Materialien 1978
Gefahr von links – oder von rechts?
Brief an den bayrischen Ministerpräsidenten vom 17. Januar 1978
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
die unterzeichneten Bürger des Freistaates Bayern und Vorsitzende des Bundesvorstandes und des zuständigen Landesvorstandes des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) in der Industriegewerk-
schaft Druck und Papier, wenden sich heute an Sie im Namen aller Autoren, deren Werke im In- und Ausland Anerkennung finden.
Die allermeisten altersmäßig in Frage kommenden Mitglieder unseres Verbandes haben in der Zeit der Hitlerdiktatur unter Verfolgungen gelitten; viele haben dem Unrechtsregirne aktiven Wider-
stand geleistet. In den fast 33 Jahren, die seit dem Ende der Naziherrschaft vergangen sind, haben wir Schriftsteller nicht nur tatkräftig am Aufbau einer freiheitlichen Demokratie mitgewirkt, son-
dern auch wie kaum ein zweiter Berufsstand dazu beigetragen, unserem Lande wieder die Achtung seiner Nachbarn ztr gewinnen. Auch in jüngster Zeit haben wir, die hierzulande von der politi-
schen Rechten verketzertet, die Öffentlichkeit des Auslands mit Nachdruck vor falschen Einschät-
zungen gewarnt und um ein differenzierteres Urteil, die Verhältnisse in unserem Land betreffend, gebeten. Um so mehr fühlen wir uns dazu verpflichtet, auf Mißstände, die hier herrschen, ebenso nachdrücklich hinzuweisen.
Wir wollen Ihnen deshalb nicht verhehlen, daß wir mit wachsender Sorge die neonazistischen Umtriebe im Freistaat Bayern verfolgen, wobei wir voraussetzen dürfen, daß das Innenministe-
rium Sie darüber auf dem laufenden hält. Wir begnügen uns deshalb mit drei uns symptomatisch erscheinenden Beispielen:
1) In und bei Nürnberg treibt die neonazistische Wehrsportgruppe des Karl Heinz Hoffmann seit Jahren unbehelligt ihr Unwesen.
2) Von München aus verbreitet die „Deutsche National-Zeitung“ des Dr. Gerhard Frey seit Jahren Woche für Woche die unverschämtesten Lügen und betreibt systematische Volksverhetzung.
3) Im Münchner Künstlerhaus am Lenbachplatz ist das „Präsidialbüro“ der rechtsradikalen Dach-
organisation „Deutsches Kulturwerk Europäischen Geistes e.V.“.
Das unter (3) genannte „Kulturwerk“, das in mehreren Verfassungsschutzberichten als rechtsra-
dikal eingestuft worden ist, wurde von den bayrischen Finanzbehörden als „förderungswürdig“ anerkannt, so daß Spenden zugunsten rechtsradikaler Aktivitäten steuerlich abzugsfähig sind. Präsident dieses „Kulturwerks“ war seit 1950 der ehemalige Funktionär der berüchtigten Reichs-
schrifttumskammer und „Kulturberater“ der Obersten SA-Führung, Herbert Böhme; seit dessen Tod ist bis heute, mit nur kurzer Unterbrechung, Dr. Karl Günter Stempel der Präsident, ein ehemaliger SS-Angehöriger, der sich in seinem Lebenslauf u.a. der bewaffneten Teilnahme an SS-Aktionen gegen die Gewerkschaften gerühmt hat. Dieser Dr. Stempel, obwohl Führer einer als rechtsradikal eingestuften, eindeutig neonazistischen Organisation, ist seit Jahren Richter am Obersten Bayerischen Landesgericht. Es sei daran erinnert, daß Männer wie Pöhner (Mitange-
klagter im Hitler-Putsch-Prozeß) und von der Pfordten (Teilnehmer am Hitler-Putsch), ebenfalls Richter am Obersten Bayerischen Landesgericht waren. Bayern war damals „die Ordnungszelle, in der jede Verunglimpfung der Weimarer Republik gestattet war, das Gelobte Land der Deutschna-
tionalen und der Vorhimmel des Dritten Reiches“, hat dazu Ihr Amtsvorgänger Wilhelm Hoegner einmal bemerkt. Unseren Kollegen und uns scheint es, als ließen sich im heutigen Bayern noch eine ganze Reihe von Parallelen aufzeigen, die eine ähnlich unheilvolle Entwicklung befürchten lassen wie in der einstigen „Ordnungszelle Bayern“ der 20er und 30er Jahre.
Noch können Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Schaden von diesem Land wenden, indem Sie die zuständigen Behörden anweisen, die neonazistischen Aktivitäten nicht länger zu dulden. Nur ein rasches und energisches Eingreifen kann die Glaubwürdigkeit der Demokratie in Bayern wiederherstellen.
Mit vorzüglicher Hochachtung
Bernt Engelmann
Bundesvorsitzender des Verbandes deutscher Schriftsteller (VS) in der Industriegewerkschaft Druck und Papier
Hans Peter Bleuel
Vorsitzender des Landesverbandes Bayern
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Der Brief blieb zunächst unbeantwortet. Am 10. Juli wurde eine Antwort angemahnt. Darauf teilte die Bayerische Staatskanzlei am 24. Juli 1978 mit: „Die Eingabe der Obengenannten vom 17. Januar 1978 wurde zuständigkeitshalber an das Bayerische Staatsministerium des Innern weiter-
geleitet. Die Staatskanzlei hat das Innenministerium aufgrund Ihres Schreibens vom 10. Juli 1978 an die Erledigung der Angelegenheit erinnert.“
Mit Datum vom 2. August 1978 ließ das Bayerische Staatsministerium des Innern schließlich wissen:
„Sehr geehrte Herren, wie Ihnen bekannt ist, hat die Bayerische Staatskanzlei Ihr Schreiben dem
Staatsministerium des Innern zur zuständigen Bearbeitung zugeleitet. Das Staatsministerium des Innern bedarf Ihrer Hinweise auf rechtsextremistische Aktionen in Bayern nicht. Wie aus dem Ihnen bekannten Verfassungsschutzbericht Bayern 1977 zu ersehen ist, wird der Rechtsextremis-
mus mit der erforderlichen Sorgfalt beobachtet. Im übrigen läßt es uns Ihr Vergleich des heutigen Bayern mit dem Bayern der 30er Jahre nicht sinnvoll erscheinen, sich mit Ihren Vorwürfen weiter auseinanderzusetzen. Hochachtungsvoll I. A. gez. Popp, Ministerialrat“
Zit. in: Friedrich Hitzer, Vom Baumsterben der Menschen oder: Die Gewerkschaften müssen ihren Weg neu beschreiben, Neuss/München 1983, 152 f.