Flusslandschaft 1988

Flüchtlinge

1987 bekamen weniger als zehn Prozent der Asylsuchenden politisches Asyl. Der Münchner Flüchtlingsrat versucht Abschiebungen zu verhindern und Proteste dagegen zu koordinieren. Im Herbst 1988 baut er in Oberbayern eine Telefonkette auf, um bei Eilabschiebungen möglichst schnell reagieren und öffentlichen Protest verbreitern zu können.

Am 8. November behauptet die Bild-Zeitung, ein „Asylant“ bekäme monatlich 4.000 Mark vom Sozialamt, weil er keine Lust zum Arbeiten habe. Einige Menschen gehen der Sache nach.1

Weltweit sind zur Zeit 15 Millionen Menschen auf der Flucht. Fünf von Hundert erreichen West-
europa. „Asylant“ klingt wie Spekulant, Simulant … Der „Scheinasylant“ wird zu einem der belieb-
testen Hassworte des Stammtischs. Kritische Köpfe reden deshalb von Asylsuchenden, Asylbewer-
bern oder schlicht von Flüchtlingen. 1988 werden in München 2.723 Asylanträge gestellt. (1987: 2.273, 1986: 2.928, 1985: 1.471) Ende 1988 leben insgesamt 4.067 Asylsuchende in München. Nur 9 Prozent der Antragsteller werden anerkannt. In städtischen Pensionen, Wohnheimen und Ge-
meinschaftsunterkünften sind knapp 3.000 Personen untergebracht, Asylbewerber, Geduldete oder Asylberechtigte. Für alle zusammen betragen die Kosten ca. 25 Millionen DM. Fünf Jahre lang dürfen Asylsuchende nicht arbeiten; sie erhalten ein monatliches Taschengeld von 80 DM und Sachleistungen. „Längst sind die Zugangsschranken für Flüchtlinge aus vielen Ländern schier un-
überwindlich. Für die Mehrzahl der afrikanischen und asiatischen Fluchtländer wurde Visum-
pflicht eingeführt. Die diplomatischen Vertretungen sind angewiesen, potentiellen Asylbewerbern ein Visum zu versagen, die Fluggesellschaften gehalten, Ausländer ohne Visum nicht zu transpor-
tieren. Asyl aber kann ein Verfolgter nicht vom Ausland aus beantragen; wer Asyl will, muss bis zur deutschen Grenze gelangen. Diese ‚Kanalisierung des Zustroms politisch Verfolgter’ hat durchaus funktioniert: Die Zahl der Asylsuchenden aus der Dritten Welt hat beständig abgenommen. Flücht-
linge aus anderen Ländern aber haben die Lücken aufgefüllt.“2


1 Siehe „Wie die Bild-Zeitung einer Familie das Leben zur Hölle macht“.

2 Süddeutsche Zeitung vom 10. Januar 1989, 6.