Flusslandschaft 1989
Frieden/Abrüstung
„27. Februar: Unter dem Motto ‚Wir spielen nicht mit’ ziehen Münchner Zivildienstleistende vom Odeonsplatz zum Rathaus, um dort eine Petition zu übergeben und dann weiter zum Kreiswehrer-
satzamt zu marschieren. Die Polizei spricht von etwa 350 streikenden Zivildienstleistenden, die ‚AG für Frieden, Ökologie und Menschenrechte der Grünen’ meint dagegen, 2.000 bis 3.000 Teil-
nehmer zählen zu können. Die Proteste richten sich gegen angebliche allgemeine Mobilisierungs-
maßnahmen. in die auch die Stadtverwaltung eingespannt sei.“1
Friedrich Müller schildert sein Engagement gegen die Stationierung von Atomraketen und die Nachteile, die er und seine Frau damit in Kauf nehmen.2
Foto vom Ostermarsch: Cornelia Blomeyer (www.cornelia-blomeyer.de)
Das Motto des Ostermarsches am 26. März lautet: „München darf nicht länger Rüstungsschmiede sein, aus München muss ein Friedenszentrum werden.“ Im Aufruf des DGB zum Ostermarsch heißt es: „… Wir wollen weitere Nullösungen bei allen Atomwaffen. Dabei verbietet sich auch jede Modernisierung der atomaren Kurzstreckenraketen …“
Die bundesrepublikanische Rüstungsindustrie steht 1989 nach der der UdSSSR, der USA, Chinas, Frankreichs und Großbritanniens an sechster Stelle. Im Sommer bekommt Krauss-Maffei einen Beschaffungsauftrag der Bundesregierung für 75 Leopard-Panzer. „Die am stärksten von der Rüstungsproduktion abhängigen Wirtschaftsregionen (in der Bundesrepublik, d.V.) sind der Großraum München und die norddeutsche Küstenregion mit den Zentren Bremen und Kiel. München ist seit dem Ende der fünfziger Jahre, als Franz Josef Strauß Bundesverteidigungsmi-
nister war, sytematisch zum Zentralort der bundesdeutschen Rüstung aufgebaut worden. Das bekann mit der politisch initiierten Etablierung von Krauss-Maffei als wichtigstem bundesdeut-
schen Panzerhersteller und gipfelte Mitte der achtziger Jahre in der von der bayerischen Staats-
regierung betriebenen Eingliederung von Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) in ein bayrisches Unternehmen (im Gespräch waren Siemens und BMW). Besonders deutlich wird die politische Unterstützung an der geographischen Konzentration wichtiger staatlicher, militärisch relevanter Forschungs- und Versuchseinrichtungen.“3
Der DGB hat für den Antikriegstag, 1. September, den Zircus Krone an der Marsstraße 43 ange-
mietet. Es treten auf: Hannes Beckmann Quartett, Klaus Dittrich (DGB-Kreisvorsitzender), Prof. Dr. Markiewicz (Präsident der Polnischen Akademie der Wissenschaften), Barbara Kellerbauer mit Ensemble (DDR), Jakob Deffner (DGB-Vorsitzender des Landesbezirk Bayern), Klaus Hahnzog (3. Bürgermeister der Landeshauptstadt München), Helmut Ruge & Dick Städtler, Rufat Agababa Agev (Vorsitzender des aserbeidschanischen Gewerkschaftsrates), Marion Lehmicke (Münchner Friedensbündnis), Sigi Maron (Wien), Meier’s Kabarett.
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Rüstungsgegner Hannes Fischer tritt im Sommer seine Haft an. Eine Gruppe demonstriert.5
„München ist Deutschlands größte Rüstungsschmiede – … Das Wirtschaftsamt der Stadt bestätigte …, dass München als Hauptstadt der bundesdeutschen Militärproduktion anzusehen sei. Im Jahr 1989 erhielten Betriebe im Raum München vom ‚Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung’ Aufträge mit einem Volumen von mehr als fünf Milliarden Mark. Mehr als ein Fünftel aller Aufträ-
ge gingen nach München, bis zu 30.000 Beschäftigte sind im Ballungsraum in der Militärproduk-
tion tätig.“6
„Der Oberbürgermeister gibt per Annonce seine Scham bekannt. München ist Rüstungszentrum. Über die am Weltmarkt sterbenden Kinder hört man keine Scham. Der Oberbürgermeister steht zu weit weg.“7
Etwa eine Billion Dollar — tausend Mal eine Milliarde — wurde 1989 weltweit für Rüstung ausge-geben. Die Adresse der Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG/VK) lautet: 8000 München 2, Schmidtstraße 2.
(zuletzt geändert am 18.9.2020)
1 Stadtchronik, Stadtarchiv München; Süddeutsche Zeitung 49, 1.
2 Siehe „Aktion ‚Öffentliche Aufforderung zur Blockade’“ von Friedrich Müller.
3 Michael Brzoska: „Militärisch-industrieller Komplex in der Bundesrepublik und Rüstungsexportpolitik“ in: Gewerk-
schaftliche Monatshefte 8 vom August 1989, 505; vgl. dazu auch Burckhard Huck, Martin Grundmann, Sabine Lauxen, Gerhard Richter, Rüstungsindustrie und Rüstungskonversion in der Region München, Frankfurt 1989, 30.
4 Sammlung Friedensbewegung, Archiv der Münchner Arbeiterbewegung
5 Fotografien Grete Schaa, Sammlung Friedrich Müller.
6 Süddeutsche Zeitung 59 vom 11. März 1991, 14.
7 Heinz Jacobi, Deutschdeutsch. Materialien gegen ein Volk. Das Anschlusslesebuch. Sonderband IV des Boten. Politisch-literarische Zeitschrift, München 1990, 110.