Materialien 1969
Zur Situation
aus „Info“ 6 A, (Kunsthistorisches Institut, München)
Basis des Studiums Kunstgeschichte
,Das Kunsthistorische Studium ist vorzüglich ein Privatstudium … ein äußeres Hemmnis des Studiums ist seine Kostspieligkeit …‘ (Lieb/Braunfels, Studienweiser der Kunsthist. Seminare der Universität München, 15.4.1969)
Zweck des Studiums
‚Das Kunsthistorische Studium heißt … gemeinsames Sich-Einrichten, einander Festhalten und Zurückholen aller Beteiligten auf wissenschaftliche Fragestellungen und Antworten …‘ (Lieb/Braunfels, Studienweiser …, 15.4.1969)
Wissenschaftliche Fragestellung des Studiums
‚Wer also am Kunstvermögen seiner Stadt, das derart Größe, Glück und Beständigkeit bezeugt, Anteil nimmt, verdankt ihm unbewußt oder bewußt den Glauben, daß die Welt als eine geordnete fortbestehen wird.‘ Denn die ‚Wesenszüge einer Stadtpersönlichkeit‘ sind:
1. die Gestalt (bestimmt von Palästen, Kirchen, Kuppeln, Plätzen, Brunnen etc.),
2. ihre Geschichte (verstanden als die Abfolge bedeutender Anstrengungen in der Vergangenheit) und
3. ihr Leben und dessen Differenziertheit (der Grad der Anteilnahme daran läßt zugleich die Liebe zur Stadt wachsen) … Sämtliche Kunstschätze Münchens sind zwanzig Milliarden Mark wert …‘
(W. Braunfels, Münchens Kunstvermögen, Rede auf der Festveranstaltung des Rotary Internatio-
nal, dessen Mitglied er neben Prof . Müller und Prof. Lieb ist, Süddt. Zeitung, 2. Mai 1969)
Berufsaussichten / Berufsbedingungen
Die Rede des oben zitierten Kunsthistorikers wurde von der Festversammlung des Rotary Inter-
national ‚begeistert aufgenommen’ und von der Presse als ,perspektivenreich’ bezeichnet. Welche Bedeutung den Wohnsiedlungen im Hasenbergl zukommt, wissen die Spitzenfunktionäre des Kapitals wohl zu genau, als daß sie darüber informiert werden müßten. Zudem ist der Festredner selbst Mitglied eines finanzstarken (vielleicht auch nur finanznahen) und einflußreichen Fami-
lienclans, der in Bogenhausen schlicht ,heilige Familie‘ genannt wird. Ein Vorfahr der Gattin war Professor der Nationalökonomie, ein anderer besaß immerhin eine Villa am rechten Isarufer, das Kloster S. Francesco in Florenz vor Porta Romana und eine Villa am Meer in Forte dei Marmi bei Viareggio. Nachfahren sollen nicht nur im Kultusministerium sitzen.
Man kann auf diese Weise z.B. Vorsitzender des ,Vereins zur Erhaltung des Hildebrand-Hauses’ werden und den Finanzadel bei der Beschaffung der Gelder für den Rückkauf einsetzen.
Hinweise für ein erfolgversprechendes Studium
Wer immer noch nicht gemerkt hat, daß es nur um Geld geht, dem sei noch folgender Tip gegeben:
,Alle Studenten und Professoren, wie jeder Arbeiter oder Ingenieur, haben die gleichen Rechte und gleichen Pflichten. Zu diesen Pflichten gehört die Arbeit … Eine politische Diskussion anstelle der aufgetragenen Arbeit (Frage: von wem) wäre politisch falsch … führt im Endergebnis nicht zur Erhöhung, vielmehr zur Reduzierung des Etats.‘ (W. Braunfels, Antworten auf Fragen, SS 1969)
Wir weisen auf das Zitat von Lenin hin und darauf, daß es für ,Studienreisen’, z.B. nach New York, in Zukunft sicher mehr Geld gibt als achthundert Mark. Die Profitgier kann, in bürgerlichen Idealismus gekleidet, auch so verschleiert werden:
‚Kunstgeschichte hat die Aufgabe,
1. die Werke gegen menschliche Vergeßlichkeit zu verteidigen, die am deutlichsten menschliche Größe und menschliches Selbstverständnis dokumentieren …,
2. das Verständnis dieser Werke zu vertiefen,
3. den Kreis derer in allen sozialen Schichten auszuweiten, denen das Verständnis von Kunst die Freude tieferer Erkenntnis bereitet.‘ Und das alles, weil: ,Der Staat, private Auftraggeber, Ge-
meinschaften dem Gestaltungswillen als Beschäftigungsgeber dienen und damit zugleich oft ihre Bestätigung oder Deutung erfahren. Das Kunstmachen ist auf keiner Ebene zu unterdrücken –.‘ (W. Braunfels, Antworten auf Fragen, SS 1969)
Ohne Umschweife heißt das, Kunst verschleiert soziale Mißstände und täuscht eine ,heile Welt’ vor. Darüber hinaus aber wird sie in den Produktionsprozeß eingeschaltet und zum Mechanismus. Beispiel:
A. Kowalski, 28, Pop-Künstler und Jet-Set-Mitglied, hat immer die richtigen Strümpfe im Koffer: Falke-Bristol. Falke-Bristol, Männerstrümpfe aus feiner Merino-Wolle. (Anzeige, Abendzeitung München, 10.10.1969)
Die neueren Kunstrichtungen polieren Werbegags auf und werden ‚machtvolles Mittel zur künstlichen Veraltung und irrationalen Differenzierung der Konsumgüter‘. Die Kunstgeschichte leistet bei der Verbreitung der Ideologie keinen unwesentlichen Beitrag.
Motivation für eine Vorlesung
Die Vorlesung ‚Malerei im 20. Jahrhundert‘ ist so motiviert: ‚… die Geschichte der Malerei des 20. Jahrh. von ihren Anfängen … bis heute im Spiegel der Selbsterkenntnis des Jahrhunderts vorzu-
führen. Denn dieses Zeitalter hat sich intensiver als jedes vorausgehende mit sich selbst und seiner Produktion beschäftigt.‘ (W. Braunfels, Programm der Hauptvorlesung, WS 1969)
Warum ,liest’ ein Kunsthistoriker ,zwischen Trecento und Quattrocento’ über Pop Art. Etwa weil der Freund in Aachen nicht mehr wie früher ,13 – 14. Jahrhundert’ kauft (auf Anraten von Braun-
fels), sondern Pop Art? Der Freund, Dr. Ludwig, promovierter Kunsthistoriker (,Das Menschen-
bild in der Kunst Picassos’) und Trumpf-Schokoladenfabrikant, wußte vor einigen Jahren selbst nicht genau, was davon zu halten ist. Jetzt weiß er’s ‚genau‘: ‚Das ist genau meine und meiner Frau Generation.‘ (Das kunstwerk, XXII/11-12) Deshalb kaufte er gleich spektakulär für vier Millionen Mark ein.
Sicher ein guter Werbeerfolg. Und der Kunsthistoriker? Ja, ,in Aachen, da gilt mein Wort noch etwas’, besser sollte es noch etwas gelten. Deshalb: schnelle Anpassung an den Trend, um auch in Aachen wieder dabei zu sein (Rat: Gunter Sachs und Frau Henkel sammeln in München Pop Art). Kurzvorträge über Pop Art vor den Rotariern (so am 28.11.1969 nach dem Mittagstisch) schaffen auch bei diesen die nötige Kauflust. Oder muß Pop Art gegen ,menschliche Vergeßlichkeit vertei-
digt werden’? Im Gegenteil, da sie in aller Munde ist, wird sie zur systematischen Umformung der Verbraucherbedürfnisse eingesetzt. Selbst der ,Wissenschaftler’ erweist sich da als anpassungs-
fähig, von der Wirkung auf das Publikum (Studenten) soll erst gar nicht gesprochen werden.
Wissenschaftliche Sprache
,Schulze-Naumburg (Nazi-Architekt) hat doch ganz gute Häuser gebaut’ … ,Führerworte sind mir ein Greuel, wenn sie nicht sachlich zitiert werden’ … ,Ich bin nicht ideologisch, sondern christlich’ … ,Leider nimmt der Katholizismus immer mehr ab’ … ,Das Wort Faschismus gebrauche ich nicht’ … ,Die Kunst im dritten Reich wurde mit ungeheurem Aufwand und großer Kraft betrieben’ …
Isolierungsversuche
Unter den von studentischer Seite vorgeschlagenen Tutoren für das Wintersemester war auch Hans Bachmaier. Im Protokoll der Institutsausschußsitzung vom 9.7.1969 heißt es unter Punkt 7. Verabschiedung des Tutorenprogrammes: ,Es wurde die Meinung vorgetragen, dieser Punkt sei bereits erledigt ! Zur Durchführung schlug Prof. Braunfels vor, die einzelnen Tutoren zu benach-
richtigen, daß sie sich vor Beginn des WS mit einem vollständigen Arbeitsprogramm zu einer Besprechung einfinden sollten! Abgesehen davon, daß die Tutoren nur den Studenten verant-
wortlich sind und nicht Braunfels, ist hier allen Tutoren endgültig die Legitimation zur Arbeit, auch die rechtliche Absicherung, gegeben. Am 3. Oktober erschienen drei der Tutoren bei Braunfels, ohne sich der Zuständigkeit des Ordinarius in dieser Frage bewußt zu sein. Die einmal gegebene Zusicherung des finanziellen Rückhalts gab den studentischen Gremien unbedingte Entscheidungsfreiheit. Der Ordinarius faßte aber die Besprechung als Vorstellung der Bewerber auf. Er zog zu dem Gespräch den unqualifizierten Assistenten Kuhn hinzu. Der Ordinarius ver-
suchte durch unterschiedliche Fragestellung die ,Bewerbergruppe’ zu teilen; disqualifizierte scheinbar durch spezifisch auf Kunstgeschichte abgestellte Fragen den Kommilitonen der Aka-
demie. ,Haben Sie sich denn überhaupt mit Kunstgeschichte beschäftigt? Können sie Siebdruck?‘ Erst dann wird Braunfels deutlicher: ,Ja, wenn sie als Künstler zu mir gekommen wären und etwas über Maltechnik bringen würden. So ist mir Ihr Konzept nicht klar.‘ (Braunfels hat das zweiseitige Programm nur flüchtig angeschaut und natürlich kein Wort verstanden.) Aber er hatte sich an der Akademie erkundigt, telephonisch, und erfahren, daß Hans Bachmaier ,lebenslängliches Haus-
verbot’ hat, über das in noch ausstehenden Prozessen erst einmal entschieden werden muß. Davon wird jedoch nicht gesprochen, sondern nur von den ,bürokratischen Hemmnissen’. Er könne keinen ‚Schmuh’ mehr machen, meint der Ordinarius, denn er werde ständig von ,konservativen Studenten‘ angegriffen. Herr Bachmaier möge am 16.10. noch einmal vorsprechen. (Braunfels war inzwischen eine Woche in New York.) Am 15.10.1969 äußert Herr Braunfels noch einmal seine ,Argumente’. Er sei gegen Herrn Bachmaier, weil sein eingereichtes Programm ,parteichinesisch’ klinge, weil jedes Fremdwort auch von einem Kunstideologen der DDR stammen könnte, weil Herr Bachmaier einerseits sich nicht immatrikulieren könne und er andererseits keinen ‚Schmuh’ ma-
chen wolle, weil ihm das Thema nicht gefalle und die Auflösung der Akademien symptomatisch sei und in New York niemand über München rede (,Münchener Provinzialismus‘), weil man sich zwar mit Künstlern beim Bier menschlich näher kommen könne, aber sonst …? ,Und außerdem haben wir ja schon zwei Tutoren aus der gleichen weltanschaulichen Wiege.‘ (Zitat)
Damit war das Problem als politisches entlarvt und wurde als solches in der Institutsausschuß-
sitzung vom 16.10.1969 bestätigt.
Braunfels: ,Man muß darauf achten, daß die Regeln des Akademikertums aufrechterhalten wer-
den.‘
Piel: ,Es geht darum, daß hier eine bildungspolitische Aktion durchgeführt werden soll, daß hier ideologische Maximen aufoktroyiert werden sollen.‘
Braunfels: ,Ich habe in der Akademie angerufen und erfahren, daß vier Mitglieder ausgeschlossen sind. Auch Herr Bachmair. Ich kann also aus kollegialen Gründen gegenüber der Akademie Herrn Bachmaier nicht einstellen. Im übrigen habe ich gehört, daß Herr Bachmaier nur die Meinung einer kleinen Gruppe der Akademiestudenten vertritt.‘
Student: ,Falls die Anzeige gegen mich zur Relegation führt, könnte ich dann weiter den Kurs halten?‘
Braunfels: ‚Nein, dann scheiden Sie eben aus.‘
tendenzen. Zeitschrift für demokratische Kunst 65 vom März/April 1970, 2 f.