Flusslandschaft 1989

Frauen

„‚Wenn wir heute nicht kämpfen, werden wir morgen so leben wie vorgestern.’ 7.000 Menschen, die Mehrzahl Frauen aber auch viele Männer, waren am 25. Februar nach Memmingen gekommen, um gegen die dort inszenierten Hexenprozesse in Sachen Paragraph 218 und seine Abschaffung zu demonstrieren. ‚Gut situierte Männer maßen sich an, über die Notsituationen von Frauen zu ur-
teilen. Wir brauchen kein Glockenläuten, um an unsere Verantwortung erinnert zu werden’, so Gudrun Hamacher vom Vorstand der IG Metall als Rednerin auf der Kundgebung. Für den seit September vor Gericht stehenden Arzt Dr. Horst Theissen, der inzwischen wegen der Prozessko-
sten seine Praxis verkaufen musste, hat die Humanistische Union (HU) bei der Bank für Gemein-
wirtschaft in München ein Solidaritätskonto eingerichtet. Stichwort: „Sonderkonto Dr. Theissen“, Kontonummer: 170067804, Bankleitzahl: 70010111“1

Am 5. April findet im Schwabinger Bräu, Leopoldstraße 82, eine Protestkundgebung gegen den „Memminger Abtreibungsprozess“ statt. Am 5. Mai wird der Memminger Frauenarzt Dr. Horst Theissen zu zweieinhalb Jahren Haft und zu drei Jahren Berufsverbot verurteilt. Ärztinnen und Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, sind im höchsten Masse verunsichert. In der Frauenbewe-
gung werden wieder Rufe nach der ersatzlosen Streichung des § 218 laut. Der Bayernkurier dage-
gen findet das Urteil gut.2

„Die Humanistische Union hat sich beim Deutschen Werberat über eine sexistische Anzeigen-Serie der Spaten-Brauerei München beschwert und eine öffentliche Rüge gefordert. In einer fünftägigen Anzeigenserie tauchte wieder etwas auf, was es in dieser Form schon längere Zeit nicht mehr gege-
ben hatte: Ein Striptease und schließlich ein nackter Frauenkörper musste als Verkaufskrücke für ein neues Bier herhalten. Die Frau als Ware, die Ware als (schmackhafte) Frau! Nicht die Nacktheit ist jedoch der Angriffspunkt der HU, sondern die Art und Weise der Darstellung, die zusammen mit den Texten suggeriert: die Frau sei bereit und verfügbar und könne jederzeit ‚leicht’ genommen werden. Die HU hat die Brauerei und die Süddeutsche Zeitung aufgefordert, dass sich beide bei ihren LeserInnen/KonsumentInnen entschuldigen; in den Briefen der HU heißt es weiter: ‚Obwohl wir Spaten-Bier bisher sehr geschätzt haben, werden wir fortan auf dessen Konsum verzichten und sind sicher, dass viele Frauen und Männer unserem Beispiel folgen – nicht nur unsere Mitglieder. Außerdem können wir uns sehr gut vorstellen, dass sich diese Anzeigen-Serie auch auf den ‚Kon-
sum’ von Zeitungen negativ auswirken wird, die solche Anzeigen nicht zurückweisen.“3

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Zwei Frauen, die sich in Nordcypern gegen Vergewaltigung wehrten, wobei der Angreifer zu Tode kam, werden zu Gefängnisstrafe verurteilt. Dagegen demonstrieren am 7. Juni zweihundertfünfzig Frauen in München.5

Siehe auch „Bürgerrechte“.

(zuletzt geändert am 11.11.2019)


1 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 5 vom 10. März 1989, 6.

2 Siehe „Die Richter in Memmingen …“.

3 Mitteilungen der Humanistischen Union 126 vom Mai 1989, 34.

4 Flugblattsammlung, Archiv der Münchner arbeiterbewegung

5 Siehe „‘Vergewaltiger wir kriegen Euch’“.