Flusslandschaft 1988
Religion
„Eine fromme Schnapsidee – Katholikentags-Emblem im Kreuzfeuer – In Ihrem Beitrag ‚Eine fromme Schnapsidee’ im Feuilleton führen Sie zahlreiche städtebauliche und sicherheitspolitische Gründe gegen die Aufstellung eines 24 m hohen Kreuzes im Olympiapark an. Unseres Erachtens sprechen jedoch noch weit gewichtigere, prinzipielle Gründe dagegen, die in Ihrem Bericht nicht angesprochen werden. Dieser Fall beleuchtet nämlich wieder einmal eindringlich, mit welcher Selbstverständlichkeit die Kirchen nach wie vor Sonderrechte beanspruchen und damit durchaus nicht nur auf taube Ohren stoßen. Oder hätte sich der Stadtrat wohl vier Jahre lang mit Plänen befasst, um im Anschluss an beispielsweise eine Jubiläumsveranstaltung der Deutschen Bundesbahn einen überdimensionalen rosa Elefanten im Olympiapark aufzustellen oder nach einer Bundeswehr oder NATO-Tagung einen Starfighter? Allerdings hat ein überdimensionales Kreuz eine ganz besonders starke weltanschauliche Aussagekraft, die in einer öffentlichen Anlage, in der sich auch Nicht-Katholiken und Nicht-Christen wohlfühlen sollen, nicht weniger als fehl am Platz ist. – Vielleicht wird der Drang zur Selbstdarstellung auch immer größer, je leerer die Kirchenbänke werden? — Wie auch immer, die einzige Antwort auf diese Zumutung kann sein: Lasst die Kreuze dort, wo sie hingehören, in den Kirchen! – Leserbrief des OV München an die SZ.“1
„2. Juli: Rund 2.000 Christen beteiligen sich an einem ‚Jesus-Marsch’ durch die Innenstadt, zu dem 25 evangelische und freikirchliche Vereinigungen gerufen hatten. Der Marsch ist Teil einer 14tätigen Evangelisation ‚München ‘88, Gott begegnen – Leben finden’.“2
Ein Fernsehfilm über das Opus Dei löst bei den Münchner Freidenkern Widerspruch aus.3
„11. November: Mit einem zweistündigen Rosenkranzgebet demonstrieren etwa 80 Anhänger der ‚Christlichen Liga’ zwei Stunden lang gegen den Film ‚Die letzte Versuchung Christi’ vor dem Cinema-Filmtheater an der Nymphenburger Straße 31. Polizeibeamte wachen darüber, dass die Demonstranten auf einer Seite der Nymphenburger Straße bleiben und die Kinobesucher auf der anderen. Die Mitglieder der Liga waren bis aus dem Allgäu und Baden-Württemberg angereist, um ihren Unmut über die ‚unglaubliche Gotteslästerung’ zu bekunden.“4
Angesichts der folgenden Nachricht ist die kritische Öffentlichkeit so erstaunt, dass es zu bössinnigen Kommentaren gar nicht mehr kommt: „Karl-Valentin-Orden für Kurienkardinal Ratzinger. Zum erstenmal in ihrer Geschichte will die Münchner Faschingsgesellschaft Narhalla einer Persönlichkeit aus dem kirchlichen Leben ihren traditionellen „Karl-Valentin-Orden“ verleihen. „Nach anfänglichen Bedenken, dann aber mit großer Freude“ stimmte Kurienkardinal Josef Ratzinger, seit 1982 Präfekt der römischen Glaubenskongregation im Vatikan, dem humoristischen Vorhaben zu: „Denn gerade zu einem Christenmenschen sollte der Humor als etwas ganz Wichtiges dazugehören.“ Der ehemalige Erzbischof von München und Freising reiht sich damit in die Garde der Ordensträger ein, zu der prominente Politiker wie Helmut Kohl und der verstorbene bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß ebenso gehören wie die Humoristen Victor von Bülow und Ephraim Kishon. Selbstverständlich werden die Aussagen, die den hintergründigen Humor des Kirchenfürsten nach dem Vorbild Karl Valentins beweisen, erst bei der Ordensverleihung am 5. Januar nächsten Jahres bekannt gegeben. Nur so viel konnte Narhalla-Präsident Werner Hoser auf einer Pressekonferenz schon verraten: Die Analyse seiner Charaktereigenschaften anhand seines Sternbildes bestätigten die vortreffliche Wahl.“5
1 Mitteilungen der Humanistischen Union 122 vom Juni 1988, 24.
2 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 152, 1, 8.
3 Siehe „Zuschauerkritik“ von Eduard Eben.
4 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 263, 1, 3, 8.
5 Süddeutsche Zeitung vom 19./20. November 1988.