
1 Erich Kuby, Mein ärgerliches Vaterland. Eine Chronik der Bundesrepublik, Berlin 2010, 553 ff.
2 Siehe das Begleitprogramm der Ausstellung „Arbeitersänger und Arbeitersportler in München vor 1933“.
3 Süddeutsche Zeitung 87 vom 12. April 1984, II.
4 Münchner Merkur vom 20./21. Juni 1987.
5 Freidenker Info Mai — Juli 1987, 35.