Flusslandschaft 1988
Die Grünen
Oberbürgermeister Kronawitter gelingt es regelmäßig, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren, indem er CSU und Grüne gegeneinander ausspielt. Aber er überzieht. Hinter den Kulissen wird gekartelt und getrickst, werden Trümpfe ausgespielt, Informationen durchgestochen, werden Karrieren eingefädelt. Für die Christsozialen sind die Grünen Teufelszeug. Offiziell. Aber dann auch wieder nicht. CSU-Politprofi Walter Zöller hat im Frühjahr ein diebisches Vergnügen daran, OB Kronawitter eins auszuwischen. Die Sozialdemokraten denken, sie hätten bei den Referenten-
wahlen eine Mehrheit. Mit ausdrücklicher Billigung von Parteichef Franz Josef Strauß schlägt u.a. bei der Wahl zum Kommunalreferenten der Grünen-Politiker Georg Welsch mit den Stimmen der CSU den Kandidaten der SPD. Im Gegenzug setzte die CSU ihre eigenen Wunschreferenten durch. CSU-Generalsekretär Tandler freut sich: So sei ein SPD-Werkreferet, der für den Münchner Aus-
stieg aus der Atomenergie sei, verhindert worden. Dieter Ulrich schreibt: „Mit dem verteufelten Gegner zu Machtpositionen. Nach Kiel und Rheinland-Pfalz haben die Münchner Referentenwah-
len erneut die Verkommenheit der Politik im allgemeinen und der Politiker im besonderen unter Beweis gestellt! Nicht nur, daß zwei Stadträte aus gekränkter Eitelkeit zum vorher vehement be-
kämpften Gegner überlaufen und damit das Ergebnis der Kommunalwahl von 1984 auf den Kopf stellen. Die Referentenwahlen haben darüber hinaus ein Lehrbeispiel politischen Handelns gege-
ben: auch mit dem vorher verteufelten Gegner und ärgsten Feind wird paktiert, wenn es nur hilft, an die Macht zu kommen oder an der Macht zu bleiben. Ist man diesen politischen Stil von den Schwarzen ja schon gewöhnt, ist es doch neu und überraschend, daß die Grünen sich nun auch emanzipiert haben und identische Verhaltensmuster zeigen, um an Machtpositionen zu gelangen. Wenn ich sehe, wie bedenkenlos Politiker Grundsätze von früher über Bord werfen, wenn es gilt, an Schaltstellen der Macht zu gelangen, dann graust es mir vor dieser Sorte Mensch! Daß bei sol-
chen ‚Vorbildern‘ die Parteien- und Staatsverdrossenheit immer größer wird, darf niemand wun-
dern.“1 Auch CSU-Mitglieder sind empört und an der grünen Basis rumort es.
1 Süddeutsche Zeitung 82 vom 9./10.4,1988, 21.