Flusslandschaft 1990

Bürgerrechte

Die Polizei ist ein verschworener Haufen, in dem eigene Gesetze des Umgangs miteinander und des Denkens herrschen. Ein Polizist, der hier nicht mitspielt, wird schnell zum „Nestbeschmutzer“ und versandelt damit seine Karriere.1

Am 1. April 1989 wurde das Polizeiaufgabengesetz (PAG) geändert und der „Unterbindungsge-
wahrsam“ eingeführt. Jetzt plant der Innenminister eine weitere Verschärfung. Die Kritischen Polizistinnen und Polizisten halten dagegen.2

Eigenartig: Die DDR ist zusammengebrochen, ihr „Staatssicherheitsdienst“ wird abgewickelt und das ganze Ausmaß der Bespitzelung und Überwachung von DDR-Bürgerinnen und –Bürgern wird deutlich, in der Bundesrepublik dagegen haben Schlapphüte Konjunktur.3

Artikel 10 des Grundgesetzes formuliert unmissverständlich: »Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich. Beschränkungen dürfen nur aufgrund eines Gesetzes angeordnet werden.« Tatsächlich bleibt die Bundesrepublik auch nach der Beendigung der Sys-
temkonkurrenz zwischen Warschauer Pakt und NATO ein Überwachungsstaat. »… Was ist aus den Rechten der Alliierten geworden, als die DDR 1990 aufgelöst und in die Bundesrepublik integriert wurde? Haben die Drei Mächte auf ihre über das Besatzungsrecht, das Vorbehaltsrecht, das Ver-
tragsrecht, das deutsche Recht und Verfassungsrecht immer wieder fortgeschriebenen Rechte zur Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs bei den Zwei-Plus-Vier-Verhandlungen verzich-
tet? Auch hier geben die Quellen eine überraschende Antwort: Nein. Die geheime Zusatzvereinba-
rung zur Ausführung des G 10-Gesetzes von 1968 zwischen den drei Westmächten und der Bun-
desregierung wurde nicht aufgehoben, sondern blieb weiterhin in Kraft …«4

Karl Jaspers meinte einst, das „Grundgesetz wurde vom Volk, das es nicht kannte und nicht begrei-
fen konnte, weder diskutiert noch beschlossen, sondern nur durch das Parlament bestätigt.“5 Mit der Wiedervereinigung hat das Provisorium „Grundgesetz“, das ganz bewusst nicht „Verfassung“ genannt wurde, ja eigentlich ausgedient. Am 21. Juni plädiert um 19 Uhr die Initiative Bayerischer Strafverteidiger e.V. in der großen Aula der Münchner Universität „für eine Verfassung für Deutschland“.

Am 27. Juni findet der Prozess gegen Mike und Johannes statt, die im Herbst 1988 während des Prozesses gegen Wolli und Janin („Zunfthausprozess“) wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Beleidigung festgenommen worden sind. Jetzt, beim Prozess gegen Mike und Johannes, sind sechzig bis siebzig ZuschauerInnen, unter ihnen Rolf Pohle anwesend. Diese singen die „Interna-
tionale“ und protestieren. Einige, auch Pohle, werden wegen Widerstands festgenommen. Mike und Johannes werden am 23. Juli 1990 freigesprochen, Rolf Pohle am 8. März 1991 ebenfalls.

Vor der Feldherrnhalle steht auf dem Odeonsplatz der „Omnibus für direkte Demokratie in Deutschland“. Diese ursprünglich von Joseph Beuys 1987 initiierte Aktion fordert das „Recht auf Volksabstimmung“.6

Siehe auch „AusländerInnen“.


1 Siehe „Maulkorb für Unbequeme“ von Thomas Öchsner.

2 Siehe „Presseerklärung ‚Kritischer Polizisten und Polizistinnen’ zum geplanten Verfassungsschutzgesetz und Änderung des PAG“.

3 Siehe „Das ist ja wie beim Stasi“ von Hannelore Messow und „Platz für Wanzen“ von Hannelore Messow.

4 Josef Foschepoth, Überwachtes Deutschland. Post- und Telefonüberwachung in der alten Bundesrepublik, Göttingen 2014, 16.

5 Karl Jaspers, Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen, Gefahren, Chancen, München 1966, 175.

6 Vgl.: Hannelore Kunz-Ott/Andrea Kluge (Hg.), 150 Jahre Feldherrnhalle. Lebensraum einer Großstadt, München 1994, 111 f.