Flusslandschaft 1991
CSU
Der Gautinger Bürgermeister (CSU-Spezi, aber kein Mitglied) schreibt in einem Papier über die „Vergabe von Wohnungseigentum“: „Auf sozial Unterprivilegierte nehmen wir nicht so sehr Rück-
sicht, da durch diesen Personenkreis der soziale Mittelstand abgeschreckt wird … Die MdE (Min-
derung der Erwerbsfähigkeit) braucht nicht bewertet zu werden, da solche Leute ohne gleichzeitige Behinderung meist nur arbeitsscheu sind.“ Carl-Wilhelm Macke: „Sofort, das muss zur Ehrenret-
tung der ansonsten bayerisch christlichen Gemeinde gesagt werden, fegte ein moralischer Som-
mersturm durch Gauting. Alle, die wenigen Sozialdemokraten, die Grünen sowieso, die örtlichen Behindertenverbände, der Pfarrer, ja sogar Mitglieder der CSU brausten auf. ‚Verwerflich‘, ,er-
schreckend‘, ‚sozialfeindlich‘ seien diese Äußerungen. Der Kreisverband der CSU entschuldigte sich nach langem Zögern für diese unbedachten Äußerungen, und damit war auch wieder Ruhe einge-
kehrt in das sehr schöne, sehr reiche und sehr bayerische Städtchen Gauting. Aber unter uns ge-
sagt, vertraute mir jüngst ein Stammgast im ‚Gautinger Hof‘ an: So verkehrt war das ja wieder auch nicht, was in dem Papier des Bürgermeisters geschrieben stand, oder?“1
Die CSU fordert die Umbenennung des „Karl-Marx-Rings“ und des „Friedrich-Engels-Bogens“. Im Bayernkurier wird Marx als „„geistiger Urheber des ganzen Unglücks“ in Osteuropa bezeichnet. Laut Bayernkurier „gehört freilich eine gehörige Portion ideologischer Verblendung dazu, einem Mann einen derartigen Rang zuzubilligen, der in seinen Analysen wo nicht flach, dann jedenfalls nicht originell war, mit seinen Prognosen epochal daneben lag, der in ethischer Hinsicht zu bruta-
ler Bedenkenlosigkeit bereit und daher der geistige Verursacher von millionenfachem Tod, von Unfreiheit und Elend war.“2
„Gericht untersagt Strauß-Zitat — Das Landgericht München II hat es auf die Zitierfreiheit abgese-hen. Zum Jahrestag des Oktoberfest-Attentates, bei dem am 26. Oktober 1980 13 Menschen umge-bracht wurden, hatten Demonstranten ein Flugblatt verteilt, in dem auf die Verbindung des Atten-täters Gundolf Köhler zur Wehrsportgruppe Hoffmann und deren lange Tolerierung durch Franz Josef Strauß hingewiesen wurde. Das Flugblatt wurde von der Polizei beschlagnahmt – zu Recht, entschied jetzt das Münchener Landgericht II. Denn Strauß werde mit dem Satz zitiert: ,Man muss sich der nationalen Kräfte bedienen, und seien sie noch so reaktionär. Mit Hilfstruppen darf man nicht zimperlich sein.’ Das Strauß-Wort, entschied das Gericht, darf nicht zitiert werden, weil es zu einer ‚Verunglimpfung’ des Staates benutzt werde. Mit ihrem Urteil setzen die Münchener Richter ihre Praxis von 1980 fort. Damals entschied das Landgericht II auf Antrag von Franz Josef Strauß gegen METALL, dass der berühmte Satz aus seiner Sonthofener Rede nur eingeschränkt zitiert werden darf. ,Wenn wir hinkommen und räumen so auf’, hatte Strauß gedroht, ,dass bis zum Rest dieses Jahrhunderts von diesen Banditen keiner es mehr wagt, in Deutschland das Maul aufzuma-chen.’ Der Satz, entschied damals das Landgericht, darf nur zitiert werden, wenn auch der Vorder-satz hinzugefügt wird, in dem Strauß behauptet, ,SPD und FDP überlassen diesen Staat kriminel-len Gangstern“. Und außerdem müsse auch hinzugefügt werden, dass die auf Tonband festgehal-tene Rede von Strauß nicht autorisiert worden sei.“3
(zuletzt geändert am 7.8.2020)
1 Die Weltbühne. Wochenschrift für Politik, Kunst, Wirtschaft 34 vom 13. August 1991, Berlin, 1053.
2 Bayernkurier vom 31. August 1991.
3 Metall. Zeitung der Industriegewerkschaft Metall 23 vom 15. November 1991, 8.